Der Ausnahmezustand wird zum Dauerzustand

(Berlin, 12. Juni 2022, amerika21/poonal).- Am 24. Mai 2022 hat das Parlament in El Salvador zum zweiten Mal eine Verlängerung des Ausnahmezustandes um weitere 30 Tage bis zum 27. Juni 2022 beschlossen. Die Verhaftungszahlen steigen täglich weiter an. Nach Angaben des Präsidialamtes wurden bisher 39.415 Bandenmitglieder verhaftet, was die Zahl der Erpressungen von Geschäftsleuten durch die Banden drastisch gesenkt habe.

Untersuchungen von Menschenrechtsorganisationen belegen jedoch, dass Verhaftungen willkürlich durchgeführt werden und viele Menschen betroffen sind, die nichts mit Bandenkriminalität zu tun haben. Human Rights Watch hat mehr als 100 dieser willkürlichen Verhaftungen und Todesfälle in den Gefängnissen untersucht. Mehr als 40 Todesfälle im Gefängnis wurden bisher gemeldet. „In einigen Fällen versichern die Familienangehörigen, dass die Gefangenen aufgrund von Folter gestorben sind, weil die Körper Knochenbrüche, Hautverletzungen, Blutergüsse und schwere Wunden an den Köpfen aufwiesen“, berichtete die Tageszeitung El Diario de Hoy.

Rund zwei Prozent der Salvadorianer*innen sind inhaftiert, Gefängnisse zu 250 Prozent überbelegt

Amnesty International legte ebenfalls einen ausführlichen Bericht über die Situation während des Ausnahmezustandes vor. Rund zwei Prozent der Bevölkerung sind inzwischen in Haft, die Gefängnisse mit mehr als 250 Prozent überbelegt, rechtliche Garantien, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sind ausgesetzt. Ein Krisenteam von Amnesty hat vor Ort 28 Fälle exemplarisch untersucht und zahlreiche Gespräche mit Betroffenen und Organisationen geführt. Eine öffentliche Aufforderung zum Dialog mit Präsident Bukele blieb ohne Antwort.

Auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH forderte die Regierung El Salvadors auf, menschenwürdige Haftbedingungen zu garantieren, Maßnahmen zur Vermeidung von Überbelegung zu ergreifen und die Todesfälle in Haft zu untersuchen. Bukele allerdings bestreitet die Existenzberechtigung der Organisation Amerikanischer Staaten. Auch in der Vergangenheit hatten die Forderungen der CIDH in unterschiedlichen Fällen keinerlei Konsequenzen auf seine Regierungspolitik.

Amnesty International stellte in ihrem Bericht auch die Bedrohung und Einschränkung der Arbeit von Journalist*innen fest. Einer Journalistin, die die (wahrscheinlich willkürliche) Verhaftung von zwei Kolumbianern filmte, wurde von den Polizisten selbst mit Verhaftung gedroht. Die kolumbianische Botschaft will die Sicherheit ihrer Staatsbürger*innen und einen fairen Prozess gewährleisten.

Willkürliche Repression veranlasst Menschen dazu, das Land zu verlassen

Die Situation im Land veranlasst viele Menschen dazu, sich auf den Weg in die USA zu machen. Seit Montag ziehen Tausende von Menschen in einer neuen Karawane von Tapachula (Mexiko) aus Richtung Norden, darunter vor allem Menschen aus El Salvador, Honduras, Guatemala und Venezuela. Berichten zufolge ist es eine der größten Flüchtlingskarawanen mit 10.000 bis 15.000 Menschen.

Der Amerika-Gipfel, zu dem US-Präsident Biden in der vergangenen Woche die Regierungen Amerikas nach Los Angeles eingeladen hatte, schloss derweil mit einer Erklärung zur Migration. „Ziel der gemeinsamen Erklärung ist es, die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern zu verbessern, legale Arbeitsmigration zu erleichtern und den Kampf gegen Schlepperbanden zu verstärken.“ Allerdings fehlten gerade die Staaten bei der Konferenz, die besonders zu den Migrationsbewegungen in Amerika beitragen, insbesondere auch El Salvador.

Chris Klänie ist Autorin bei amerika21.

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