Pinochet-Apologetin will Präsidentin werden

Diktatur
Kandidatin Carolina Tohá äußerte sich empört über Mattheis Äußerungen.
Foto: I. Municipalidad de Santiago via flickr
CC BY-NC 2.0

(Santiago, 19. April 2025, la diaria).- Evelyn Matthei, die wichtigste Kandidatin der chilenischen Rechten für die Präsidentschaftswahl am 16. November 2025, hat Pinochets Putsch ebenso gerechtfertigt wie die von ihm zu verantwortenden Todesopfer in den Jahren 1973 und 1974. In diesen beiden Jahren starben bzw. verschwanden mehr als 2.000 Personen. Unter diesen befand sich der Vater von Carolina Tohá, eine der Kandidatinnen der Linken für die Präsidentschaft.

„Sie wollten aus Chile ein zweites Kuba machen”

Die in vielen sozialen Netzwerken verbreitete Losung „Que ser pinochetista vuelva a dar vergüenza” („Pinochet-Anhänger*in sein muss wieder peinlich werden”) ist eine Reaktion auf Aussagen von Evelyn Matthei, die eine Präsidentschaftskandidatur anstrebt – die zweite nach 2013. In einem Interview hatte sie Pinochets Putsch als „notwendig” bezeichnet. Andernfalls wäre Chile den Weg Kubas gegangen, es habe keine Alternative gegeben, erklärte sie gegenüber dem Sender Radio Agricultura. In Umfragen für die Präsidentschaftswahl zählt Matthei zu den Favorit*nnen. Anfangs, 1973 und 1974, seien Tote wohl unvermeidlich gewesen. 1978 oder 1982 dagegen, als es noch immer Tote gab, habe keine Notwendigkeit mehr bestanden, da die Situation in Chile mittlerweile unter Kontrolle gewesen sein.

Matthei will gegen rechtsextreme Kandidaten punkten

Evelyn Matthei ist Mitglied der Unión Demócrata Independiente (UDI), einer Partei, die aus dem Pinochetismo entstanden ist. In den vergangenen Jahren hatte sie ihre Aussagen gemäßigt. Dem Bündnis Chile Vamos gehören auch Parteien an, die sich von der Diktatur distanzieren. In diesem Jahr aber hat Matthei, die die Präsidentschaftskandidatur für Chile Vamos anstrebt, den Ton im Wettbewerb mit rechtsextremen Kandidaten verschärft. In einem Interview macht sie für die Menschenrechtsverletzungen „Verrückte“ verantwortlich, die auf eigene Faust gehandelt hätten und von niemandem rechtzeitig gestoppt worden seien. Die Zeitung „La Tercera“ zitierte Matthei mit einer Aussage ihres Vaters Fernando Matthei, der der Militärjunta angehörte. Dieser habe alle Einheiten der Streitkräfte besucht und erklärt: „Wenn hier irgendjemand eine Menschenrechtsverletzung begehen sollte, glauben Sie nicht, dass ich ihn verteidigen werde.“ Dennoch beging die Diktatur eine Unzahl an Menschenrechtsverletzungen. 1.469 Verschwundene und mehr als 1.700 Ermordete gehen auf das Konto des Staatsterrorismus. Daten des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, zufolge wurden allein am Tag des Putsches, dem 11. September 1973, 78 Menschen ermordet oder verschwanden unter gewaltsamen Umständen. Am Ende des Jahres 1973 betrug die Zahl bereits 1.832. Im Jahr 1974 war statistisch jeden Tag mehr als ein Opfer zu beklagen. Die Zahlen gingen in den folgenden Jahren zurück, aber Morde und das Verschwinden von Menschen setzten sich fort.

Hinterbliebene von Diktatur-Opfern empört

Carolina Tohá vom Partido por la Democracia (PPD), der zur Regierungskoalition zählt, strebt, ebenfalls aussichtsreich, eine Präsidentschaftskandidatur für das Regierungslager an. Die Einlassungen von Matthei seien von einer Gewalt und Brutalität, von der sie gehofft habe, diese nie wieder hören zu müssen, so Toha: „Tote sind niemals, niemals unvermeidbar, und noch weniger „notwendig“ sind Morde, politisches Gefängnis, Konzentrationslager, Entführungen.“ Unter den von Matthei als „unvermeidbar“ bezeichneten Toten habe sich ihr Vater befunden. José Tohá war während der Präsidentschaft von Salvador Allende Innen- und Verteidigungsminister. Im September 1973 wurde er verhaftet, in mehreren Internierungslagern gefoltert und im Februar 1974 ermordet.

Carlos Cuadrado Prats, der ehemalige Bürgermeister von Huechuraba, das zu Groß-Santiago zählt, erinnerte daran, dass sich unter Mattheis „unvermeidlichen“ Toten seine Großeltern befanden, Carlos Prats González, General und ehemaliger Innenminister der Allende-Regierung, und Sofía Cuthbert. Die beiden wurden 1974 in Buenos Aires von Pinochets Geheimpolizei DINA (Dirección de Inteligencia Nacional) ermordet.

Präsident Boric: Diktatur von Anfang bis Ende verbrecherisch

Chiles amtierender Präsident Gabriel Boric schrieb bei X: „Der Putsch ist nicht zu rechtfertigen. Die Diktatur war verbrecherisch und unrechtmäßig, vom 11. September 1973 bis zum 11. März 1990 [Amtsantritt des demokratisch gewählten Präsidenten Patricio Aylwin]. Nichts rechtfertigt die Morde, das Verschwindenlassen, die Foltern, das Exil. Zu keinem Zeitpunkt.”

Die Hinterbliebenen-Organisation Coordinadora Nacional de Agrupaciones de Familiares de Detenidos Desaparecidos y Ejecutados Políticos verurteilte die Worte der rechten Präsidentschaftskandidatin scharf und forderte einen Widerruf und eine öffentliche Entschuldigung. „Aus Respekt vor allen Opfern der Diktatur und zum Schutz der Demokratie in unserem Land.“ Es handle sich um ein Leugnen, auf das die Gesetzgebung reagieren müsse. Die Kandidatin habe bereits zuvor Pinochet verteidigt. Vor zwei Jahren habe die Rechte sich einem nationalen Konsens aus Anlass des 50. Jahrestages des Putsches verweigert, was ein weiteres Mal deren Unfähigkeit, sich auf die Demokratie einzulassen, belege.

Bekenntnis der chilenischen Rechten zur Demokratie in Zweifel

Der mitregierende Frente Amplio warf die Frage auf, ob Matthei eine Erbin des ehemaligen Präsidenten Sebastián Piñera, sei, dessen Losung „Democracia siempre“ („Demokratie immer“) gelautet habe, oder eine Erbin von Pinochet. Diesen hatte sie verteidigt, als er 1998 in London aufgrund der von ihm zu verantwortenden Verbrechen verhaftet wurde. Der Frente Amplio forderte die demokratische Rechte auf, klar Position zu beziehen, da Matthei offenbar hierzu noch immer nicht in der Lage sei. Bedauerlicherweise bestehe das Problem von Evelyn Matthei nicht in ihrer Haltung, sondern im Fehlen einer Haltung. An einem Tag sage sie dies, am anderen jenes, je nachdem, in welche Richtung die Umfragen sie drückten. Sie sei abhängig davon, ob der rechtsextreme Johannes Kaiser oder die politische Mitte in den Umfragen zulege. Die Chilen*innen wüssten einfach nicht, mit wem sie es bei Evelyn Matthei zu tun hätten, so Frente Amplio-Mitglied Gonzalo Winter vom, der sich auch um eine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl bewirbt. Etwas, von dem man gedacht habe, es sei nach 50 Jahren überwunden, scheine sich zu wiederholen.

Zwei weitere mögliche Kandidatinnen des Regierungslagers lehnten die Aussagen von Matthei ebenfalls öffentlich ab. Die Kommunistin Jeannette Jara warnte, dass sich die Demokratie nicht auf der Grundlage des systematischen Leugnens („Negacionismo“) aufbauen lasse. Die Sozialistin Paulina Vodanovic erinnerte daran, dass die Pinochet-Diktatur 1973/74 mehr als 2.000 Menschen ermordet habe. Unter diesen befanden sich 15 schwangere Frauen. Vodanovic warf die Frage auf: „Welcher Demokrat, welche Demokratin kann solch ein Massaker relativieren?“ Die Aussagen von Matthei sorgten dafür, dass in den sozialen Medien immer wieder Beispiele von ermordeten Kindern und Jugendlichen genannt wurden, ebenso wie Massaker an der unbewaffneten Landbevölkerung. Der einstige Präsidentschaftskandidat Marco Enríquez-Ominami schrieb bei X: „Ja, Evelyn, Victor Jara die Hände zu brechen, um ihn anschließend zu ermorden, war absolut unvermeidbar.“

Diktatur laut Matthei Folge eines kollektiven Versagens

In einem Versuch, für Klärung zu sorgen, erklärte Matthei in einem Video: „Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Weder habe ich die Menschenrechtsverletzungen gerechtfertigt, noch werde ich das jemals tun. Ich bin immer dem Dialog und der Demokratie verpflichtet gewesen.“ Die Linke verdrehe ihre Aussagen grob. Was sie jedoch meine, sei: Alle Bereiche der Politik seien für das Zerbrechen der chilenischen Demokratie verantwortlich gewesen. Es habe sich um ein kollektives Versagen gehandelt.

Der Diskurs von Matthei findet in einem Jahr statt, in dem die extreme Rechte, die die Diktatur rechtfertigt, mit Kandidaturen wie denen von José Antonio Kast und Johannes Kaiser dem Bündnis Chile Vamos die rechte Wählerschaft streitig macht. Beide kritisierten die Äußerungen von Matthei nur deshalb, da sie diese für opportunistisch halten. Kast, Kandidat des Partido Republicano, sagte: „Unsere Position zu dem, was vor 50 Jahren geschah, ist klar und bekannt. Sie ändert sich nicht je nach Umfrage oder Angst vor der Wahl. Priorität aber hat es für uns, nach vorne zu schauen.“ Kaiser vom Partido Nacional Libertario wiederum zeigte sich erstaunt über die Äußerungen von Matthei. Er glaube, in den vergangenen 20 Jahren habe man in Chile nichts Ähnliches gehört. Es handle sich um einen gewissen Opportunismus in Zusammenhang mit der Wahl.

Einer Umfrage des Institutes CADEM zufolge glauben 28 Prozent der Chilen*innen, dass Matthei Chiles nächste Präsidentin wird. Mit großem Abstand folgen die Kandidat*innen Kaiser (14 Prozent), Kast (13 Prozent), Tohá, (5 Prozent), Jara (3 Prozent) und Winter (3 Prozent). Bei der Frage, für wen sie stimmen würden, wenn am gleichen Tag die Wahl wäre, landete Matthei ebenfalls auf dem ersten Platz, allerdings nur mit 20 Prozent. Es folgten Kaiser (15 Prozent), Kast (14 Prozent), Jara (5 Prozent), Tohá (4 Prozent) und Winter (3 Prozent). Die Bündnisse von rechts und links werden voraussichtlich im Mai ihre Vorwahlen abhalten, um ihre Präsidentschaftskandidat*innen für die Wahl am 16. November zu küren. Sollte keine/r der Kandidat*innen an diesem Tag mehr als 40 Prozent der Stimmen erhalten, wird es am 14. Dezember eine Stichwahl zwischen den beiden KandidatInnen geben, die in der ersten Runde die meisten Stimmen erhielten. Verschiedene Umfragen prognostizieren ein Duell Matthei gegen Tohá.

Übersetzung: Bernd Stössel

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