Über Rassismus in argentinischen Medien

(Buenos Aires, 18. Januar 2021, elDiarioAR).- Pablo Sirvén hat in einer Meinungskolumne in der argentinischen Tageszeitung La Nación mit einem Artikel allgemeine Empörung ausgelöst, die eine Kette von Assoziationen sichtbar gemacht hat, die in hiesigen öffentlichen politischen Debatten sehr üblich sind. Er sät darin die Angst davor, dass die Vorstädte (conurbano) von Buenos Aires, die als „unmögliche Gegend“ und „afrikanisiert“ dargestellt werden, durch ihr Gewicht der Wahlstimmen erneut das „Schicksal des Vaterlandes“ bestimmen würden. Und er bittet Cambiemos (die Partei des Ex-Präsidenten Mauricio Macri), dies zu verhindern. Die Gedankenkette ist eindeutig: der Peronismus, assoziiert mit dem „Afrikanischen“ und den Wahlstimmen der einfachen Leute (voto popular), ist die Bedrohung. Die Heimat, gefährdet und auf Cambiemos angewiesen, wird als weiß und europäisch impliziert.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sirvén diesen Gegensatz bemüht: Erst vor Kurzem hatte er die Gegner*innen Macris – und darüber hinaus ganz Argentinien, das sich erlaubt, nicht so zu wählen, wie er das gerne hätte – mit einem Stamm afrikanischer Abstammung verglichen. Auch in anderen Kolumnen und seinen sozialen Netzwerken ist die Assoziation „Argentinien = Afrika“ eine gewohnte Prozedur der Selbstverleumdung.

Rassistische Äußerungen im Internet weit verbreitet

Es ist nicht besonders schwer um hier, wenn auch verschleiert, das selbe Argument zu finden, welches in den Abgründen der Kommentarspalten ganz offen geäußert wird: das Problem sind „die Schwarzen“ („los negros“), die wählen. Argentinien ist unmöglich – Schuld sind „los negros“, die den Peronismus wählen. Und die implizite Folge: Damit Argentinien ein normales Land sein könne, müsste man sie auf irgendeine Weise loswerden. Sie alle umbringen. Oder vielleicht mit einem solchen Glücksschlag, wie in der Fantasie eines radikalen Politikers aus Córdoba: Die Pandemie solle eine „ethnische Säuberung“ mit diesen „Schwarzen aus La Matanza“ machen. Zack, so könnten wir das Argentinien sein, das wir wollen. Alle sind ganz weiß und wählen das, was sich gehört.

Und wenn die Problematik des Argumentes angesprochen wird, kommen immer die Ausreden. „Ich habe mich wegen der Armut auf Afrika bezogen, nicht wegen der Hautfarbe“; „ich meine nicht schwarz wegen der Haut, sondern der Seele“. Aber auf diesem Level gibt es schon keine mögliche Diskussion mehr und keinen Platz für vorgetäuschte Naivität. Bestimmtes Verhalten oder negative Qualitäten aufgrund von Hautfarbe oder Ethnizität zuzuordnen, ist diskriminierend. Hier und überall auf der Welt. Punkt.

Lange Tradition der Diskreditierung

Unsere Kultur kommt von einer langen Tradition dieser Art und es wird Zeit, dass diese Tradition in den Archiven verschwindet. Seit dem 19. Jahrhundert ist es üblich, die Teilnahme der einfachen Bevölkerung an der Politik zu diskreditieren, indem sie irgendeiner „niederen Rasse“ zugeschrieben wird, seien es die Indigenen, Menschen afrikanischer Herkunft oder ein generischer „negro“, der eine Mischung von all dem bezeichnet. Für die Unitarier*innen und einige ihrer Nachfolger*innen war der Föderalismus „barbarisch“ und wurde von Gauchos, Indios und Mestizen verkörpert. Für die Konservativen war Yrigoyen (zweimaliger Präsident Argentiniens in den 1920er/30er Jahren) Führer der „negritos“. Für den Antiperonismus war (und ist) das Problem die Anziehung der „cabecitas negras“ („Schwarzköpfchen“). Und so ist es bis heute diese narrative Matrix, mit der vorgestellt wird, dass es in Argentinien immer irgendeine Barbarei gibt, die von europäischen, weißen, korrekten, gebildeten, strebsamen Bewohner*innen ausgelöscht werden müsste.

„Lateinamerikanisierung“ als abwertende Metapher

Die argentinischen Medien reproduzieren heute auf viele Weisen weiter diese verhüllten Formen von Rassismus, manche subtiler als andere. Man findet sie natürlich in den Ängsten um die „Afrikanisierung“ des Landes – die nicht nur von Sirvén stammen – sie führen weiter, was zuvor häufig als „Lateinamerikanisierung“ bezeichnet wurde. Als wäre die Zugehörigkeit zu Lateinamerika etwas grundsätzlich ungewolltes und würde uns von irgendeinem europäischen Ziel entfernen. Wir finden sie auch in der selektiven Wahl der Bezeichnung „Häuptling“ („cacique“) für bestimmte politische Entscheidungsträger, welche auf diese Weise mit dem Indigenen verknüpft werden. Es gibt „caciques“ im Umland der Stadt (conurbano) oder in Formosa (nördlichste Provinz Argentiniens), aber nicht in Buenos Aires oder in Rosario und selten wird einem radikalen, liberalen oder rechten Politiker dieser Begriff zu teil. Die selbe Unterscheidung findet sich meist bei der Würde der „Leute“ („gente“), welche, so scheint es, Nachbar*innen europäischer Abstammung verdienen, aber keine Mapuche. Man weiß also, nicht alle Leute sind gleichfalls „gente“.

Die ethnisch-rassistische Diskriminierung taucht auch auf implizite Weise in den Medien auf, wenn viel zu häufig die Geschichte des argentinischen Fortschritts beschworen wird. In dieser kam alles Gute zu uns durch „das Erbe spanischer, italienischer, englischer und deutscher Einwanderer“, die uns „die Berufung zur harten Arbeit“, die Ehrlichkeit und wer weiß was für nicht nachweisbare, moralische Attribute bescherten. Schlussfolgernd bleibt aber immer klar, dass diese Attribute nicht für Bewohner*innen gelten, die hier bereits vor der Ankunft der Anderen lebten. Und auch nicht für die, die heute außerhalb der „pampa gringa“ („weiße Pampa“) leben, die die europäischen Großeltern besetzten und die die Tugend besaßen, nichts vom Staat zu erbitten und arbeiteten. Ganz im Gegensatz zu denen, die heute aus „dem Norden“ kommen und denen man lehren sollte, einen Hühnerstall zu haben oder die Erde zu bearbeiten.

Rassistische Sprache ist heute inakzeptabel

Das eigentliche Problem ist, dass die Kommunikationsmedien in Argentinien sich nicht nur auf verhüllte Formen des Rassismus beschränken, sondern die offensten und aggressivsten Formen davon bringen. So spuckt Baby Etchecopar seit vielen Jahren Beleidigungen gegen „Scheiß-Schwarze“ („negros de mierda“) im Radio aus, ohne auf die wiederholten Empfehlungen des INADI (Nationales Institut gegen Diskriminierung, Xenophobie und Rassismus) einzugehen. Im Gegenteil. Es scheint ja noch nicht einmal weder die Eigentümer*innen der Radiosender, für die er arbeitet, ausreichend zu stören, noch die dort Werbetreibenden und noch viel weniger seine Zuhörerschaft.

Alles das ist heute inakzeptabel. Ausdrücke dieser Art finden in den Medien anderer Länder seit vielen Jahren keinen Platz mehr. Es gibt auch überhaupt keine Gründe, dass wir es weiter hinnehmen sollten. Und es ist auch keine Frage der „political correctness“ oder der „cancel culture“: die Medien schulden uns eine politische Kommunikationspolitik, die frei ist von ethnisch-rassistischer Diskriminierung und ins 21. Jahrhundert passt.

Übersetzung: Tobias Mönch

CC BY-SA 4.0 Über Rassismus in argentinischen Medien von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert