Die Absetzung Boluartes bedeutet keinen Machtwechsel

Boluarte
Gegen die abgesetzte Präsidentin Dina Bouluarte wurde seit Jahren protestiert.
Foto: Keen Quispe via wikimedia
CC BY-SA 4.0

(Lima, 10. Oktober 2025, AnRed/poonal).- Peru befindet sich erneut auf Abwegen. Präsidentin Boluarte wurde vom Kongress mit 104 Stimmen abgesetzt. Opfer der Unterdrückung durch ihre Regierung wollen sie im Gefängnis sehen. Doch auch Interims-Nachfolger José Jerí bleibt unbehelligt und erhält die Präsidentenschärpe ‑ trotz Vorwürfen wegen Vergewaltigung und mutmaßlicher Korruption.

Die Nachricht von der Absetzung Dina Boluartes hat in den internationalen Medien für Schlagzeilen gesorgt. Trotz früherer Versuche, Boluarte durch Anträge auf Amtsenthebung zu stürzen, wurde sie von den Fraktionen Fuerza Popular, Renovación Popular und Alianza Para el Progreso geschützt, die sie schon während der fast dreijährigen Koalitionsregierung unterstützt hatten. Doch jetzt überschlagen sich die Ereignisse angesichts des beginnenden Wahlkampfs. Denn in Peru stehen im April 2026 Präsidentschafts- und Kongresswahlen an. Diesmal mit dem Unterschied, dass das Andenland nach mehr als zwanzig Jahren zum Zweikammersystem zurückkehrt. Mehrere der derzeitigen Abgeordneten und politischen Parteien, die die Krise in Peru auf ein astronomisches Niveau gehoben haben, denken darüber nach, wie es um eine mögliche Wiederwahl steht bzw. wie sie ansonsten auch künftig die Regierungsgeschäfte ungehindert beeinflussen können.

Die alltägliche Gewalt spiegelt den Verfall des politischen Systems

Laut dem peruanischen Meinungsforschungsinstitut IEP erreichte die Ablehnung des aktuellen Kongresses durch die Bevölkerung im September dieses Jahres 93 Prozent, ähnlich steht es um die Beliebtheit der weithin geschmähten Dina Boluarte. Sowohl die beiden Staatsgewalten als auch ihre gesellschaftliche Akzeptanz zeigen also den Zerfall des politischen Systems Perus. Das passierte nicht von selbst. Die Machteliten nahmen einander immer wieder gegenseitig in Schutz, das betraf sowohl Boluarte als auch Keiko Fujimori und sogar den frisch ernannten Interimspräsidenten José Jerí, der gerade das Präsidentenamt übernommen hat; dazu wurden Gesetze verabschiedet, die, anstatt das Voranschreiten der organisierten Kriminalität zu stoppen, zur Eskalation des Problems beitrugen: Täglich häufen sich Anzeigen wegen Auftragsmorden und Erpressungen. Alle vier Stunden wird jemand ermordet. Die Opfer sind Busfahrer*innen, Händler*innen aus kleinen und mittleren Unternehmen, auf Märkten in den Stadtvierteln und viele andere Menschen aus der breiten Bevölkerungsschicht. Der letzte Anschlag ereignete sich am 8. Oktober in Lima während eines Konzerts der Cumbia-Gruppe Agua Marina auf einem Gelände, das von der Armee bewacht wird. Dabei wurde die Band von hinten mit Schusswaffen angegriffen. Vier der Musiker wurden verletzt. Das Ereignis heizte die öffentliche Meinung, insbesondere in den Medien, so sehr an, dass Boluartes Verbleib im Amt unhaltbar wurde. Boluarte und ihre Minister hatten zuvor der Bevölkerung als Lösung für das Problem der Erpressungen empfohlen, „keine Anrufe von unbekannten Nummern anzunehmen”.

Wer vertritt die Interessen der Bevölkerung?

Dina Boluarte war dem Kongress nicht mehr nützlich, sondern ein Hindernis für dessen Wahlinteressen. Seit mehreren Wochen protestierten junge Menschen der so genannten „Generation Z” gegen die Verabschiedung eines neuen Rentensystems. Verschiedene soziale Gruppen schlossen sich an, etwa Transportunternehmen, Studierende, kleine Geschäftsleute und sogar der Bürgermeister von Pataz mit seinen Bürger*innen. Sie waren von Trujillo nach Lima gereist, um die Koalitionsregierung aufzufordern, die Unsicherheit in der Provinz und andere vertagte Forderungen zu lösen. Trujillo ist die Hauptstadt der Region La Libertad im Norden Perus. Sie steht nach Lima an zweiter Stelle der Gebiete, die besonders von Erpressungen betroffen sind. So nahmen die Demonstrationen gegen das Regime wieder zu und weckten Zweifel und Spannungen zwischen den sich im Wahlkampf befindenden Parteien. Aber wer liegt in den Umfragen vorne? Zunächst einmal sind 62,7 Prozent der Meinung, keine*r der Kandidat*innen vertrete die Forderungen der Bürger*innen. In dieser Zahl enthalten sind alle, die keine Angaben machen, ungültige/leere Stimmzettel und Nichtwähler*innen. Mit großem Abstand folgen mögliche Kandidat*innen, die nicht einmal 10 Prozent der Stimmen erreichen. Zwei davon sind Rafael López Aliaga (8,5 Prozent) und Keiko Fujimori (5,9 Prozent).

Wer ist Rafael López Aliaga?

López Aliaga, derzeit Bürgermeister von Lima, gehört der Partei und Fraktion Renovación Popular an, Sie vertritt die ultrakonservative Rechte und besteht aus evangelikalen Gruppen. Sie setzt nicht nur für Gesetze ein, die Kriminalität begünstigen, sondern auch für Rückschritte in der Politik für die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen und die Rechte für sexuelle Minderheiten wie Trans-Personen. Darüber hinaus ist  Aliagas Amtsführung in der Stadtverwaltung von Skandalen, der Besetzung öffentlicher Ämter mit Parteimitgliedern und Angriffen auf die Presse geprägt. Gegen ihn wird wegen mutmaßlicher Geldwäsche ermittelt. Bei einer öffentlichen Veranstaltung würdigte López Aliaga den den kürzlich ermordeten konservativen Aktivisten Charlie Kirk, zu Lebzeiten ein Verbündeter von Donald Trump, der dem peruanischen Volk jedoch völlig unbekannt ist. Rafael López Aliaga ist ein Bewunderer von Javier Milei und wird diesem im kommenden November eine Auszeichnung der Stadt Lima überreichen.

Keiko Fujimori kandidiert trotz schwerer Anschuldigungen

In den Umfragen findet sich auch Keiko Fujimori. Sie war bereits in drei früheren Wahlkämpfen Präsidentschaftskandidatin. Sie ist die Tochter des Diktators Alberto Fujimori, der den Neoliberalismus in Peru rigoros vorantrieb und wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt wurde. Die von ihr geführte Fujimori-Partei Fuerza Popular hat seit 2016 ununterbrochen daran gearbeitet, die fragilen staatlichen Strukturen zu untergraben, die nach dem Sturz ihres Vaters Anfang 2000 aufgebaut worden waren. Den Aufbau auf den Trümmern, die der Fujimorismo der 1990er Jahre hinterlassen hatte, betrieben dessen Vertreter*innen selbst. Sie bestimmten damit weiter das politische System. Niemand hatte die Folgen dieses gescheiterten Übergangs vorhergesehen, unter denen die Peruaner*innen heute leiden. Ohne die Beteiligung der anderen rechten und ultrarechten Kräfte und der wirtschaftlichen Eliten kleinzureden, zielen die Aktionen des Fujimorismo darauf ab, seine Anführerin vor der Forderung der Staatsanwaltschaft nach 35 Jahren Haft zu schützen. Diese droht ihr wegen Straftaten wie der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und illegaler Finanzierung ihrer früheren Wahlkampagnen.

Die Absetzung Boluartes reicht nicht als politische Perspektive

Mit der Absetzung Boluartes lassen die Situation und Perspektiven Perus im Hinblick auf den Wahlkampf 2026 noch mehr Gewalt erwarten. Es gibt keine Projekte oder Visionen für den Wiederaufbau des Landes, das von Auftragsmorden, Erpressung, Straflosigkeit für die Sicherheitskräfte und Korruption in allen staatlichen Institutionen, insbesondere der Polizei, dem Kongress und der Exekutive, erstickt wird. Und als ob das noch nicht genug wäre, hat die abgedroschene Mär vom Fujimorismo als großem Retter, die von vielen, von den liberalsten Rechten bis zu den dogmatischen und progressiven Linken, aufgegriffen wurde, dazu beigetragen, die Idee eines inneren Feindes aufrechtzuerhalten. Dies äußert sich in Form des terruqueo, den Alberto Fujimori und seine Vorgänger erfolgreich einsetzten, um ihre Kritiker*innen zu verfolgen. All dies hat dazu beigetragen, das Land in eine Sackgasse ohne erkennbaren Ausweg zu manövrieren. Auf den Straßen in Lima und anderen Regionen feiern protestierende Bürger*innen, die sich nach den grausamen Morden bei den Protesten Ende 2022 und Anfang 2023 zurückgezogen hatten, heute das Ende von Boluarte, sind aber auch nicht davon überzeugt, dass dies die Lösung ist. José Jerí von der Fraktion Somos Perú, der gerade übergangsweise das Amt übernommen hat, wurde wegen Vergewaltigung und mutmaßlicher Korruption angezeigt, und es gibt bereits Proteste gegen ihn. Wir werden sehen, wie sich die Reaktion der Bevölkerung und ihre Organisation in der Massenbewegung weiterentwickeln und welche Schritte der Fujimori-nahe Kongress in Zusammenarbeit mit seinen Verbündeten unternehmen wird, um die Unsicherheit und Kriminalität zu bekämpfen, für die sie selbst verantwortlich sind. Zu den Verbündeten gehören nicht nur die bereits erwähnten, sondern auch Perú Libre (die Organisation, die Pedro Castillo ins Präsidentenamt gebracht hat), Somos Perú, Avanza País und Podemos Perú.

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