(Lima, 9. Oktober 2019, servindi).- Noch vor zehn Jahren wurden in Ecuador Sozialpolitik und Souveränität der indigenen Völker großgeschrieben. Was wurde aus den Versprechungen der sozialistischen Regierung Rafael Correas und worin besteht die Krise des amtierenden Präsidenten Lenin Moreno?
Am 8. Oktober erlebte Ecuador eine der größten politischen und sozialen Mobilisierungen des 21. Jahrhunderts. Zehntausende Indígenas, Landarbeiter*innen und Arbeiter*innen kamen in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito zusammen, um gegen das Sparpaket Lenin Morenos zu demonstrieren, das die soziale Sicherheit der Bevölkerung bedroht.
Auf dem Höhepunkt der Proteste drangen etwa 20.000 Indígenas, die aus verschiedenen Teilen des Landes in die Hauptstadt gekommen waren, in das Parlament ein. Der amtierende Präsident sah sich gezwungen, den Regierungssitz zeitweilig nach Guayaquil zu verlegen. Bei der Räumung des Gebäudes durch das Militär wurde bisher ein Mensch getötet.
Hintergrund der Sparmaßnahmen, auch bekannt als “paquetazo” (dickes Sparpaket) ist ein Abkommen zwischen der ecuadorianischen Regierung und dem Internationalen Währungsfonds IWF, der dem lateinamerikanischen Land einen Kredit in Höhe von 4,2 Milliarden US-Dollar gewährt hatte. Im Gegenzug sollten unter anderem die Treibstoffpreise erhöht und die Sozialleistungen für Arbeitnehmer*innen gekürzt werden.
Die neoliberale Kehrtwende Lenin Morenos hat den entschlossenen Protest der Bevölkerung hervorgerufen. Dennoch macht die Regierung keine Anstalten, zurückzurudern. Wie konnte es dazu kommen, dass ausgerechnet Ecuador, das als erstes Land die Rechte der Natur in seiner Verfassung garantiert hat, sich nun zu einem der neoliberalsten Länder Lateinamerikas entwickelt?
Die Kehrtwende in Ecuador
Vor zehn Jahren, als die Regierung noch auf die Unterstützung der Indígenas und weiter Teile der übrigen Bevölkerung zählen konnte, präsentierte der damalige Präsident Rafael Correa eine neue Verfassung, die das Konzept des Buen Vivir, das Recht auf Nachhaltigkeit und Naturschutz und die Souveränität der indigenen Völker berücksichtigt – ein Novum in der Geschichte Lateinamerikas.
Durch diesen ungewöhnlichen Schritt zählte Ecuador mit einem Mal zu den Ländern mit der fortschrittlichsten Indígena-Politik in der Region. Im Verlauf der nun folgenden zehn Jahre verlor die Regierung Rafael Correa jedoch zunehmend die Unterstützung der Indígenas und der Bevölkerung im urbanen Raum. Die Durchsetzung von Extraktivismusprojekten im ecuadorianischen Amazonasgebiet und verschiedene repressive Einsätze von Sicherheitskräften führten schließlich zum Zerwürfnis zwischen Correa und seinen ehemaligen Unterstützer*innen.
Die neoliberale Kehrtwende fand jedoch erst mit dem Machtantritt Lenin Morenos statt. Erstes Anzeichen war seine Anbiederung an die Trump-Regierung der USA durch die Aufhebung des Asyls für Julian Assange. Der Whistleblower hatte die letzten sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London verbracht. Kurze Zeit danach unterschrieb Moreno das Abkommen mit dem IWF, in dessen Folge das berüchtigte neoliberale Sparpaket beschlossen wurde. Statt auf Gesprächsbereitschaft setzt die Regierung Lenin Morenos darauf, die Maßnahmen durchzusetzen, notfalls auch gegen Widerstände. Von der indigenen Regierungsbeteiligung im Jahr 2009 ist wenig geblieben. Das Land hat in nur zehn Jahren eine 180-Grad-Wende vollzogen. Heute beherrscht Unsicherheit das Leben in dem lateinamerikanischen Staat.
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