(Iquique, 12. Juni 2023, cimacnoticias).- Rosa Huenchuleo Cifuentes, chilenische Mapuche, lebt seit 15 Jahren in Tarapacá. Sie ist in der Öffentlichkeitsarbeit tätig, arbeitet als Präsidentin der Arbeiterinnen-Kooperative Añañuca und führt den Fachverband Küyen Ray für lokale Unternehmerinnen. Mit ihrem Unternehmen Orígenes Reutiliza (zu Deutsch etwa: Ursprüngliche Wiederverwertung) nimmt Rosa am UN-Frauen-Programm Originarias teil, das sich für die wirtschaftliche und soziale Stärkung indigener Frauen einsetzt. Ihr selbst geht es nicht nur um finanzielle Unabhängigkeit. Mit ihrem Unternehmen will sie Recycling-Methoden fördern, um Müll und Verschmutzung zu reduzieren.
Was genau macht dein Unternehmen Orígenes Reutiliza?
Wir wollen eine kulturelle Botschaft vermitteln. Wir haben eine klare Vision und starke, historische Werte, die in unserer eigenen Herkunft wurzeln. Wir stellen unsere Produkte in Chile her und verwenden zu 100 Prozent recycelte Materialien. Das sechsköpfige Team ist sehr engagiert in Bezug auf die Umwelt und möchte damit etwas Positives bewirken. Orígenes Reutiliza sammelt alte Wein- und Bierflaschen, die sie säubert und poliert, um sie wiederverwerten zu können. Wir stellen ökologische Blumenkästen her, Windglockenspiele, Untersetzer, Lampen und vieles mehr. Die Maschinen dafür haben wir selbst entwickelt. Und wir versorgen andere kleine und mittelständische Unternehmen. Diese schicken uns ihre Rohstoffe, und wir fertigen daraus neue Produkte an.
Welche Verbindung gibt es zwischen indigenen Frauen und der Erde?
Für mich als Indigene ist es sehr wichtig, den Respekt gegenüber dem Planeten, seinen natürlichen Ressourcen und der Umwelt zu bewahren. Wir indigenen Völker haben eine direkte Beziehung zur Erde und zu ihrem Schutz. Viele von uns indigenen Frauen leben auf dem Land und sorgen uns um die Pflege unserer Umwelt. Das war schon immer so, das ist Teil unserer Traditionen. Orígenes Reutiliza ist mit der Erde und dem Recycling sehr verbunden, und das nicht nur, indem wir dem, was wir Müll nennen, ein neues Leben oder eine neue Verwendung geben. Orígenes Reutiliza stellt auch Produkte her, die mit der Identität und der Kultur unseres Volkes übereinstimmen. Darüber hinaus ist für mich das UN-Programm Originarias sehr wichtig. Dadurch, dass ich Teil des Programms bin, konnte ich mit anderen indigenen Frauen netzwerken, besonders mit den Aymara. Für mich war das essentiell, um mich dort als Mapuche zugehörig zu fühlen. Ich möchte, dass meine Produkte die Mapuche-Identität widerspiegeln.
Warum ist es so wichtig, Dingen ein zweites Leben zu geben?
Momentan leben wir in einer Wegwerfgesellschaft. Wir nutzen etwas ein Mal und schmeißen es danach weg. Oder wir sehnen uns immer wieder nach einem neuen Ersatz. Dieses Verhalten wird den Planeten irgendwann an seine Grenzen bringen. Daher ist es für uns so wichtig zu zeigen, dass man bestimmte Dinge wiederverwenden kann. Man kann ihnen ein zweites Leben geben, eine neue Verwendung. Auf unserer Suche nach Flaschen bei Nachbarschaftstreffen, in Häusern oder kleinen Mülldeponien finden wir am häufigsten Glas- und Plastikflaschen. Deswegen führen wir Workshops durch, wo wir Interessent*innen zeigen, wie man sie recyceln kann, denn viele Leute finden das spannend, haben aber keine Ahnung, wie das geht. Was wir auch recyclen, sind Bücher. Jedes Jahr führen wir eine Kampagne durch, die Nachbar*innen zu Bücherspenden motiviert. Diese kleine Initiative verändert die Wegwerfkultur, macht glücklich und nimmt uns sogar in die eigene Kindheit mit. Plötzlich liest man nochmal Klassiker, die wir in der Schule durchgenommen haben.
Und wieso ist es so wichtig, Frauen in Führungspositionen von Umweltinitiativen zu fördern?
Im Programm Originarias haben wir an verschiedenen Workshops und Schulungen teilgenommen. Eine davon war ein Führungskräfteseminar. Dort habe ich erkannt: Es fehlt an Informationen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir alle dazulernen und unser Wissen und Traditionen mit denen teilen, die nicht zu unseren indigenen Völkern gehören. In diesen Führungskräfteseminaren, wo zum Beispiel der Berufsverband und die Frauengenossenschaft teilgenommen haben, wurde oft über die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft gesprochen, über kollaboratives Arbeiten und unsere Identität. Letztere ist dabei sehr wichtig, denn sie erlaubt es uns, zu kommunizieren, wer wir sind und woher wir kommen. Ich als indigene Frau habe außerdem versucht, die Liebe und den Respekt, den ich der Erde gegenüber empfinde, in meine Arbeit und mein Unternehmen einfließen zu lassen.
Wie können denn Kooperationen und kollektives Arbeiten dazu beitragen, die Klimakrise zu bewältigen?
Wir Frauen sind die Trägerinnen des Wandels. Frauennetzwerke können im Kampf gegen die Klimakrise helfen, weil kollaboratives Arbeiten so kraftvoll ist. Ich glaube, dass wir bei der Formulierung von Antworten auf den Klimawandel innovativ sein müssen. Deshalb fördern wir die Kreislaufwirtschaft; weil wir mit unseren Produkten zeigen können, dass wir einen erzieherischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beitrag leisten können, indem wir ein grünes Unternehmen sind, das sich für die Umwelt engagiert. Dazu haben wir uns viele Vorschriften auferlegt. Zum Beispiel verwenden wir keine Plastiktüten, sondern animieren unsere Kund*innen dazu, Stofftaschen zu benutzen. Unsere Karten und sogar unsere Visitenkarten sind biologisch abbaubar, und weil sie aus Samenpapier bestehen, kann man sie sogar einpflanzen.
Welche Zukunftspläne hat Orígenes Reutiliza?
Wir arbeiten gerade an einem neuen Prototyp einer Maschine, die Besen aus recycelten Plastikflaschen herstellt. Mit dieser Initiative wollen wir pro Besen 15 Drei-Liter-Flaschen aus der Kreislaufwirtschaft entnehmen und daraus ein Produkt kreieren, das nochmal zwei bis vier Jahre in Benutzung ist. Bisher ist das alles noch sehr rudimentär. Wir sind noch auf der Suche nach Finanzierung, um mit einem verbesserten Design der Maschine weitermachen zu können. Was die Nachhaltigkeit betrifft, so sehe ich als Frau die Notwendigkeit, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen. Veränderungen müssen jetzt passieren! Ich spüre eine noch größere Verantwortung, weil ich Indigene bin. Wir haben einen besonderen Respekt und Zuneigung der Erde gegenüber – das haben uns unsere Mütter und Väter schon seit der Kindheit beigebracht. Daher glaube ich auch, dass jede Initiative funktioniert, egal, ob sie klein oder groß sind. Alles summiert sich. Manchmal wartet man ja darauf, dass andere Leute oder Organisationen eine Lösung finden, aber ich denke, dass in jedem von uns eine Lösung wohnt.
Welche Initiativen sollten denn entstehen, um Frauen in Führungspositionen von Umweltprojekten oder -firmen zu unterstützen oder sichtbar zu machen?
Ich fände es toll, wenn es mehr Raum für Beteiligung und Begegnungen auf Lateinamerika-Ebene gäbe, wo wir uns als Schwestern verschiedener indigener Gemeinschaften austauschen und Erfahrungen teilen können. Das ist immer sehr bereichernd, weil wir voneinander lernen und Erfolgsmodelle reproduzieren können. Wir können lokale Ideen und Projekte vorstellen, weil sie vielleicht an ganz anderen Orten ebenso funktionieren könnten. Zweifellos sind all diese Erfahrungen und Errungenschaften, die wir über die Jahre beim Sammeln und Recyceln erlangt haben, für andere Leute in anderen Städten oder Territorien hilfreich. Dieser Dialog kann ein sehr schöner Austausch sein, weil manchmal weit voneinander entfernte Erfahrungen trotzdem ähnlich sind.
Was möchtest du anderen Frauen aus Lateinamerika und der Karibik gerne mitteilen?
Was ich meinen Schwestern aus anderen Ländern sagen will, ist, dass kleine Veränderungen einen sehr großen Einfluss haben können. Wir Frauen sind dazu berufen, zur Veränderung beizutragen und einen Wandel herbeizuführen. Frauen sind kreativ und dazu in der Lage, sich neu zu erfinden und innovativ zu denken. Die Erde zu retten hat nur ein einziges Ziel: das Leben zu bewahren.
Übersetzung: Patricia Haensel
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