(Berlin, 6. Juli 2023, taz).- Es war ein Ergebnis, das kaum jemand in Guatemala erwartet hatte: Bernardo Arévalo vom Movimiento Semilla (wörtlich: Samenkornbewegung) ging aus den jüngsten Präsidentschaftswahlen als zweitstärkster Kandidat hervor. Damit qualifizierte sich der Linkspolitiker für die Stichwahlen und hat Chancen, künftig das oberste Staatsamt zu bekleiden.
Doch damit wollen sich die rechten Gegner*innen Arévalos nicht abfinden. Neun Parteien forderten, dass der Ausgang der Wahl vom 25. Juni wegen Ungereimtheiten überprüft werden müsste. Trotz heftiger Widersprüche ordnete das Verfassungsgericht daraufhin eine Neuauszählung von 122.000 Stimmzetteln an. Doch die ergab bislang nicht das von den Kläger*innen erwünschte Ergebnis. Die Unterschiede zur ursprünglichen Zählung seien minimal, sagte der Sprecher der obersten Wahlbehörde, Luis Gerardo Ramírez, am 5. Juli nach Auszählung über der Hälfte der Zettel.
Politisches Manöver vermutet
Kritiker*innen der Regierung des konservativen Präsidenten Alejandro Giammattei vermuten hinter der Klage ein politisches Manöver, um einen Wahlsieg des Movimiento Semilla zu verhindern. „Diese korrupte politische Klasse ist damit konfrontiert“, sagt Arévalo selbst, „dass sie die Kontrolle über das System verlieren könnte.“
Das Movimiento Semilla war aus einer Bewegung entstanden, die sich 2015 gegen den „Pakt der Korrupten“ stellte, also die kriminellen Machenschaften von Politiker*innen, Militärs, Unternehmern und der organisierten Kriminalität. Damals hatte die UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) zahlreiche Fälle von Korruption bis in höchste Staatsämter aufgedeckt. Im Jahr 2019 wurde die CICIG des Landes verwiesen.
Der rechte Einfluss auf Gerichte und Institutionen
Bei den jetzigen Wahlen konnte Arévalo etwa zwölf Prozent der Stimmen für sich verbuchen, seine Konkurrentin Sandra Torres von der zentristischen Partei UNE konnte mit rund 15 Prozent am meisten Wähler*innen hinter sich vereinen. Rechte Kandidat*innen lagen wesentlich niedriger als erwartet. So etwa Zury Ríos, die Tochter des verstorbenen Diktators Efraín Ríos Montt, der wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden war. Der Anwärter von Giammatteis Partei Vamos, Manuel Conde, kam auf Platz drei.
Nach dem Urnengang erkannten zunächst alle Kandidat*innen das Ergebnis an. Selbst Zury Ríos wünschte den Gewinnern auf Twitter „viel Erfolg“ bei der Stichwahl, die am 20. August stattfinden soll. Wahlbeobachter*innen sprachen von wenigen Zwischenfällen.
Doch wenige Tage später veröffentlichten neun Parteien eine Erklärung, in der sie „Inkonsistenzen, Veränderungen und andere Unstimmigkeiten“ beklagten und die Neuauszählung forderten. Unter den Unterzeichnerinnen befand sich neben Ríos Valor- und Giammatteis Partei Vamos auch die Wahlgewinnerin UNE.
Stichwahl am 20. August
Dass die Verfassungsrichter der Forderung stattgaben, bestätigt vielen Kritiker*innen, wie stark der Einfluss Giammatteis und anderer konservativer Kräfte auf Gerichte und Institutionen ist. „Diese Entscheidung ist mit der Regierung abgesprochen“, kritisiert der ehemalige Antikorruptionsstaatsanwalt Juan Francisco Sandoval. Es sei ein Versuch, den Wahlprozess zu delegitimieren. Die EU-Wahlbeobachtergruppe fordert von den Behörden, „den eindeutigen Willen der Bürger zu respektieren“.
Bereits im Vorfeld der Wahl kam zu Manipulationen. Gerichte hatten vier oppositionellen Kandidat*innen mit fadenscheinigen Begründungen verboten, anzutreten. Zudem geht Giammattei zunehmend schärfer gegen seine Kritiker*innen vor. Zahlreiche Jurist*innen und Journalist*innen sind ins Exil gegangen.
Für Daniel Haering von der Denkfabrik „Dialogos“ ist es wenig verwunderlich, dass der „Pakt der Korrupten“ vieles dafür tut, dass die Verhältnisse so bleiben: „Es gibt große Angst, dass die Ära von 2015 und der CICIG wiederbelebt wird, wenn Semilla an die Regierung kommt.“
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