von Betiana Manzo / Martín Segura / Birgit Krug
(Berlin, 24. Dezember 2009, npl).- Die 90er Jahre waren das Jahrzehnt der weltweiten Ausbreitung des Neoliberalismus, dessen Auswirkungen ebenfalls weltweit nicht nur in Wirtschaft und Politik zu spüren sind – auch in Argentinien.
Blicken wir kurz zurück. Unter der Regierung des damaligen argentinischen Präsidenten Carlos Menem wurden staatliche Betriebe an ausländische Firmen verkauft, die staatliche Industrieförderung eingestellt.
In den Sektoren Erdöl und Bergbau war das nicht anders. Hier wurden gleich zwei Schlüsselfirmen privatisiert: YPF und Gas del Estado, weltweit Vorbilder für staatliche Führung. Aber damit nicht genug. Die politische Verantwortung für den Umgang mit Rohstoffen wurde nach und nach an die argentinischen Provinzen abgegeben. 2007 wurde dies dann gesetzlich festgeschrieben. Seitdem üben die Provinzen definitiv die Herrschaft über die Rohstoffvorkommen in ihren Territorien aus. Die absurde Folge davon: heute entscheiden in Argentinien 10 Provinzen, in denen nicht mehr als 15 Prozent der Bevölkerung leben, über die gesamte nationale Erdöl- und Bergbaupolitik.
Die Folgen sind verheerend. José Rigane, Vorsitzender des Verbandes der Energiearbeiter*innen Argentiniens, spricht von Plünderung und Missbrauch der Gas- und Erdölreserven. „Der Prozess der Privatisierung in Argentinien war in Wirklichkeit ein Prozess des Abbaus davon, was bis dahin staatliche Souveränität über die argentinischen Bodenschätze bedeutete. Es war die Entscheidung, unsere natürlichen und Energie-Ressourcen zu verschleudern, auszuliefern, zu verschenken und auszuverkaufen,” so Rigane.
Fast das ganze letzte Jahrhundert bis zu ihrem Verkauf kamen von YPF viele Impulse an die nationale Politik, die natürlichen Ressourcen für die wirtschaftliche, industrielle und soziale Entwicklung einzusetzen. Der Einfluss der staatlichen Ölgesellschaft reichte in alle Winkel Amerikas. So entstanden in den folgenden Jahren andere große staatliche Erdölgesellschaften wie die in Brasilien, Bolivien, Mexiko, Uruguay, Venezuela und Kolumbien.
Heute, wo die Verwaltung der Erdölreserven in den Händen der einzelnen Provinzen liegt, schließen die Provinzregierungen individuelle Übereinkommen mit privaten Betreiber*innen, um Erdöl zu fördern. Dies geht bis hin zur restlosen Erschöpfung der Vorkommen – ohne eine Investitionspolitik, ohne die Suche nach neuen Vorkommen, ohne Kontrollen. So sind im Sektor Erdöl nach José Rigane bereits 95 Prozent der Unternehmen in den Händen von multinationalen Firmen. Und diese interessiere es nicht, nachhaltig zu wirtschaften.
Ebenfalls gravierende Auswirkungen haben Privatisierung und Dezentralisierung der Verwaltung auf den Bergbau bzw. auf den Abbau von Mineralien.
Argentinien zeichnet sich durch eine große Reichhaltigkeit und Breite von Ressourcen aus. Es belegt den sechsten Platz im Ranking der Verfügbarkeit von Bergbauressourcen wie Gold, Kupfer, Blei, Zink, Lehm und Schmucksteinen. Das Bergbaugeschäft ist außerordentlich rentabel: Arbeitskräfte, Service und der Kauf von Land verursachen geringe Kosten, wohingegen die fertigen Produkte zu internationalen Preisen verkauft werden.
Offizielle Zahlen sprechen von nur neun aktiven Bergbauunternehmen, aber es gibt weitere fünf, die sich im Bau befinden und 140 sind in Planung. Diese Unternehmen stehen mittlerweile unter starker Kritik, die sich auf vier fundamentale Aspekte bezieht: die durch sie verursachten Auswirkungen auf die Umwelt, die Probleme in Bezug auf die Landwirtschaft, der irrsinnige Bedarf an Wasser und die niedrigen Löhne.
BürgerInnenversammlungen, selbstorganisierte Nachbar*innen, Bewegungen von Campesinos und Campesinas, indigene Gemeinschaften und Umweltorganisationen versichern, dass diese Aktivitäten weder einen Beitrag zur lokalen Entwicklung leisten, noch großartig Arbeitsplätze schaffen – außer in der Zeit des Baus. Vielmehr werden nicht erneuerbare natürliche Ressourcen abgebaut, was dem Staat kaum etwas einbringt und zudem die Umwelt zerstört. Bergbau in großem Stil steht anderen Entwicklungen entgegen, wie z.B. der Landwirtschaft und der Tierzucht. Die Umweltschäden in den Gegenden, wo diese Bergbauprojekte umgesetzt werden, sind irreparabel, ganz zu Schweigen von dem Angriff auf die Gesundheit der Bevölkerung.
Die Ökologin und Doktorin Marta de Viana aus der Provinz Salta sieht das Hauptproblem darin, dass das knappe lebensnotwendige Wasser zunehmend für den Bergbau genutzt wird. Gleichzeitig werden alle abgebauten Mineralien außer Landes gebracht. Den Menschen bleibt nichts, außer einer zerstörten Umwelt.
“Gold ist ein unnützer Luxus. Ohne Wasser aber gibt es kein Leben”, das bezeugen mehr als 70 Gemeinden aus 13 Provinzen, die alle vom Bergbau in großem Stil betroffen sind. Für den Abbau von Mineralien wird mehr Wasser benötigt als für die Landwirtschaft. Aber Argentinien ist der Brückenkopf der weltweiten Bergbauindustrie. Unternehmen aus den USA, Kanada, Großbritannien, Australien, der Schweiz, Südafrika und Japan treiben den Abbau auf einem Terrain von 4 500 Quadratkilometer voran, von Norden nach Süden, von Jujuy bis Santa Cruz.
Nehmen wir ein Beispiel: das Unternehmen, Minera Alumbrera in der Provinz von Catamarca exportiert 23.000 Tonnen Goldkonzentrat und verbraucht dagegen in dieser sehr trockenen Gegend über 1.000 Liter Wasser pro Sekunde, fast vier Millionen Liter pro Stunde. Es wird geschätzt, dass zwei Drittel der Wälder durch die Agrar- und Bergbauindustrie verloren gehen. Viele Gemeinden, die in den Bergbaugegenden leben, sehen sich durch die Verschmutzung und den Raub der Gemeingüter bedroht.
Aber nicht nur die Umwelt und die knappen Wasservorkommen sind gefährdet. “Eine der gravierendsten Auswirkungen dieser Projekte ist, dass sie die ganze lokale Kultur zerstören. Wir verlieren Kulturen, Lebensformen, Organisationsformen, tief verwurzelte Traditionen. Der Verlust der Biodiversität und der kulturellen Diversität folgt auf diese Homogenisierung, die sich “Fortschritt und Entwicklung” nennt, der allerdings nur sehr wenigen Menschen zugute kommt,“ so Marta de Viana.
Doktorin Marta De Viana hat bereits verschiedene Studien über Bevölkerungen realisiert, die ihren Lebensraum mit diesen Bergbau-Megaprojekten teilen. Trotz der Versprechungen, die die Firmen zu Beginn machen, wenn sie sich niederlassen, sind die negativen Auswirkungen auf die Bevölkerung nicht zu übersehen: Unterernährung der Kinder, Analphabetismus und Arbeitslosigkeit. “Alle Regierungen haben den Bergbau gefördert. Aber was passiert, wenn ein Bergwerk schließt? Das weiß niemand, weil niemand überprüft, ob sie nach der Schließung das Nötigste für Mensch und Umwelt tun. Was bleibt, ist die Verschmutzung der Flüsse und deren Auswirkungen auf Tiere und Menschen. Aber die Megaprojekte sind dann schon woanders hin gegangen.”
Es ist klar, dass das ganze Szenario nicht möglich wäre ohne die Duldung der Regierung. Die großen internationalen Bergbauunternehmen, die aufgrund strenger Umweltkontrollen und Steuern aus ihren eigenen Ländern flüchten, kommen nach Argentinien wegen der gesetzlichen Vorteile, die das Land bietet: bis jetzt müssen Unternehmen weder Quellensteuer auf Exporte zahlen, noch Devisen auflösen. Sie bezahlen keine Steuern auf Kraftstoffe und keine Importabgaben. Und in den ersten fünf Jahren leisten sie auch weder nationale, provinziale noch städtische Abgaben. Die staatliche Kontrolle begünstigt sie – entweder weil sie zu lasch ist oder erst gar nicht existiert.
Der geologische Reichtum des Landes, die Verfügbarkeit von Land mit Potenzial und hoher Rentabilität was Kupfer- und Goldbergwerke angeht, machen eine Kontinuität dieses unkalkulierbaren Geschäfts wahrscheinlich. Gleichzeitig führt dies zur unweigerlichen Erschöpfung der Ressourcen, und möglicherweise auch zu einem Ende der argentinischen Souveränität.
Ein Schlaraffenland für die Erdöl- und Bergbauindustrie? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar