Zwischen Hoffnung und Skepsis

Und doch hat sich etwas geändert: Ein neuer Wind weht durchs Land. Die Jugend geht auf staatlich genehmigte Elektroparties und Weltmusikfestivals; Es gibt kleine Cafés; Nachbarn verkaufen Brötchen und Pizza aus ihren Häusern heraus und einige Jugendliche führen auch schon ihre Smartphones spazieren.

Linet ist eine 29-jährige Informatikerin und lebt seit sechs Jahren im Zentrum der Hauptstadt Havanna. Wie alle Kubaner war auch sie von der Aufnahme diplomatischer Beziehungen positiv überrascht: „Jede gut gemeinte Annäherung ist ein Hoffnungsschimmer. Dieses Land war über 50 Jahre lang in einer Lethargie, 50 Jahre dieselben Ideale, dieselben Prinzipien. Als ob die Zeit stehengeblieben wäre.“

Die Leute wollen Veränderungen

Doch 2011 begann die kubanische Regierung unter dem pragmatischen Präsident Raúl Castro mit der Neuausrichtung der politischen Leitlinien. Seitdem wurden Ein- und Ausreisebestimmungen erleichtert und Häuser und Autos können seitdem gekauft und verkauft werden. Doch von einer Aufhebung der Blockade ist vorerst keine Rede. Noch läuft die Wirtschaft schlecht, die Arbeitskraft ist nichts wert, als Informatikerin verdient Linet nur knapp 30 Euro – im Monat. „Unser größtes Problem ist die Meinungsfreiheit. Da geht es nicht nur darum, seine Meinung zu einem Thema zu sagen. Es geht darum entscheiden zu können oder an etwas teilzuhaben. Es geht für die Bevölkerung um die Möglichkeit aktiv zu werden, um das Recht auf würdige Arbeit, und ausreichend Geld für das Nötigste zu haben. Das kubanische Gehalt hat doch nur noch symbolischen Wert”.

Beim Thema der Löhne stimmt sie mit Alexander Guzmán überein, der seinen richtigen Namen lieber nicht nennen möchte. Der Grafikdesigner sitzt in einem der neuen, hippen Cafés – in dem es allerdings gerade keinen Strom gibt und somit leider auch keinen Kaffee. Auch für ihn ist das größte Problem Kubas die wirtschaftliche Situation und die neuen Leitlinien ein wichtiger Fortschritt. Doch auch ihm fehlt das Geld: „Ich finde man sollte nicht nur fürs Essen arbeiten. Der Lohn sollte ausreichen, um auch einen Teil davon sparen zu können. Viele Menschen müssen neben ihrer Arbeit noch illegal was dazuverdienen. Von dem Beginn der Beziehungen zwischen Kuba und den USA erhoffen alle, dass es der Wirtschaft etwas besser geht. Man sieht es auch schon; es gibt viele schicke Kneipen, es gibt viele Leute, die investieren.“

Alexander kennt das Ausland nur aus dem kubanischen Fernsehen und hofft, dass er bald etwas Geld auf die Seite legen kann – zum Reisen zum Beispiel. Gleichzeitig ist er skeptisch; er fürchtet sich vor der Macht der US-Konzerne, will aber mehr Internet: „Das Internet in Kuba ist eine Katastrophe! Das Internet ist eine riesige Informationsquelle, was gut und auch schlecht sein kann. Aber die Leute müssen in der Lage sein, das selbst zu entscheiden; die Regierung darf nicht für die Leute entscheiden. Das ist doch Demokratie.”

Punkkonzerte und Travestieshows

Zeit für einen Ausflug nach Santa Clara, eine kulturelle Hochburg Kubas. Pferdewägen fahren durch die Straßen, das Städtchen ist beschaulich. In Santa Clara steht nicht nur das Che-Mausoleum, dort gibt es auch das unabhängige Kulturzentrum „El Mejunje“. Hier gibt es Travestieshows, Salsa, Elektro oder Jazz. An diesem Abend findet ein Punkkonzert statt. Die Bands gedenken dem Sänger der kubanischen Punkband Eskoria, der vor fünf Jahren bei einer Auseinandersetzung ums Leben gekommen ist.

Im Publikum sitzt Yosmany Martín, der sich auch „Kabeza“ nennt. Cabeza ist 40, arbeitet als Müllmann und spielt in der Punkband Limalla. Anfangs habe er sich über die Verhandlungen mit den USA gefreut, sagt Cabeza. Aber was nützt das Internet, wenn man nichts zu essen hat, fragt er sich: „Das System an sich ist eigentlich genial: Alles für alle, das ist natürlich gut. Aber in Wirklichkeit ist ein Großteil für die Militärs und Politiker, nicht für die Bevölkerung, nicht für diejenigen, die produzieren. Also ist es nicht gut.“

„Das Land entwickelt sich rückwärts“

Auch Isbel ist der Meinung, dass das System nicht gut funktioniert; das muss er auch, denn er ist Anarchist. Isbel ist 39, lebt in der Nähe des pompösen Revolutionsdenkmals in Havanna.und hat schon eigene Gedichtbände veröffentlicht. „Es gab große Fortschritte in Bereichen der Gesundheit, Bildung, Kultur und Sport“, findet Isbel: „Kuba hat viel erreicht aber inzwischen entwickelt sich das Land rückwärts. Die Qualität der kubanischen Bildung ist total mies. Zwar hat das Land ein sehr hohes Unterrichtsniveau erreicht und die Bildung ist für alle umsonst. Aber bei den Bildungsprogrammen fehlen die Hintergrundinformationen, genauso wie die Gesellschaft nicht ausreichend informiert ist. Außerdem fehlen in unserem Bildungssystem alle Fortschritte, die es in der Pädagogik international, aber vor allem in Lateinamerika gegeben hat: eine demokratischere, eine partizipativere Volksbildung.“

Aber ohnehin sei Kuba bereits kapitalistisch, der große Privatbesitzer sei eben der Staat. Zwar habe die antiautoritäre kubanische Linke einen Gesellschaftsentwurf, der auf Solidarität und Selbstbestimmung basiere. Das interessiere bloß niemanden, meint Isbel: „Über viele Jahrzehnte wurde eine total unpolitische Gesellschaft konstruiert, die sich nichts mehr wünscht als Veränderungen. Und die Regierung hat Veränderungen eingeleitet. Es ist egal, was das bedeutet, es ist egal, wohin das führt; es sind Veränderungen und die Leute wollen Veränderungen.“

Den Audiobeitrag zu diesem Artikel findet ihr hier.

CC BY-SA 4.0 Zwischen Hoffnung und Skepsis von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert