(Guatemala-Stadt, 25. Januar 2019, Nómada/ poonal).- Eine Gruppe Abgeordneter plant das Gesetz zur Nationalen Versöhnung zu reformieren und damit eine Generalamnestie für Ex-Militärs und Ex-Guerilla-Kämpfer zu erlassen, die während des internen bewaffneten Konflikts (1960-96) Verbrechen begangen haben. Das Thema ist komplexer als es zunächst erscheint. Wir erklären es anhand von fünf Fragen und Antworten.
1. Was ist das Gesetz zur Nationalen Versöhnung?
Das Gesetz wurde 1996 vor der Unterzeichnung der Friedensverträge vom Kongress verabschiedet. Es sieht eine Amnestie vor, die zur Versöhnung zwischen den verfeindeten Gruppen nach dem Konflikt führen soll. Ziel war also den Militärs und Guerilla-Kämpfer*innen, die sich in dem 36 Jahre andauernden internen Konflikt bekämpft hatten, zu garantieren, dass sie in Friedenszeiten nicht für ihre politischen Vergehen, die sie in Kriegszeiten verübt hatten, verurteilt werden. Politische Verbrechen beziehen sich auf Angriffe gegen die politische oder konstitutionelle Ordnung eines Staates. Massaker, Vergewaltigungen und Angriffe auf die Würde des Menschen fallen explizit nicht in diese Kategorie. Die Amnestie gilt deswegen nicht für Verbrechen, wie u.a. Genozid, Folter oder Verschleppung.
2. Was ist mit den Ex-Militärs oder Ex-Guerilla-Kämpfern passiert, die schwere Verbrechen begangen haben?
Die Staatsanwaltschaft hat gegen jene Ex-Militärs und Ex-Guerilla-Kämpfer, die die schwerwiegendsten Verbrechen begangen haben, ermittelt. Hierbei handelt es sich nicht um Auseinandersetzungen zwischen den beiden Kriegsparteien, sondern um Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Der erste Fall, der vor Gericht verhandelt wurde, betraf den Ex-Militär Cándido Noriega. Er wurde wegen Mord an Zivilist*innen in den Gemeinden von Chinique, Quiché am 12. November 1999 zu 220 Jahren Gefängnis verurteilt. Das vorerst letzte Urteil wurde im Mai 2018 gegen die Militärs Hugo Ramiro Zaldaña Rojas, Manuel Antonio Callejas Callejas, Manuel Benedicto Lucas García und Francisco Luis Gordillo Martínez wegen Vergewaltigung von Emma Guadalupe und Verschleppung ihres Bruders Marco Antonio Molina Theissen im Jahre 1981 verhängt. Laut der Staatsanwältin für Menschenrechte Hilda Pineda kam es in den Jahren 1999-2018 bei 13 von 16 Anklagen zu einer Verurteilung. 42 Ex-Militärs und ein Ex-Guerilla-Kämpfer kamen ins Gefängnis.
Der Ex-Diktator Efraín Ríos Montt war im Gefängnis, aber seine Verurteilung wegen Genozid wurde annulliert und er kam auf freien Fuß. Er starb im April 2018. Ein Jahr zuvor starb auch Cándido Noriega. Damit sitzen zur Zeit 41 Kriegsverbrecher ein.
3. Was schlägt das neue Gesetz vor?
Eine Gruppe Abgeordneter unter der Führung von Fernando Linares Beltranena von der rechtskonservativen Partei der Nationalen Vorhut PAN (Partido de Avanzada Nacional) schlägt nun eine Generalamnestie vor. Würde diese Gesetzesreform durchkommen, würden alle Klagen abgewiesen und Ermittlungen sowie Strafprozesse gegen Kriegsverbrecher eingestellt werden.
In der Abteilung für Spezielle Fälle des Internen Bewaffneten Konflikts (Unidad de Casos Especiales del Conflicto Armado Interno) der Generalstaatsanwaltschaft für Menschenrechte sind 4000 Fälle gegen Sicherheitskräfte des Staates -vor allem vom Militär- anhängig und 87 gegen die Guerilla. Die Staatsanwältin für Menschenrechte Heidi Pineda hat im Interview mit Nómada erklärt, dass eine der Schwierigkeiten bei der Verbrechensermittlung gegen die Guerilla darin bestehe, dass es wenige Dokumente gebe und dass das Verteidigungsministerium wenig Bereitschaft zeige seine Archive zugänglich zu machen.
Weiterhin sieht die Gesetzesreform vor, die 41 Gefangenen binnen 24 Stunden freizulassen. Die Verfassung besagt, dass die Gesetze nur dann rückwirkend gelten, wenn die Täter begünstigt werden, was hier zum Tragen kommen würde.
4. Warum gibt es Gegenstimmen zu dieser Reform?
Rechtsexpert*innen sagen, dass die Reformen verfassungswidrig seien, da die guatemaltekische Rechtsprechung eine Verjährung bei schweren Verbrechen ausschließt. Die Verfassung von 1965 und das Grundlegenden Regierungsstatut (Estatuto Fundamental de Gobierno), das 1982 vom Ex-Diktator Ríos Montt verabschiedet wurde -beide rechtskräftig, als die meisten Kriegsverbrechen begangen wurden- sowie die aktuelle Verfassung besagen, dass Staatsdiener*innen, die „unsachgemäßen Gebrauch von Waffen gegen einen Gefangenen oder Festgenommen anwenden, auf Grundlage des Strafgesetzes zur Verantwortung gezogen werden. Das begangene Verbrechen ist unter diesen Umständen unverjährbar“. Die aktuelle Verfassung besagt darüber hinaus, dass der Kongress eine Amnestie für politische Verbrechen und damit verknüpfte nicht-politische Verbrechen -im Zusammenhang mit Politiker*innen- anordnen kann, wenn es im Interesse der Öffentlichkeit ist. Davon sind Verbrechen gegen das Leben und die Würde der Personen ausgeschlossen. Der Anwalt Alex Aizenstatd, Experte für Verfassungs- und internationales Recht, weist darauf hin, dass die geplante Generalamnestie in diesem Fall auch gegen internationales Recht und die Menschenrechte verstoßen würde.
Die Amerikanische Menschenrechtskonvention und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte garantieren das Recht auf Leben, Würde, Gerechtigkeit und Schutz vor Aggressionen. Ein Staat kann die Ermittlung dieser Verbrechen nicht umgehen, ohne seine internationalen Pflichten und die Rechte der Opfer zu verletzen. Darüber hinaus hat auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, den auch Guatemala anerkennt, festgesetzt, dass Amnestien im Falle schwerer Vergehen gegen internationales Recht nicht zulässig sind.
5. Welche Argumente sprechen für die Gesetzesreform?
Der Abgeordnete Fernando Linares Beltranena sagt, dass Guatemala „niemals die Unverjährbarkeit von Kriegsverbrechen oder solcher gegen die Menschlichkeit anerkannt hat, weswegen eine Amnestie für jedwedes Verbrechen erlassen werden kann, wenn dies vernünftig erscheint“. Sein Kommentar missachtet die Analyse von Expert*innen hinsichtlich der nationalen Gesetzgebung und den internationalen Abkommen, die darauf abzielen, die Verbrechen zu ermitteln und zu verurteilen.
Die Begnadigung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist in Guatemala strikt verboten. „Das ist kein Thema, das diskutiert werden muss, das umstritten oder unterschiedlich interpretierbar ist“, so Aizenstatd. Laut Linares Beltranena würden weitere Ermittlungen von Kriegsverbrechen eine wirkliche Versöhnung verunmöglichen. „Wir möchten die Konfrontation, die Auseinandersetzung beenden, was seit 1996 nicht erreicht wurde. 22 Jahre sind vergangen und der Krieg geht weiter“, so Linares. Die erste Hürde hat die Gesetzesreform bereits genommen. In zwei weiteren Sitzungen des Kongresses könnte dieser die Reform verabschieden. Menschenrechtsorganisationen haben bereits angekündigt, Aktionen wegen Verfassungswidrigkeit zu starten, um die Generalamnestie zu verhindern.
Gesetzesreform: Kriegsverbrecher bald auf freiem Fuß? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar