Walther Klug muss in Chile in Haft

(Berlin, 16. Juni, taz/npla).- Zehn Jahre Haft stehen dem deutsch-chilenischen Ex-Offizier Walther Klug Rivera in Chile bevor. Am 12. Juni wurde er in Buenos Aires verhaftet, Argentiniens Innenminister Eduardo de Pedro und der zuständige Richter Julián Ercolini wollen ihn nach Chile ausweisen.

Nach dem Putsch unter General Pinochet 1973 hatte Klug in einem Militärstützpunkt bei Los Ángeles im Süden Chiles ein Folterlager eingerichtet. Hunderte Gefangene wurden misshandelt, viele von ihnen ermordet. Überlebende Gefangene beschreiben den damals 23-jährigen Oberleutnant als besonders brutal und sadistisch. Die chilenische Menschenrechtsanwältin Patricia Parra, die Familienangehörige von mutmaßlichen Opfern gegen Klug vertritt, bezeichnet ihn als einen der Hauptverantwortlichen für Folter und Mord in diesem Militärstützpunkt.

Klug floh vor der Haftstrafe nach Deutschland

Trotz der von ihm begangenen Verbrechen konnte Klug seine Karriere auch nach dem Ende der Diktatur 1990 fortsetzen und stieg bis zum Oberst auf. Erst im Oktober 2014, kurz nach seiner Pensionierung, verurteilte der Oberste Gerichtshof Chiles ihn im sogenannten Fall ENDESA rechtskräftig zu einer Haftstrafe von zehn Jahren. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Klug am Mord von sieben und dem Verschwindenlassen von vierzehn weiteren Arbeitern 1973 beteiligt war, die in den Wasserkraftwerken El Toro und El Abanico in der Nähe der Stadt Los Ángeles tätig waren.

Schon 2014 entzog sich Klug der chilenischen Justiz und seiner Haftstrafe, indem er sich nach Deutschland absetzte. Bis 2019 lebte er unbehelligt in der beschaulichen Kleinstadt Vallendar am Rhein  und pflegte dort Kontakt zur katholischen Schönstattbewegung. Wegen seiner deutschen Vorfahren besitzt Klug neben der chilenischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Klug ist nicht der einzige Diktaturverbrecher, der sich nach Deutschland zurückgezogen hat

In Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes ist festgeschrieben, dass deutsche Staatsangehörige nicht an Staaten außerhalb der EU ausgeliefert werden. So fand Klug in Deutschland ein sicheres Rückzugsgebiet und ist dabei kein Einzelfall. Als weitere prominente Fälle sind der Arzt der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, und der deutsch-argentinische Folterer Luis Esteban Kyburg bekannt.

Gegen Klug wurden in den Jahren 2014 bis 2019 auch keine eigenständigen strafrechtlichen Ermittlungen seitens der deutschen Justiz eingeleitet. Erst bei einer Reise nach Italien wurde der über Interpol gesuchte Ex-Offizier 2019 verhaftet und 2020 nach Chile ausgeliefert.

„Es war abzusehen, dass er wieder fliehen wollte“

Die Auslieferung galt zunächst allerdings nicht für die rechtskräftige Verurteilung zu zehn Jahren Haft im Fall ENDESA, sondern nur für ein anderes noch laufendes Gerichtsverfahren wegen des verschwundenen Studenten Luis Cornejo. Aufgrund dieses Verfahrens kam Klug dann in Chile für ein Jahr in Untersuchungshaft, wurde zwischenzeitlich aber mit Meldeauflagen und einem Ausreiseverbot auf freien Fuß gesetzt. Als „grob fahrlässig“ bezeichnet das der Menschenrechtsanwalt Francisco Bustos, denn spätestens seit Klugs Flucht nach Deutschland 2014 sei klar gewesen, dass Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr in seinem Fall dringend geboten sei. „Das war wie die Chronik eines angekündigten Todes, es war abzusehen, dass er wieder fliehen wollte“, erklärt Anwältin Patricia Parra. Sie kritisiert, dass es über Jahre keinen internationalen Haftbefehl wegen Klugs rechtskräftiger Verurteilung gab: „Wir haben ein Problem fehlender Koordination. Richter und verschiedene Instanzen kommunizieren nicht ausreichend“.

Klugs zehnjährige Haftstrafe im Fall ENDESA konnte in Chile bisher nicht vollstreckt werden. Denn die Antwort Italiens auf das zweite Auslieferungsverfahren für diesen Fall stand noch aus. Das änderte sich am 26. Mai 2021, als Italiens Oberster Gerichtshof schließlich Klugs Auslieferung an Chile auch für den Fall der ermordeten Arbeiter zustimmte und die chilenischen Behörden darüber informierte.

Bürokratie oder böse Absicht? Chilenische Behörden verschleppen Inhaftierung Klugs

Außenministerium und Oberster Gerichtshof Chiles ließen kostbare Zeit verstreichen, ohne Klug zu inhaftieren oder sonstige Maßnahmen zu ergreifen, die dessen erneute Flucht verhindert hätten. Am 15. Juni bestätigte das chilenische Ministerium für Justiz und Menschenrechte schließlich das Vorliegen der italienischen Auslieferungsentscheidung und kündigte an, dadurch könne Klug nun für seine Haftstrafe von zehn Jahren ins Gefängnis verbracht werden.

Klugs Verteidiger hatten ihren Mandanten vermutlich schneller über den italienischen Auslieferungsbeschluss informiert. Jedenfalls floh der agile 70-Jährige vermutlich noch Ende Mai aus Chile Richtung Argentinien. Der immer gut gekleidete, mit deutschem Pass reisende Klug, der als pensionierter Offizier weiterhin eine staatliche Pension von monatlich rund 1.500 Euro plus Zulagen erhält, versuchte, den Wettlauf mit der Zeit zu gewinnen. Nach Informationen von Pagina12 soll er bereits am 1. Juni versucht haben, über den Flughafen von Buenos Aires nach Madrid und weiter nach Deutschland zu fliegen, das ihm bereits 2014 bis 2019 ein sicheres Rückzugsgebiet geboten hatte. Dass der Ex-Offizier bei der Flucht aus Chile keinen offiziellen Grenzübergang passiert und somit keine Einreisebestätigung nach Argentinien erhalten hatte, wurde ihm dabei zum Verhängnis. Bei einer Kontrolle am Flughafen-Check-In Richtung Europa stoppten argentinische Migrationsbeamte Klug wegen fehlender Einreisedokumentation und wegen eines alten Interpolvermerks. Sie konnten ihn nicht verhaften, aber seitdem hatten argentinische Polizeieinheiten ihn auf dem Radar, konnten seine Unterkunft identifizieren und ihn beobachten.

Breite Mobilisierung gegen die Straflosigkeit auf Social Media

In Chile schlugen die Menschenrechtsorganisation rund um den Gedenkort des früheren Folterzentrums Londres38 und den Journalisten Luis Narváez, dessen Onkel zu den Opfern von Klugs Repressalien gehörte, Alarm. Sie informierten ab 8. Juni via Twitter über Klugs Flucht. Anwält*innen und Medienvertreter*innen schlossen sich an, es kam zu einer breiten Mobilisierung über Social Media. „Da musste sich auch die chilenische Justiz bewegen“, erklärt die Rechtsanwältin der Nebenklage Patricia Parra. Am 9. Juni erwirkte die zuständige Richterin Paola Plaza einen internationalen Haftbefehl, der über Interpol verbreitet wurde.

Mit diesem wurde Klug am 12. Juni schließlich auch in Argentinien festgenommen. Schnell kündigte Argentiniens Innenminister Eduardo de Pedro und später auch der zuständige Richter Ercolini Klugs Ausweisung nach Chile an. Diese scheint in den kommenden Tagen bevorzustehen.

Schon 2005 hatte die argentinische Polizei den flüchtigen Anführer der Colonia-Dignidad Paul Schäfer in seinem Versteck nahe Buenos Aires festgenommen. Mit der Verhaftung Walther Klugs ist es nun wieder die argentinische Polizei, die für den chilenischen – und in gewisser Weise auch für den deutschen – Justiz- und Polizeiapparat die Kohlen aus dem Feuer holt. Auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission drängt zu stärkerem Einsatz gegen die Straflosigkeit und forderte Chile jüngst auf, in Fällen von Verbrechen gegen die Menschheit keinen Straferlass zu gewähren. Was Klug angeht, ist unklar, wie er seine zehnjährige Strafe absitzen wird, sobald er einmal nach Chile überstellt ist. Dass er nochmals davonkommt, scheint allerdings ausgeschlossen.

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