(São Paulo, 22. April 2021, Brasil de Fato) Im April nahmen indigene Bevölkerungsgruppen aus ganz Brasilien im Rahmen des „Indigenen April“ an Aktionen und Protestzügen teil. Zum Programm gehörten Diskussionen über indigene Gesundheit, die Markierung indigenen Territoriums und die Behebung von Konflikten mit Agrarindustrie und Bergbaugesellschaften. Um die indigenen Kämpfe dieses Jahres verstehen zu können, sprach das brasilianische Nachrichtenportal Brasil de Fato mit Marcos Xuruku, dem cacique (indigene Führungsposition, Anm. d. Red.) der Xukuru do Ororubá, einer indigenen Gemeinschaft, die in 24 Dörfern rund 20.000 Einwohner*innen im Landkreis Pesqueira im nordostbrasilianischen Bundesstaat Pernambuco umfasst.
Der heute 42-jährige Marcos Luidson de Araújo übernahm das Amt des cacique im Alter von 25 Jahren; fünf Jahre, nachdem sein Vater Chicão im Jahr 1998 erschossen worden war. 2020 nahm Marcos Xukuru an der Bürgermeisterwahl in Pesqueira teil und gewann. Der Wahlrichter erlaubt ihm jedoch bisher nicht, sein Amt anzutreten, da er wegen eines Brandes in der Stadt im Jahr 2015 trotz fehlender Beweise verurteilt wurde. Seine Verteidigung argumentiert jedoch, dass das „Saubere Akte-Gesetz“, das es gerichtlich verurteilten Personen verbietet, ein politisches Amt zu übernehmen, in derartigen Situationen nicht greift. Nun wird auf eine Entscheidung des Obersten Wahlgerichts gewartet. Marcos Luidson de Araújo ist der erste Indigene in der Geschichte der Stadt, der in die Position des Bürgermeisters gewählt wurde. 15 Prozent der Bevölkerung besteht aus Xukuru, die zumeist in Dörfern in ländlichen Gebieten leben. Im Interview spricht Marcos Xuruku über die wichtigsten Kämpfe der indigenen Bevölkerung.
Brasil de Fato: Was bedeutet es für Sie, im Brasilien des Jahres 2021 indigen zu sein?
Marcos Xuruku: Wir befinden uns in einer Zeit vieler Auseinandersetzungen. Die indigene Bevölkerung war historisch gesehen schon immer in wichtige Konflikte verwickelt, wie die Kämpfe für unser Land. Heute kann man sagen, dass es diesbezüglich nicht viel zu feiern gibt. Unsere Aufgabe bestand schon immer darin, für eine Verbesserung der Lebensqualität zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass der brasilianische Staat seine institutionelle Verantwortung, die darin besteht, indigenes Land zu demarkieren, diese Gebiete zu schützen und unseren Völkern ein würdiges Leben innerhalb dieser Räume zu garantieren, erfüllt. Das bedeutet, dass wir uns neben den zurückgewonnenen physischen Gebieten auch für öffentliche Programme einsetzen, die uns erreichen und auf unsere Bedürfnisse innerhalb der Sonderstellung eingehen, die uns die Verfassung als indigene Völker in diesem Land garantiert.
Der 19. April ist der Tag des indigenen Kampfes. Welche Bedeutung hat dieser Tag für Sie?
Die indigene Bewegung hat den ganzen Monat als „Indigenen April“ etabliert. In diesem Monat haben wir die Möglichkeit, die Kämpfe und die Grundsätze der Bewegung sichtbar zu machen. Es ist unsere Gelegenheit, auf die Verstöße hinzuweisen, die der brasilianische Staat begeht. Einer davon ist der Rückschlag bei den Verhandlungen um die Abgrenzung von indigenem Land, den der Staat durch die Lähmung der Prozesse anstrebt. Deshalb haben wir im Nationalkongress proaktive Initiativen eingeleitet, die sich mit der Demarkierung von indigenem Land, dem Vormarsch der Agrarwirtschaft und der Abholzung der Wälder befassen.
Derzeit leben laut knapp 900.000 Indigene in Brasilien, laut offiziellen Zahlen jedoch nur circa 500.00 auf indigenem Land, während die restlichen 400.000 in nicht markierten Gebieten leben. Wie bewerten Sie die fehlende Demarkierung?
Die nicht vorhandene Demarkierung bedeutet sehr viel Gewalt. Selbst nach mehr als 500 Jahren [seit der Ankunft der portugiesischen Kolonisatoren] kämpfen wir darum, dass der brasilianische Staat unsere Territorien anerkennt. Die aktuelle Verfassung wurde vor fast 30 Jahren erlassen, aber der brasilianische Staat versäumt es, diese gegenüber der indigenen Bevölkerung umzusetzen. Die Gewalt nimmt immer mehr zu, weil das Land nicht demarkiert wird und die indigenen Völker sich nach und nach dazu gezwungen sehen, diese Räume zu besetzen. Auf die Rückeroberung der Gebiete folgen dann Attentate und die Kriminalisierung der Führung der Bewegung. Aber nur weil es schwierig ist, bedeutet das nicht, dass die Bewegung zum Stillstand gekommen ist. Die Bewegung ist aktiv und setzt sich unablässig für die indigenen Belange ein, sei es im Nationalkongress, in den Bundesstaaten oder überall dort, wo wir beteiligt sind.
Nach offiziellen Angaben wurden mehr als 52.000 indigene Personen mit COVID-19 infiziert und mehr als 1.000 starben an den Folgen der Krankheit, die 163 der indigenen Völker Brasiliens traf. Wie bewerten Sie die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in den indigenen Gemeinschaften und die Impfung?
Wir hatten unterschiedliche Probleme mit der Pandemie. Besonders unsere große territoriale Verteilung stellte uns vor Schwierigkeiten, denn die Maßnahmen variierten innerhalb der Bundesstaaten und mit den Führungspersonen. Hier in Pernambuco waren wir diesbezüglich in einer besseren Situation, weil die indigenen Führungskräfte sofort aktiv wurden. Innerhalb unserer Gemeinde haben wir gemeinsam mit dem Bezirk sanitäre Barrieren aufgestellt und Masken und Desinfektionsgel verteilt. Wir könnten also im Rahmen des damals Möglichen eine Antwort auf die Herausforderungen geben. In Xuruku haben wir zum Beispiel ein Haus zur Unterstützung gebaut. Dort haben wir unsere infizierten Verwandten aufgenommen und ihnen eine angemessene Behandlung zukommen lassen. Und wir haben das Impfprogramm fast ganz abgeschlossen. Bis jetzt ist es uns gelungen, 95 Prozent der Bevölkerung des Gebiets der Xuruku zu impfen und wir warten nur noch auf die Genehmigung, die Impfung bei schwangeren Frauen und stillenden Müttern durchführen zu können. Bald werden wir, nach Maßstäben der WHO, 100 Prozent der Menschen geimpft haben.
Übersetzung: Hannah Hefter
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