(Mexiko-Stadt, 4. Dezember 2018, la jornada).- Die Polemik über den Maya-Zug endet natürlich nicht mit dem Rückhalt, den dieser in der vergangenen Umfrage bekommen hat. Sie beginnt gerade erst. Dieser Artikel will zur Debatte beitragen und geht dabei von zwei Prämissen aus. Erstens ist es notwendig, zwischen den Auswirkungen zu unterscheiden, die er durch seinen Bau (1525 Kilometer Schiene) verursachen wird und denen, die kurz-, mittel- und langfristig die Bewohner*innen der Region betreffen werden. Zweitens, und wie dies bei jeder technologischen Innovation der Fall ist, werden seine Folgen vom Wechselspiel der politischen, ökonomischen und kulturellen Kräfte abhängen, die diese Innovation auslöst. Nichts garantiert, dass eine Bahnstrecke automatisch Fortschritt und Wohlstand bringt. Ebensowenig ist belegt, dass sie zerstören und schädigen wird. Alles hängt von den sich widersprechenden ökonomischen, politischen und kulturellen Kräften ab. Da die Schienenausdehnung entweder auf bestehenden Strecken oder bereits vorhandenen Straßen durchgeführt werden soll, konzentrieren wir uns auf die Auswirkungen, die das Projekt auf die Dynamiken in der Region haben könnte.
In Mexiko basiert die Diskussion zu einem großen Teil auf der Angst, dieses Megaprojekt könne ein weiteres von denen sein, die in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Regionen des Landes verwüstet haben. Wir selbst haben 560 soziale und Umweltkonflikte sowie Widerstandsaktionen im Land registriert, die durch Großvorhaben im Bergbau, Energiesektor, wegen der Auseinandersetzung um Wasser, Straßen, Tourismus, usw. provoziert wurden. Die Frage ist: Wie kann eine Regierung, die sich als anti-neoliberal bezeichnet, Megaprojekte durchführen und dabei sicherstellen, nicht genau das zu wiederholen, was die neoliberalen Regierungen blindlings gefördert haben?
Yucatán als Schauplatz eines Kampfes zwischen Tradition und Moderne
Die Halbinsel Yucatán ist heute ein riesiger Schauplatz, auf dem sich eine Schlacht zwischen Tradition und Modernität entwickelt, zwischen lokalen Widerständen und globalen Kräften, zwischen biokultureller Erinnerung und modernisierendem Gedächtnisschwund – diesmal mit invertierten geopolitischen Bezugspunkten. Denn im Zentrum stehen die Widerstände, die auf einem Jahrtausende alten Bündnis zwischen Natur und Kultur beruhen. In der Peripherie setzen sich die Enklaven einer zerstörerischen Modernisierung fest und expandieren. Mérida, Cancún, Campeche und Chetumal sind die wichtigsten städtischen Kerngebiete, von denen der „Fortschritt“ auf ein Gebiet ausstrahlt, wo eine seit 3000 (!) Jahren erfolgreiche Kultur lebt. Die Maya-Bevölkerung zählt 2,2 Millionen Menschen (Statistikbehörde INEGI, 2015). Sie stellt 66 Prozent der Bewohner*innen des Bundesstaates Yucatán sowie 44 Prozent der Bundesstaaten Campeche und Quintana Roo.
Die Modernisierungspole gründen ihre Stellung vor allem auf Projekte im Tourismus, Handel und Immobiliensektor. Bisher verursachen diese Entwicklungen Zerstörung und Verlust von biokulturellem Erbe. Sie modifizieren substantiell die Landschaften, indem sie unterirdische Flüsse, Quellen und Cenotes (mit Süßwasser gefüllte Kalksteinlöcher), usw. schädigen, um Städte und Hotels zu errichten. Bisher hat die Branche für den Luxustourismus, die von multinationalem Kapital dominiert wird, keinen ausgeglichenen und gerechten Fortschritt bewirkt, sondern genau das, was im Rest des Landes drei Jahrzehnte neoliberaler Politik angerichtet haben.
Dennoch haben es landeinwärts die biokulturellen und geopolitischen Widerstände geschafft, große Teile des Maya-Urwaldes und etwa 3000 archäologische Stätten zu erhalten. Das Herz der Halbinsel ist voll von Erfahrungen, die von der Kooperation genährt sind. Ein allgemeiner Überblick schließt die Kautschuk-Genossenschaften (3000 Produzent*innen mit ihren Familien), die 49 Ejidos mit Gemeindeschutzgebieten (Hunderttausend Hektar Urwald), die forstwirtschaftlichen Ejidos im Süden Quintana Roos, die eine Million Hektar bewirtschaften, die 20.000 in 169 Genossenschaften organisierten Imker*innen, die Honig nach Europa exportieren, sowie zahllose Projekte, die den Bio-Anbau von Mais in der Milpa (Mehrfruchtanbau) betreiben, ein. Dazu kommt das neu geschaffene Biokulturelle Schutzgebiet Puuc, eine Initiative von fünf Maya-Landkreisen (Muna, Ticul, Santa Elena, Oxkutzcab und Tekax). Dieses Gebiet umfasst 136.000 Hektar. Außerdem gibt es zahlreiche Kooperativen und Netzwerke für Kunsthandwerk, Nahrungsmittel und alternativen Tourismus. Diese Erfahrungen sind Beispiele für eine ökologische, soziale und solidarische Wirtschaft, wo sich kollektiver Reichtum und biokulturelle Verteidigung ballen.
Zusammengefasst: Damit der Maya-Zug die Verwirklichung eines Traumes und kein neuer Alptraum wird, muss dieses Vorhaben Teil eines Maya-Plans für das Leben der ganzen Region sein, im Sinne „einer Modernität von unten und für alle“. Das bedeutet die abgestimmte Beteiligung von Bundesregierung, Bundesstaaten und Kommunen und dieses Sektors mit den Gemeinden, Völkern und Städten. Dieser Plan, an dessen Spitze die neue Regierung stehen muss, muss den „Kulturkonflikt“ anerkennen, sich auf die korrekte Seite stellen, und nicht nur in Zusammenarbeit mit den Maya-Völkern und Organisationen durchgeführt werden, sondern auch mit akademischen Zentren und deren Forscher*innen und Expert*innen, Umweltschutzorganisationen sowie Gemeinschafts- und Privatunternehmen der Region.
*Die komplette Version dieses Textes schließt Kartographie, Videos und Bibliographie ein. Siehe: https://bit.ly/2FZylyV . Víctor M. Toledo steht der neuen Regierung und Präsident Andrés Manuel López Obrador nahe.
Der Maya-Zug: Traum oder Alptraum?* von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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