Michelle Bachelet könnte Kandidatin der Linken werden

Bachelet
War schon zweimal Präsidentin: Michelle Bachelet.
Foto: UN Women via flickr
CC BY-NC-ND 2.0

(Santiago de Chile, 4. März 2025, El Salto).- Viele sehen in der sozialistischen Ex-Präsidentin die einzige politische Kraft, die in der Lage ist, den Vormarsch der Rechten aufzuhalten. Ob sie überhaupt antreten wird und ob ihre Popularität ausreicht, um die konservative Evelyn Matthei zu schlagen, ist jedoch unklar.

Dieses Jahr werden in Chile die Präsidentschaftswahlen stattfinden, aber wer für die Linken antritt, ist noch offen. Die Rechten sind da schon einen Schritt weiter: Sie schicken die ehemalige Bürgermeisterin von Providencia, Evelyn Matthei, ins Rennen. Matthei, die sich 2013 schon mal zur Wahl gestellt hat, ist in ihren eigenen Reihen eine beliebte Persönlichkeit. Noch weiter rechts von ihr konkurriert der rechtsextreme José Antonio Kast mit Johannes Kaiser, einem weiteren rechtsradikalen Kandidaten, der sich selbst als „Libertär“ bezeichnet und dem Vorbild des argentinischen Präsidenten Javier Milei folgen will. Während die Rechten eine Vielzahl an Optionen bieten, ist bei der Linken nichts konkret, alles wirkt undurchsichtig. Es scheint, als habe kein Mitglied der Regierung genügend Unterstützung, um bei den Wahlen konkurrenzfähig zu sein. Die Populärsten unter ihnen, wie Tomás Vodanovic Bürgermeister von Maipú und Frente Amplio-Abgeordneter, oder Claudio Orrego, Gouverneur der Metropolregion Santiago, früher Christdemokrat, jetzt Unabhängiger – haben mehrfach erklärt, dass sie ihre lokalen Ämter nicht aufgeben werden, um an dem Wettstreit um das Präsidentschaftsamt mitzumischen. In dem gegenwärtigen Klima der Verunsicherung hat sich eine Figur herauskristallisiert, die die Kommunistische Partei, den Frente Amplio und die Parteien der ehemaligen Concertación zusammenbringen und eine Mehrheit hinter sich vereinen könnte, und das ist Ex-Präsidentin Michelle Bachelet. Sie wird zwar bei weitem nicht von allen unterstützt, aber im Moment scheint sie die Einzige zu sein, die mit der große Favoritin Evelyn Matthei im Rennen um die Präsidentschaft mithalten könnte.

Was sagen die Zahlen?

Wie das Meinungsforschungsinstitut Cadem am 16. Februar mitteilte, ist Bachelet die bekannteste Kandidatin, bekam die viertbeste Bewertung, und 50 Prozent der Befragten sagten, sie könnten sich vorstellen, für sie zu stimmen. Wie aussagekräftig diese Zahlen sind, ist eine andere Frage. Derzeit genießt Bachelet mehr direkte Unterstützung als Matthei: 27 Prozent würden nicht zögern, Bachelet zu wählen, während nur 23 Prozent nicht zögern würden, die Mitte-Rechts-Kandidatin zu unterstützen. Matthei hat jedoch einen wichtigen Vorteil gegenüber Bachelet: Sie erntet weniger ausdrückliche Ablehnung. 45 Prozent der Befragten sagten, dass sie Matthei auf keinen Fall wählen würden, und 49 Prozent stimmten entschieden gegen Bachelet. Offensichtlich macht ein großer Teil der Wählerschaft sie für viele Missstände in Chile verantwortlich. Trotzdem: Obwohl andere Kandidaten wie Orrego und Vodanovic bei den Bewertungen besser abschneiden als Bachelet, traut man ihr im Zweifel am ehesten zu, die herrschenden Probleme zu lösen. Andere mögliche Kandidat*innen wie Ministerin Carolina Tohá haben höhere Ablehnungsquoten und verfügen nach Meinung der Befragten über viel weniger Konfliktlösungspotential.

Das Volk gegen die Eliten

Sollte sich die ehemalige Präsidentin Bachelet dazu entschließen, ein drittes Mal für das Präsidentschaftsamt zu kandidieren, wird das keine einfache Angelegenheit. Eine Stichwahl gegen Evelyn Matthei wäre eine Neuauflage der Situation von 2013, als Bachelet Matthei mit mehr als 20 Punkten Vorsprung besiegte, aber diesmal wäre Matthei die Kandidatin mit den besseren Aussichten und den populäreren Positionen in den wahlkampfrelevanten Themen Migration und Sicherheit. In einer Stichwahl gegen einen der beiden rechtsextremen Kandidaten hätte Bachelet ebenfalls große Schwierigkeiten. außerdem wäre es die Stichwahl zwischen zwei politischen Narrativen – dem demokratischen Lager und der Reaktion, die 2021 mit dem Sieg von Boric über Kast unterlag. Damals konnte die breite Bevölkerung sich über den Sieg gegen die Eliten freuen. Wer es bei dieser Wahl schafft, seine Geschichte durchzusetzen, wird den zukünftigen Präsidenten Chiles stellen.

Was in den letzten fünf Jahren in der chilenischen Politik passiert ist, war wesentlich bestimmt von der enormen Mobilisierungskraft des Anti-Elite-Diskurses. Der Anti-Elitismus hat den Ausbruch des Estallido im Oktober 2019, die Wahl des Verfassungskonvents und die Präsidentschaftswahlen 2021 mitbestimmt, bei denen die wichtigsten Kandidaten jeweils auf ihre Weise versuchten, sich als Außenseiter der traditionellen Politik zu präsentieren. Der Anti-Elitismus selbst hat sich im Laufe der Zeit verändert, wurde zunächst von der Linken an der Spitze der Proteste hochgehalten, dann aber von Kandidaten mit einem reaktionären Diskurs wie José Antonio Kast oder Franco Parisi benutzt. Der letzte, der auf diesen Zug aufgesprungen ist, ist Johannes Kaiser, der sein ultraliberales und staatsfeindliches Programm mit einer starken Kritik an der politischen Kaste verbindet.

Das große Risiko einer Kandidatur von Bachelet besteht darin, dass die Rechten den anti-elitären Diskurs quasi auf einem Silbertablett serviert bekämen. Bachelet regierte zwei Amtszeiten, von 2006 bis 2010 und von 2014 bis 2018. In beiden wurden wichtige Fortschritte erzielt, und von einem großen Teil der chilenischen Bevölkerung wird ihre Regierungszeit im Rückblick positiv bewertet. Aber es gab auch etliche Beschränkungen; schwerwiegende strukturelle Probleme, unter denen die chilenische Bevölkerung weiterhin leidet, wurden nicht angegangen und auch von den Mitte-Rechts- und Concertación-Koalitionen nicht gelöst. Infolge der aufgestauten Unzufriedenheit entstand das Linksbündnis Frente Amplio mit Gabriel Boric an der Spitze. Sollte es zu einer Stichwahl mit einem rechtsextremen Kandidaten kommen, dem es gelingt, sich als politischer Außenseiter gegenüber den traditionellen Eliten zu positionieren, könnte das Bachelet auf die Füße fallen. Kast hat es 2021 nicht geschafft, sich mit seinem Narrativ gegen den anderen Außenseiter Boric durchzusetzen. Seine Kampagne in der Stichwahl war darauf zugeschnitten, sich selbst zu entdämonisieren, sein rechtsextremes Image herunterzuspielen und als vernünftiger Kandidaten aufzutreten. Bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen von Bachelet und Kaiser würden beide versuchen, aus der Unzufriedenheit der Bevölkerung Kapital zu schlagen, indem sie sich möglichst volksnah geben und gegen die traditionellen Eliten positionieren.

Kurz: Bachelet könnte es schaffen, aber ihre Kandidatur wäre auch birgt auch Risiken, die nicht unterschätzt werden sollten.

Was kommt nach Boric?

Würde nach der ersten Frente -Amplio-Regierung wieder Bachelet antreten, wäre das irgendwie auch eine Bankrotterklärung der chilenischen Linken. Natürlich wäre es noch schlimmer, wenn nach Boric die ultrarechten Pinochet-Anhänger oder ihre ultraliberale Variante gewinnen würde. Aber es wäre auch bitter, wenn die erste Amtszeit der politischen Alternative zum chilenischen Zweiparteiensystem damit endet, dass sie die Ex-Präsidentin als Kandidatin unterstützt, gegen die sie damals auf die Straße gegangen ist.

Dass Bachelet sich gut mit den am weitesten links stehenden Kräften im parlamentarischen Spektrum versteht, ist nichts Neues, und während ihrer zweiten Amtszeit versammelten sich in der „Nueva Mayoría” wichtige Persönlichkeiten der Kommunistischen Partei, wie die derzeitige Regierungssprecherin Camila Vallejo. Aber dass der transformativen Linken knapp 20 Jahre nach der so genannten Revolution der Pinguine nichts anderes einfällt als die Präsidentin zu unterstützen, gegen die sie damals demonstriert hat, zeigt einen besorgniserregenden Mangel an politischer Vorstellungskraft und fähigem Personal.

Kurzfristig könnte Bachelet die unmittelbaren Probleme der Linken lösen und es sogar schaffen, eine Wahl zu gewinnen, bei der die Chancen auch für die Rechte und die extreme Rechte ganz gut stehen. Doch die Tatsache, dass praktisch nur sie infrage kommt, sollte der chilenischen Linken zu denken geben. Wenn sie mittelfristig überleben will, muss sie der Gesellschaft etwas anderes anbieten als Michelle Bachelet.

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