Fakenews, Inszenierung und Spektakel

Gewalt TV
Informiert und beeinflusst seit 100 Jahren: das Fernsehen
Foto: Norbert Bangert via wikimedia
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(Santiago de Chile, 23. Januar 2024, npla).- Medienmacht und das Framing von Gewalt: Im chilenischen Fernsehen wird der Darstellung von Gewalt zunehmend mehr Zeit eingeräumt. Damit verschleiern die großen Medienkonzerne die wahren Ursachen der sozialen Ungleichheit. Die Beziehung zwischen Gewalt und Sensationslust hat in der Geschichte der Medien und des Journalismus eigene Sendeformate mit hohen Einschaltquoten hervorgebracht. Das chilenische Fernsehen zeichnet sich zunehmend dadurch aus, dass es mehrere Stunden seiner täglichen Sendezeit auf die Themen Kriminalität und Drogenhandel sowie städtische Gewalt, einschließlich häuslicher Gewalt, konzentriert. Dabei werden auch soziale Proteste und alles, was das neoliberale Regime in Frage stellt, als kriminell dargestellt. Medienforscher*innen beobachten, dass legitime Handlungsformen sozialer Bewegungen in den Medien immer wieder diskreditiert werden. Dabei wird ein Widerspruch zwischen öffentlicher Sicherheit und Protest aufgemacht. Dieses Thema hat sich die chilenische Rechte auf die Fahne geschrieben, allen voran die extreme Rechte und insbesondere die vom ehemaligen Präsidentschaftskandidaten José Antonio Kast angeführte Republikanische Partei. Diverse Studien belegen zudem, dass Fernsehprogramme mit Gewaltdarstellungen einen Einfluss auf die psychische Gesundheit und die Aggressivität von Kindern haben.

Gegenwärtig verwendet das chilenische Fernsehen häufig Aufnahmen, die von Überwachungskameras im öffentlichen Raum gemacht werden, in Informationsprogrammen wie Nachrichtensendungen oder politischen Diskussionsrunden, aber auch in den als „Matinees“ bezeichneten Sendungen, die vormittags laufen.

Durch eine Erzählung, bei der der spektakuläre Charakter der Nachricht Vorrang vor dem Inhalt hat, zeichnet sich eine Tendenz zur Erzeugung von Emotionen wie Angst, Unsicherheit oder Ungewissheit ab. In diesem Sinne haben Nachrichtensendungen oft eher Unterhaltungs- als Informationscharakter. So laufen minutenlange Aufnahmen von „portonazos“ (Autodiebstähle bei der Ankunft zu Hause) und „encerronas“ (Autodiebstähle unterwegs) über den Bildschirm.

Die chilenischen Sender unterscheiden sich nicht in ihrem Nachrichten- und Unterhaltungsangebot. Jeder Sender hat seine eigene Morgensendung, und üblicherweise werden Themen wiederholt, insbesondere kriminelle Ereignisse vom Vortag. Wie eine im Auftrag des Consejo Nacional de Televisión durchgeführte Studie (1) zeigt, wird meist versucht, die Topmeldung mit „direkter Gewalt und Tragödie“ zu verbinden.

Die Marktkonzentration der chilenischen Medien

Die chilenische Medienlandschaft ist ein hochgradig konzentrierter Markt, der sich vor allem an Einschaltquoten und Werbeeinnahmen orientiert. Aufgrund der kaum vorhandenen Regulierung und der Nichtexistenz öffentlicher Medien – einzige Ausnahme ist Televisión Nacional de Chile TVN, – spiegelt die chilenische Medienlandschaft den Einfluss konservativer Eliten wider.

Das staatliche chilenische Fernsehen muss sich paradoxerweise per Gesetz selbst finanzieren und braucht somit Werbekunden, um konkurrenzfähig zu sein. Das führt dazu, dass TVN dazu tendiert, wie auch die privaten Kanäle ein „Unterhaltungsprogramm“ anzubieten, das weit entfernt ist von einem qualitativ hochwertigen und vielfältigen Programm. Aus diesem Grund tauchen kulturelle Angebote wie Musik, Theater, künstlerischer Film und Dokumentarfilme praktisch nicht im Programm auf.

Das Eigentum an den chilenischen Medien liegt in den Händen weniger großer Wirtschaftskonglomerate. Dies gilt für den Printbereich, der weitgehend von einem Duopol der konservativen Konzerne El Mercurio und COPESA dominiert wird, als auch für die Radio- und Fernsehlandschaft.

Auf gesetzlicher Ebene wird jedes Medium (Radio, Fernsehen, Print) von verschiedenen Gremien reguliert. Beim Fernsehen überwacht der Nationale Fernsehrat (CNTV) die Programmgestaltung der frei empfangbaren und der Pay-TV-Kanäle. Er legt ethische Normen fest, sanktioniert schlechte Praktiken und erweckt damit den Eindruck, dass er das ordnungsgemäße Funktionieren der TV-Kanäle gemäß der Verfassung überwacht.

Die Zunahme von Falschinformationen

In letzter Zeit gewinnt der Einsatz von Falschmeldungen zunehmend an Bedeutung. Dabei geht es um manipulierte Informationen, wie bei der Ermordung von Camilo Catrillanca, Bewohner einer Mapuche-Gemeinde, durch die uniformierte Polizei Carabineros im November 2018. Hier verbreiteten Medien schnell die Version der Polizei, Catrillanca sei im Zuge einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Mapuche-Aktivist*innen und der Polizei gestorben. Später informierten die Justiz und einige alternative Medien, dass Catrillanca tatsächlich auf einem Traktor arbeitete, als er von einem tödlichen Schuss getroffen wurde. Ähnliches geschah beispielsweise im Kontext der sozialen Revolte (ab Oktober 2019). So wurde im Zuge der Proteste im Fernsehen über vermeintliche Plünderungen in einem Stadtviertel berichtet. Die dabei unterlegten Archivbilder stammten jedoch aus einem anderen Kontext. Auch bei dem sich an die Revolte anschließenden verfassunggebenden Prozess wurden über die Fernseh-Wahlwerbung Falschnachrichten und Falschinformationen verbreitet.

In den letzten zehn Jahren war der Fernsehmarkt großen Veränderungen unterworfen, immer dann, wenn die Medien versuchten, mithilfe von Multimediastrategien mit verschiedenen Formaten ein größeres Publikum im Internet zu gewinnen (2).  Auch die traditionellen Massenmedien entwickeln Multimediastrategien, um ihre Marktposition auszubauen. Das Streaming von Fernsehen wird zunehmend wichtiger, auch Radiosender bringen ihre Programme als Video-Podcasts ins Internet. Die Einführung des digitalen Fernsehnetzes (Red de Televisión Digital Terrestre – TDT) bedeutet, dass jeder Fernsehsender über drei weitere frei empfangbare digitale Kanäle verfügt. Dies führt zu einem exponentiellen Wachstum der Zirkulationsformen von Diskursen in der Berichterstattung.

Das Oligopol der chilenische Fernsehindustrie: ein Knebel für die Meinungsfreiheit

Die Studie „Medienkonzentration in der chilenischen Fernsehindustrie“ stellt fest, dass „die Eigentumsverhältnisse und die Finanzierung des chilenischen Fernsehens die Programmgestaltung im Fernsehen und folglich den Pluralismus und die Vielfalt von Themen und Akteur*innen beeinflusst, die in den Medien zu Wort kommen oder nicht“ (2). Diese Konzentration verteilt sich auf verschiedene Wirtschaftskonglomerate: So betreibt die Bethia-Gruppe der Familie Heller Solari den Konzern Mega Multimedia mit dem TV Kanal Mega und investiert in den Einzelhandel, in Immobilienunternehmen, in die Wein- und Agrarwirtschaft, in den Reitsport, in die Gesundheitsversorgung und in Fußballkonzessionen. Die Familie Luksic betreibt das TV-Programm „Canal 13“ und hält darüber hinaus Beteiligungen in der Industrie, in Banken, im Bergbau und in der Agrarwirtschaft. Große Bedeutung besitzen auch die spanische Radio- und Verlagsgruppe Prisa Iberoamericana, die mexikanische Televisa-Gruppe mit Unternehmungen in Telekommunikation, in der Filmproduktion und -synchronisation, in der Animation und in Fußballvereinen, sowie das US-Unternehmen Time Warner Group, das CNN Chile und den TV-Kanal Chilevisión betreibt und darüber hinaus auch bei Videospielen und Filmproduktionen engagiert ist.

Daraus ergibt sich eine Machtkonzentration in Form eines Oligopols, das die TV-Landschaft beherrscht, den Zugang zur Mehrheit des Publikums kontrolliert und damit alle Werbeeinnahmen monopolisiert. Vor dem Hintergrund dieser wirtschaftlichen Verquickungen und der mehrheitlich extrem konservativen Ausrichtung der erwähnten Konzerne ist es geradezu utopisch, beispielsweise das System der privaten Pensionsfonds (AFP, die Rentenfonds durch individuelle Kapitalisierung verwalten) oder private Gesundheitsversorgung und die Klinikindustrie oder auch den Einzelhandel kritisch zu beleuchten. Die Monopolisierung wirkt hier wie ein Knebel und führt zu einem Verlust an Meinungsfreiheit und -vielfalt bei den Medienschaffenden, insbesondere bei Journalist*innen.

Die Spektakularisierung der Gewalt

Die Frage, wer von diesem Zustand der Medien in Chile profitiert, ist leicht zu beantworten:  gewinnorientierte Unternehmen, die durch Investitionen, Börsengeschäfte und Werbestrategien für Waren und Dienstleistungen miteinander verbunden sind. Sie setzen ihre redaktionellen Linien sowie die Nachrichtenagenda durch, was dazu führt, dass das Spektrum der über die Bildschirme sichtbaren Akteur*innen reduziert wird. Das betrifft insbesondere soziale Bewegungen und Gemeinschaften, die sich gegen Umweltzerstörung in ihren Territorien zur Wehr setzen.

Das Medienspektrum erschafft eine Ebene der Realität, ein Konstrukt, das bestimmte soziale Vorstellungen in der Bevölkerung erzeugt. Gewalt wird als Sensation dargestellt, die es häufig in Form von Schlagzeilen auf die Titelseiten der Zeitungen und Fernsehnachrichten schafft. Das bildet einen täglich wiederkehrenden Interpretationsrahmen, einen sogenannten Frame. Es geht nicht um die Frage, ob ein Klima der Gewalt existiert oder nicht, schließlich basieren neoliberale Gesellschaften grundsätzlich auf unharmonischen Beziehungen. Das Leben unter Bedingungen hoher Ungleichheit schafft bereits ein gewalttätiges Klima in den Haushalten, von denen mehr als 70 Prozent über weniger als 500 Euro monatliches Einkommen verfügen. Darüber hinaus geht es um die Darstellungsformen der Medien, die die Ursprünge der Gewalt meist nicht hinterfragen und mögliche Wege zu ihrer Überwindung nicht ausreichend thematisieren.

Jene Erzählungen oder Narrative, die die Darstellung von Gewalt inszenieren, folgen einem politischen Prinzip, dessen Ziel und Strategie darauf ausgerichtet ist, die Unsicherheit der Bürger*innen als Hauptproblem darzustellen, und nicht die Ungleichheit und den Mangel an Chancen für Millionen von Menschen in Chile. Indem Gewalt zum Spektakel wird, werden deren Ursachen und Widersprüchlichkeiten ignoriert. In einem Land, das mit der sozialen Revolte im Oktober 2019 ein tiefes Unbehagen über seine Lebensbedingungen deutlich ausgedrückt hat, werden viele dieser Ausdrucksformen durch das mediale Framing in einem neoliberalen Kontext kriminalisiert: Die Protestaktionen der indigenen Mapuche zum Beispiel werden entweder als „terroristisch“ eingestuft oder, sofern ein Kriminalisierungskonstrukt nicht greift, als solche unsichtbar gemacht. Der Beitrag, den die Medien zur Stärkung von Demokratie, Pluralismus und Vielfalt leisten, ist somit äußerst fraglich. Eine Entmonopolisierung und Demokratisierung des Mediensystems ist daher überfällig.

Übersetzung: Ute Löhning

Quellen:

1) Ossa, C; Arancibia, J.P. (2012): „La calidad en géneros informativos y de entretención no ficcional. Lenguajes e identidades”. Consejo Nacional de Television (CNTV). Chile. 2012.

2) Yáñez Uribe, L. (2019): „Apuntes sobre la concentración de los medios de información audiovisual en Chile“. En Chaparro Escudero, M.; Gabilondo, V.; Espinar Medina L. (coords.), Transparencia mediática, oligopolios y democracia ¿Quién nos cuenta el cuento? Salamanca: Comunicación Social Ediciones y Publicaciones.

Leonel Yañez Uribe ist Journalist und Kommunikationswissenschaftler. Er lehrt an der Universidad de Santiago de Chile (USACH).

Dieser Artikel erschien zuerst im ILA-Dossier „Gewalt überwinden“.

 

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