Morde und Drohungen gegen Indigene in Paraná

Avá Guaraní Guaira
Kinder der Ava Guaraní beobachten nicht-Indigene nahe der Gemeinschaft Guasu Guavirá in Paraná. Foto: Povo Avá Guarani via Brasil de Fato

(São Paulo, 14. Juli 2025, brasil de fato).- Ein 21-jähriger Angehöriger der indigenen Gemeinschaften der Avá Guaraní, Sohn des Kaziken der indigenen Gemeinschaft Yvyju Awary, wurde am 12. Juli in der Stadt Guaíra im Westen des brasilianischen Bundesstaates Paraná ermordet und enthauptet. Everton Lopes Rodrigues Leiche wurde in einem Maisfeld am Ortseingang zurückgelassen. Neben seinem Kopf fand man einen Brief mit Drohungen gegen die indigenen Gemeinschaften, die in der Gegend für die Rückgewinnung ihres Landes kämpfen.

Der mit „Bonde 06 do N. C. S. O.“ unterschriebene Brief wiederholt die von dem Agrobusiness und der regionalen Presse in Umlauf gebrachten Behauptungen: In ihm werden die Indigenen Opfer als Paraguayer bezeichnet und mit dem Ersten Hauptstadtkommando PCC, der größten kriminellen Organisation Brasiliens, in Verbindung gebracht.

Die Gemeinschaften der Avá Guaraní von Paraná verurteilen diese Behauptungen als xenophobisch. Im Juli 2024 hatten sie eine neue Welle der Gebietsrückgewinnung im Indigenen Territorium (Terra Indígena, TI) Guasu Guavirá gestartet und sind seitdem Ziel einer Serie von Angriffen durch Bewaffnete. Sie sehen darin die Absicht, einen legitimen Kampf für die Rückgewinnung von angestammten Land, von dem sie vertrieben worden waren, zu kriminalisieren. Im Januar dieses Jahres protestierte die Gemeinschaft von Yvy Okaju in einer fast einstündigen Livesendung gegen eine Reportage von Record TV, welche diesen diskriminierenden Inhalt verbreitet hatte.

„Jeden auslöschen, der sich uns in den Weg stellt“

Im Brief, der neben Evertons Leiche hinterlassen wurde, steht zudem, dass die Bewaffneten bereit seien, „jeden auszulöschen, der sich uns in den Weg stellt“. „Wenn ihr nicht die kürzlich besetzten Gebiete räumt, werden wir mehr von euch umbringen, wir werden in eure Dörfer eindringen, wir werden Busse angreifen, in denen eure Kinder sitzen, und diese bei lebendigem Leibe verbrennen. Das ist keine leere Drohung, sondern eine voller Hass“, heißt es in dem Abschnitt des Briefs.

Der von Hand auf zwei herausgerissenen Blättern eines Heftes geschriebene Brief kündigt an, dass der nächste Angriff gegen die Força Nacional gerichtet sein wird, eine Sondereinheit der brasilianischen Bundesregierung, die seit der Zuspitzung des Landkonflikts in die Region verlegt wurde. „Wir warnen euch, denn wir sind Banditen, aber keine Feiglinge. Wartet die nächste Runde ab. Ihr werdet Panzerwagen brauchen.“ [Anm. d. Übers.: Im Originalartikel von Brasil de Fato wird auf einige der zahlreich im Brief enthaltenen Fehler hingewiesen.]

Indigene unter Schock

Die Stimmung bei den Avá Guaraní sei geprägt von „viel Unsicherheit und vielen Fragen“, erzählte Josiel*, eine der indigenen Führungspersönlichkeiten. Noch im Schockzustand warten sie auf die Freigabe von Evertons Leichnam durch das gerichtsmedizinische Institut. Informationen zufolge, die man den Indigenen bereits zukommen ließ, soll der junge Mann erschossen worden sein.

Indigene und Aktivist*innen für indigene Rechte aus dem Westen Paranás, die für die Reportage von Brasil de Fato befragt wurden, bestätigten, dass sie niemals von einer Gruppe mit dem Namen Bonde 06 do N. C. S. O. gehört hätten.

„Es müssen Ermittlungen stattfinden. Während dieser Jahre der Landrückeroberungen waren wir Opfer von Milizen im Dienste des Agrobusiness. Ich verstehe nicht, warum eine Gruppe des organisierten Verbrechens sich mitten in der Nacht in einen Hinterhalt legen und darauf warten sollte, dass ein Indigener vorbeikommt, um ihn zu enthaupten“, erklärt Antônia*, eine weitere Anführerin der Avá Guaraní, mit Nachdruck.

„Ein wichtiger Hinweis ist, dass diese Nachricht die Landrückeroberungen erwähnt“, betont Josiel. „Wie kann man eine ganze Gemeinschaft verunsichern? Indem man den Schulbus bedroht und die Dörfer angreift. Die Mütter haben Angst, ihre Kinder in die Schule zu schicken, Arbeiter und Arbeiterinnen haben Angst, mitten in der Nacht nach draußen zu gehen, um den Bus zu nehmen, und die Gemeinschaften haben Angst, nachts zu schlafen“, erzählt er.

Brief übernimmt Verantwortung für einen weiteren Todesfall

Es handelt sich um die zweite Enthauptung eines Angehörigen der Avá Guaraní in diesem Jahr. Am 22. März wurde der 33-jährige Marcelo Ortiz auf einer Landstraße von Guaíra tot aufgefunden, der Kopf war vom Körper abgetrennt. Er trug den Spitznamen Ku’i, war Arbeiter und wohnte in der indigenen Gemeinschaft (Tekoha) Jevy, die ebenfalls zum Indigenen Territorium Guasu Guavirá gehört.

Einen Tag nach dem Verbrechen nahm die Bundespolizei drei Indigene als Verdächtige für das Verbrechen fest. Die Ermittlungen sollen darauf hinweisen, dass es sich um eine „schwerwiegende Meinungsverschiedenheit“ gehandelt habe, und schlossen jeglichen Zusammenhang mit einem Landstreit aus.

Im Brief, der am 12. Juli neben Everton gefunden wurde, übernahmen die Kriminellen die Verantwortung für den vorigen Mord. „Wir mussten das Schauspiel wiederholen, weil wir es damals nicht geschafft hatten, die Nachricht zu hinterlassen. Marcelo wurde von uns getötet.“

Schutzmaßnahmen gefordert

In einer am 14. Juli veröffentlichten Mitteilung betonte die katholische Indigenenorganisation Conselho Indigenista Missionário (Cimi) für Südbrasilien, es sei „von außerordentlicher Dringlichkeit, dass die zuständigen Behörden die Drohungen ernst nehmen, die auf dem Zettel standen, der neben der Leiche des jungen Avá Guaraní gefunden wurde. Sie müssen dringend effektive Maßnahmen ergreifen, um die dort zur Einschüchterung angekündigten Taten zu verhindern.“

Sowohl die Bundespolizei als auch die Zivilpolizei von Paraná wurden für die Reportage befragt; beide erklärten, dass sie „seit den frühen Stunden des 12. Juli die Entwicklung der Ereignisse verfolgen und dass Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet wurden.“

Das Ministerium für Menschenrechte und Staatsbürgerschaft (MDHC) erklärte ebenfalls, den Fall von Anfang an zu verfolgen, „mit dem Ziel, den Schutz der Anführer*innen und der bedrohten Gemeinschaften sicherzustellen, sowie die Ermittlungen zu begleiten, damit dieses Verbrechen nicht ungestraft bleibt.“ In Paraná sind 19 Anführer*innen der Avá Guaraní Teil des Programms zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Umweltschützer*innen (PPDDH).

Indigenes Territorium Guasu Guavirá

Das Tekoha Yvyju Awary, wo Everton gefunden wurde, gehört zum Indigenen Territorium Guasu Guavirá, auf dem 165 Farmen liegen. Seine Fläche von 24.000 Hektar wurde bereits 2018 von der Nationalen Behörde für Indigene Angelegenheiten (FUNAI) identifiziert und abgegrenzt. Seitdem ruht der Demarkationsprozess jedoch aufgrund einer Klage der Gemeinden Guaíra und Terra Roxa, der das Bundesgericht in erster Instanz stattgegeben hat. [Anm. d. Übers.: Beide Gemeinden liegen teilweise innerhalb des Indigenen Territoriums.]

Damit der Prozess wieder in Gang kommt, muss der Oberste Bundesgerichtshof (STF) über die Klagen entscheiden, die die Verfassungsmäßigkeit des vom Nationalkongress im September 2023 verabschiedeten Zeitrahmens in Frage stellen. [Dabei geht es darum, ob der brasilianische Staat nur solche Gebiete als Indigene Territorien demarkieren kann, die bereits vor dem Inkrafttreten der brasilianischen Verfassung am 5. Oktober 1988 von indigenen Völkern bewohnt wurden, Anm. d. Übers.]

Die nur auf kleinen Gebieten oder besetzten Territorien lebenden Avá Guaraní drängen auf die Demarkation ihrer Gebiete im Westen des Bundesstaates Paraná, um sie offiziell zurückzugewinnen. Seit Juli 2024, als die Indigenen von einem Teil ihres Territoriums wieder Besitz ergriffen, eskaliert die Gewalt und die Stadt Guaíra wurde zum Zentrum des Konflikts.

In dieser Gemeinde, die an der Grenze zu Paraguay liegt, wurde nahe dem zurückgewonnenen Ort Yvy Okaju ein Camp für Nicht-Indigene errichtet. Das Dorf war Ziel verschiedener bewaffneter Angriffe; zwölf Einwohner*innen wurden bereits angeschossen, darunter ein Kind und ein junger Mann.

Landkauf zu Gunsten der Indigenen vorgesehen

Im März 2025 unterschrieb die Firma Itaipu Binacional [Betreiber des 1984 fertiggestellten Wasserkraftwerks Itaipu – ein Gemeinschaftsprojekt Paraguays und Brasiliens, Anm. d. Übers.] eine Vereinbarung mit der brasilianischen Bundesregierung, der Indigenenbehörde FUNAI und dem Nationalen Institut für Landgewinnung und Agrarreform (INCRA) über den Erwerb von 3.000 der 24.000 Hektar des Indigenen Territoriums Guasu Guavirá. Die Initiative, die die Zahlung von 240 Millionen Reais (37 Millionen Euro) für den Kauf von gegenwärtig rechtlich umstrittenen Flächen vorsieht, ist eine Art Wiedergutmachung dafür, dass die Indigenen während des Baus des Wasserkraftwerks von ihrem Land vertrieben worden waren.

Der Landerwerb ist bisher jedoch noch nicht erfolgt. Das INCRA muss eine Bewertung der von den Avá Guaraní und der FUNAI angegebenen Gebiete vorlegen, damit von dieser Grundlage aus Anhörungen vor Gericht beginnen können, um mit den Eigentümer*innen über den Kauf zu verhandeln.

*Zum Schutz und zur Sicherheit der Beteiligten wurden die Namen geändert.

Übersetzung: Christa Röpstorff

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