(Quito, 19.6.2022, mutantia).- Seit Samstag, dem 18. Juni 2022 herrscht in den ecuadorianischen Provinzen Pichincha (mit der Haupstadt Quito), Cotopaxi und Imbabura der Ausnahmezustand. Auch mit einigen eher halbherzigen Zugeständnissen vonseiten des rechtskonservativen Präsidenten und Bankbesitzers Guillermo Lasso sieht das Panorama für Verhandlungen und Annäherung an die demonstrierenden indigenen Volksbewegungen derzeit mager aus. Möglicherweise wird das Parlament den Ausnahmezustand jedoch wieder aufheben, ein Votum zur Prüfung der Legitimität dieser Maßnahme erbrachte eine absolute Mehrheit. Die Entscheidung wird am 20.6. erwartet. Währenddessen sind die Freiheits- und Grundrechte massiv eingeschränkt. Gleichzeitig haben die Gewaltspirale und die Kriminalisierung der indigenen Bewegungen stetig zugenommen. Bei Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrant/innen sowohl in Quito als auch in den Anden-Provinzen gab es zahlreiche Verletzte. Der Sprecher der indigenen Bewegungen und Präsident des Dachverbands der indigenen Nationen Ecuadors (CONAIE), Leonidas Iza, hatte bereits am 16.06. erklärt, dass der landesweite Streik für unbegrenzte Zeit fortgesetzt würde, bis es von Seiten der Regierung Lassos eine Antwort auf die zehn Forderungen der Indigenen und der anderen sozialen Bewegungen gibt. Sowohl CONAIE als auch der Zusammenschluss der Evangelikalen Indigenen (FEINE) wiesen darauf hin, dass die Zentralregierung seit einem Jahr auf „Antworten auf die Forderungen des Volkes“ wartet. Bislang waren mehrere Versuche des Dialogs gescheitert, Iza betont, die Regierung „hört, aber sie hört uns nicht wirklich zu“. Iza selbst war am Montag, den 13.6. festgenommen, am Folgetag jedoch unter Auflagen wieder freigelassen worden. Hintergrund des Konflikts sind vor allem die extremen Preissteigerungen für Benzin und Grundnahrungsmittel wie z.B. Speiseöl.
Die zehn Forderungen der indigenen Bewegungen sind:
- Senkung und Einfrieren der Treibstoffpreise, Diesel auf 1,50 US-Dollar per Galone und Normalbenzin auf 2,10 US-Dollar.
(Hier merkt die Regierung an, sie habe den Preis seit sechs Monaten nicht mehr angehoben. Dies entspricht jedoch nicht der Wahrheit, da das Benzin nunmehr 2,55 US-Dollar kostet.)
- Einjähriges Moratorium und Neuverhandlungen bezüglich der Schulden von Haushalten mit Niedrig-Einkommen, inklusive Reduzierung der Zinssätze bei privaten und staatlichen Banken und Kooperativen.
(Laut Regierung wird hier zurzeit an einem Schuldenerlass-Plan für die staatliche BANEcuador gearbeitet. Eine konkrete Reaktion gibt es hierzu derzeit jedoch nicht.)
- Faire Preise für landwirtschaftliche Produkte von Kleinbauern und Produzent/innen.
(Hierzu verlautbarte die Regierung lediglich, sie „arbeite daran“.)
- Arbeit und Beschäftigung. Investitionen zur Beendigung der weiteren Prekarisierung der Arbeitsbedingungen und zur Förderung der Volkswirtschaft der unteren Einkommensschichten. Begleichung der Schulden der Regierung bei der staatlichen Sozialversicherungsbehörde iess.
(Der zuständige Minister verwies diesbezüglich auf bereits geschaffene Arbeitsplätze und betonte, auch mit der Schuldentilgung habe man bereits begonnen.)
- Umsetzung von kollektiven Rechten wie der interkulturellen zweisprachigen Bildung, indigene Gerichtsbarkeit, vorherige freie und informierte Zustimmung bei Großprojekten auf indigenen Territorien.
(Hierzu hat der Präsident am Freitag einen Erlass verabschiedet, der das Budget für die interkulturelle zweisprachige Bildung verdoppelt. Die Gelder waren jedoch vorher drastisch gekürzt worden.)
- Moratorium für die Erweiterung der Aktivitäten im Bergbau und in der Erdöl-Förderung, Aufhebung der diesbezüglichen Dekrete 95 und 151
(Hierzu hat sich die Regierung noch nicht geäußert, sondern betonte nur den „Kampf gegen den illegalen Bergbau“.)
- Schluss mit der Privatisierung von Schlüsselsektoren wie der Banco del Pacífico, der Sozialversicherungsbehörde iess, der Telefongesellschaft CNT und anderen.
(Die Regierung verneint, dass es überhaupt Privatisierungen gegeben habe und dass dies nicht auf ihrer Agenda steht.)
- Kontrolle und Regulierung der Preise von Grundnahrungsmitteln auf den Märkten, um den rasanten Preissteigerungen entgegenzuwirken.
(Auch hierzu gibt es noch keine konkrete Reaktion vonseiten des Präsidenten.)
- Bildung und Gesundheit. Ein Sofortprogramm zur Verbesserung der personellen und materiellen Ausstattung der öffentlichen Krankenhäuser. Verbesserter Zugang zu höherer und akademischer Bildung.
(Ebenfalls keine abschließenden Äußerungen der ecuadorianischen Regierung. Erwähnt wurden im Zusammenhang mit dieser Forderung die Wiederöffnung von Schulen nach der Pandemie und die Einführung von kleinen Landschulen.)
- Sicherheit: Eine Politik zur Eindämmung der Gewaltdelikte, der Auftragsmorde, Kriminalität, Entführungen und des organisierten Verbrechens.
(Auch hier ließ die Regierung lediglich verlauten, dass sie sich mit den Bürgermeistern im Land zur Erarbeitung diesbezüglicher Strategien getroffen hat.)
Sämtliche Entgegnungen der Regierung wies die CONAIE als völlig unzureichend zurück. Am 19.6. näherten sich vom Norden und Süden indigene Gruppierungen der Hauptstadt Quito, um den Präsidenten zur Umsetzung der genannten Punkte zu zwingen; einen „Dialog“ lehnen sie mittlerweile ab.
Übersetzung: Christian Cray
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