(Berlin, 22. Mai 2021, poonal).- Ende Februar hat der junge Unternehmer Nayib Bukele bei den Wahlen in El Salvador die absolute Mehrheit geholt. Damit hat er sowohl die linke FMLN als auch die rechte ARENA-Partei weit hinter sich gelassen. Zuvor war Bukele aus der FMLN ausgeschlossen worden und sagt ihr nun den Kampf an.
César Augusto Sención Villalona ist ein in El Salvador bekannter dominikanisch-salvadorianischer Wirtschaftswissenschaftler mit 35 Jahren Erfahrung in der Wirtschafts- und Sozialforschung sowie in der Hochschullehre. Sención Villalona hat mehrere Bücher veröffentlicht und ist Leiter des Berufstätigenverbandes PROES. Er steht der linken Partei FMLN nahe, kritisiert diese aber für ihre schlechte Informationspolitik. Den Wahlsieg Bukeles wertet er nicht als Rechtsruck, sondern als Resultat einer Spaltung der FMLN. Bukele gehe es allerdings vor allem um Geld und Macht.
Wie ist das Verhältnis zwischen Nayib Bukele und seiner ehemaligen Partei FMLN?
Die Beziehung zwischen Nayib Bukele und seiner ehemaligen Partei ist angespannt. Seit die Partei ihn rausgeschmissen hat, führt Bukele eine Kampagne gegen die FMLN. Seit er Präsident ist, ist er nicht müde geworden, die FMLN als Partei von Korrupten zu bezeichnen, sie sei eine Verbündete der ultrarechten ARENA-Partei, und der Bürgerkrieg sei vor allem ein Geschäft gewesen. Seit seinem Rausschmiss ist es Bukeles Ziel, die FMLN zu zerstören.
Seit der Entlassung des Generalstaatsanwalts und der Ernennung neuer Richter Anfang Mai wird kritisiert, dass es keine Gewaltenteilung mehr gebe. Ist El Salvador bereits eine Diktatur?
Ich würde nicht sagen, dass wir eine Diktatur haben, sondern eine Regierung mit diktatorischen Tendenzen. Aber wir sind noch nicht in einer Situation, in der der Opposition jeder Raum genommen wird, Parteien verboten werden, Menschen ins Exil oder ins Gefängnis getrieben würden und es keine Freiheiten mehr gäbe. Das wäre eine Diktatur. Aber es geht in die Richtung. Bukele hat von der Bevölkerung die Mehrheit im Parlament bekommen. Und das ist absolut legal. Aber wie er die Justiz kontrollieren will, wie er fünf der sieben Obersten Richter bestimmen will, das ist illegal! Bukele braucht die Kontrolle über die Staatsanwaltschaft und das Verfassungsgericht.
Über die Staatsanwaltschaft, damit diese nicht Straftaten wie Korruption untersuchen kann, sondern die Opposition verfolgt. Und über das Verfassungsgericht, damit dieses alle illegalen Maßnahmen genehmigt. Und er braucht die Kontrolle über den Rechnungshof, weil dieser von ihm ständig Rechenschaft fordert.
Er will auch die Menschenrechtskommission kontrollieren und könnte versuchen, die Oberste Wahlbehörde neu zu besetzen, die allerdings bis 2024 gewählt ist. Er hat zwar die Mehrheit im Parlament, aber um die Obersten Vertreter der genannten Institutionen zu schassen, müsste er ihnen Verfehlungen nachweisen und das kann er nicht. Und deswegen braucht er den Oberstaatsanwalt, damit dieser mal ein paar Ermittlungen startet.
Ist mit dem Immunitätsgesetz für Funktionär*innen im Gesundheitswesen ein Anstieg von Korruption und Vetternwirtschaft zu befürchten?
Das Gesetz über medizinische Produkte und Behandlungen in Ausnahmesituationen der öffentlichen Gesundheit, wie sie durch Covid-19 verursacht wurden, dient der Straflosigkeit für Beamte und Unternehmen im Gesundheitssektor und der Privatisierung öffentlicher Güter. Das Gesetz sagt: Personen und Körperschaften im Gesundheitssektor genießen Immunität gegenüber gerichtlicher oder administrativer Klagen und Forderungen. Sie sind von zivilrechtlicher, strafrechtlicher oder kommerzieller Verantwortung ebenso freigestellt, wie von Schadensersatzansprüchen, die sich aus Gesundheitsprodukten oder -dienstleistungen ergeben. Das bedeutet: Alle Korruptionsfälle, die sich im Gesundheitswesen ereignet haben oder für die es Indizien gibt, werden nicht weiter ermittelt. Der abgesetzte Oberstaatsanwalt hat gegen 16 öffentliche Institutionen ermittelt. Das hat der neue Staatsanwalt bereits gestoppt, das neue Gesetz tut es noch obendrauf. Diesen Gesundheitsnotstand kann Bukele bis zum Ende der Wahlperiode aufrecht erhalten.
Das Gesundheitsministerium hat nach der Bildung den zweithöchsten Etat, mehr als eine Milliarde Dollar. Ein Artikel des Gesetzes sagt, dass ein Unternehmer oder Unternehmen öffentlichen Besitz pfänden darf, wenn der Staat Forderungen nicht erfüllt. Das bedeutet: Beamte und Minister können nicht zur Rechenschaft gezogen werden, der Staat aber schon. Das kann zur Privatisierung des Gesundheitswesens führen: Von Krankenwagen bis Krankenhäusern, alles kann durch diesen Artikel gepfändet werden! Außerdem muss der Staat pünktlich zahlen. Wenn das Gesundheitsministerium aus irgendeinem Grund nicht pünktlich zahlt, dann müssen andere Ministerien Geld zuschießen, zudem sind Strafzahlungen fällig. Das begünstigt ausschließlich die Unternehmen – und die Familie Bukele besitzt zwei Gesundheitsunternehmen. Und dann gibt es noch die Schadensersatzklausel im Gesetz, nach der das Gesundheitsministerium die Verteidigung von Unternehmen übernimmt, gegen die Schadensersatzansprüche erhoben werden. Wenn es also Probleme mit einer Lieferung gibt, zahlt nicht der Lieferant, sondern der Staat. Das Gesetz ist also verfassungswidrig! Aber wenn gegen das Gesetz vor dem Obersten Verfassungsgericht Beschwerde eingereicht werden sollte, dann wird das (von Bukele neubesetzte) Gericht diese abweisen.
Gibt es wirtschaftliche Gründe für den beeindruckenden Wahlsieg Bukeles in diesem Jahr?
Nein, es gibt keine Wirtschafts- und Sozialpolitik der aktuellen Regierung, die diesen Wahlsieg erklären würde. Im Gegenteil. Von den 40 Programmen der FMLN-Regierung hat Bukele bereits 13 gestoppt. Dann kam Covid-19 und damit die Wirtschaftskrise. Das hat Bukele nicht zu verantworten, aber er hat die Krise verschlimmert, weil er den Gemeinden Geld gestrichen hat, vor allem – unter Korruptionsvorwurf – oppositionellen Gemeinden. Und das hat zum Stillstand bei 3.000 öffentlichen Projekten geführt. Er hat den Ausnahmezustand über Gebühr verlängert und er hat auf Kredit Lebensmittel aus dem Ausland importiert, die er dann als Geschenk des Präsidenten unter das Volk brachte. Alle Wirtschaftsfaktoren verschlechterten sich, die Armut lag Ende 2020 bei 40 Prozent, die Wirtschaftsleistung sank um fast acht Prozent, die Exporte brachen ein, viele Menschen verloren ihre Jobs in den Unternehmen und tausende informelle Mikrounternehmen gingen pleite. Es war ein Krisenjahr!
Die Wirtschaft war also sicher kein Rückenwind für Bukele. Allerdings hätte die Krise weniger schlimm ausfallen können, hätte man den Gemeinden das Geld nicht gekürzt und hätte man mit den über 200 Millionen Dollar lieber heimische Lebensmittel gekauft, statt sie zu importieren. Und wenn es keine Korruption geben würde. Es gab keine Wirtschaftspolitik, die sich an den Menschen orientiert; die Lebensbedingungen der Menschen sind schlechter geworden.
Was also erklärt den Wahlsieg Bukeles? Vor allem seine Strategie: Er hat alle Schuld beim Parlament abgeladen, er hat gesagt, die Altparteien würden ihn nicht regieren lassen. Dann hat er Projekte der Vorgängerregierung eingeweiht, die er als seine eigenen verkaufte. Er hat viele Beamte gefeuert, weil sie Verwandte hoher Funktionäre seien. Ein Teil der sozialen Bewegungen und der Gewerkschaften hat ihn deswegen unterstützt. Die Bevölkerung glaubte schließlich, die Abgeordneten seien das Problem und es sei besser, dem Präsidenten die Abgeordneten zu geben, die er braucht.
Das alles in einer Zeit der großen Krise der FMLN. Die FMLN hat auch keine Kommunikationsstrategie, während die Kapazität Bukeles hier enorm ist. ARENA ist ebenfalls in der Krise und die Oligarchie hat sich zwischen ARENA und Bukele geteilt. Die einen wollen, dass Bukele die FMLN vernichtet, die anderen befürchten, dass er in ihren Gewässern fischt, nämlich sich die öffentlichen Mittel aneignet. Und schließlich war die Wahlkampagne Bukeles und seiner Partei Nuevas Ideas beeindruckend. In einer Woche hat die Partei soviel Werbung geschaltet wie alle anderen Parteien zusammen in zwei Monaten! Das alles erklärt die Wahlergebnisse.
Warum hat es die FMLN nicht geschafft, die Situation im Land deutlich zu verbessern? Warum ist die FMLN bei den Wahlen dermaßen abgestraft worden?
In den beiden Regierungen der FMLN gab es viele Fortschritte im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Die FMLN hat nicht deswegen verloren, denn auch die Gewaltrate ist stark gesunken. Der Grund liegt im internen politischen Bereich. Zum einen die Spaltung der FMLN durch Bukele; und, dass die Leute kein Zurück zur konservativen ARENA-Partei wollten, aber der FMLN keine Gewinnaussichten gaben. Dazu kam die Unfähigkeit zur Kommunikation, vor allem bei der zweiten FMLN-Regierung unter Sánchez Cerén.
Außerdem hat die Bevölkerung ein schlechtes Bild von den Funktionären. Bei einigen gab es Anzeichen von Korruption, andere galten als unfähig oder standen mit der Mafia in Verbindung. Das kam schlecht an bei den Leuten, aber Cerén hat niemanden von ihnen entlassen.
Worin besteht die Wirtschaftspolitik von Bukele?
Die Regierung hat weder einen wirtschaftlichen noch sozialen Plan. Zumindest gibt es nichts Schriftliches. Bukele verhandelt mit dem IWF über ein drei-Jahres-Programm – ein klassisches IWF-Programm: Ausgaben reduzieren, Einnahmen steigern. Um die Ausgaben zu reduzieren, müssten Sozialprogramme gekürzt werden, die Preise würden steigen. Das macht Bukele Angst, nachdem was in Kolumbien gerade passiert, aber auch, weil er wegen der Entlassung des Generalstaatsanwalts in der nationalen und internationalen Kritik steht. Er will also einen Kredit, aber nicht unter den Vorgaben einer Steuererhöhung. Also verhandelt er weiter mit dem IWF, denn wenn er das nicht tut, gibt es keine Kredite mehr. Durch die IWF-Programme werden öffentliche Ausgaben gekürzt, und die Bevölkerung wird durch Steuererhöhungen betroffen. Am Ende wächst die Wirtschaft langsamer, Investitionen bleiben aus, die Preise steigen und es xkönnen keine Arbeitsplätze zurückgewonnen werden, die im letzten Jahr durch die Pandemie verloren gegangen sind. Um die Wirtschaft steht es also überhaupt nicht gut. Aber was wäre das Programm der Regierung? Ein drei-Jahres-Programm des IWF.
Was sind die Ziele von Nayib Bukele? Was wird aus El Salvador?
Die Familie Bukele und mit ihr befreundete Unternehmer*innen bilden etwas, das wir „Unternehmerklan“ nennen. Dazu gehören Hotelbesitzer, Besitzer von Fernsehkanälen, Baufirmen. Diese Unternehmer gehören aber nicht zur salvadoranischen Oligarchie. Diese traditionell mächtigen Familien dominieren die Wirtschaft in allen Bereichen. Bukele spielt nicht auf diesem Niveau. Sein Unternehmerclan hat zwei Ziele: Er will die FMLN als linkes Projekt fertigmachen. und zum Zweiten: Er will selbst zur Oligarchie aufschließen.
Beim ersten Ziel unterstützt ihn die Oligarchie. Beim zweiten gibt es aber Widerstand. Viele mächtige Oligarchen wollen nicht, dass Bukele zu reich wird. Auch wenn sie es gut finden, wenn er die FMLN vernichtet, so kann er doch in seiner Präsidentschaft ungeheure Reichtümer anhäufen und der Oligarchie dann Konkurrenz machen.
Um das zu erreichen, will Bukele öffentliche Unternehmen privatisieren, d.h. günstig an seine Unternehmerclique verkaufen: staatliche Kreditinstitute, Energieunternehmen, das nationale Radio, den Flughafen, die Häfen. Zweitens: öffentliche Ausschreibungen. Hier soll alles so intransparent gestaltet werden, dass die Öffentlichkeit z.B. nicht mehr erfährt, wer eine Ausschreibung mit welchem Angebot verloren hat. Da geht es um viele Milliarden Dollar. Und die landen alle in dieser Unternehmerclique, wenn der Staat dann von ihnen kauft. Dann die Wirtschaftsförderung, die Unternehmen zu Gute kommen. Steuererleichterungen, z.B. Importsteuern auf Produkte, mit denen Bukele Geschäfte macht. Und dazu kommt natürlich noch die Korruption. Das muss nicht alles so kommen, ich sage nur, was er machen kann. Mit diesen vier Mechanismen über die nächsten drei Jahre – und wenn er es dann noch schafft, sich entgegen der Verfassung erneut als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen oder wenn ein anderer aus seinem Clan der nächste Präsident wird, dann kann der Bukele-Clan durchaus so mächtig werden wie die traditionelle Oligarchie.
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