Die Chancen der Migration

(23. Januar 2023, La Diaria) Die Integration von Migrant*innen kann das Bruttoinlandsprodukt des Aufnahmelandes um bis zu 4,5 Prozent in 2030 steigern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF). Grundlage der Analyse war die Emigration aus Venezuela. Seit 2015 haben mehr als sieben Millionen Menschen das Land verlassen. Ein Großteil davon (85 Prozent) migrierte in ein anderes lateinamerikanisches Land. Insbesondere Kolumbien hat viele Menschen aufgenommen – insgesamt ca. zwei Millionen. Dahinter folgen Chile, Ecuador und Peru, die zusammen mehr als zwei Millionen Migrant*innen aufgenommen haben. Im Schnitt bedeutet das für jedes der drei Länder einen Bevölkerungszuwachs von mehr als drei Prozent.
Der IWF schätzt, dass Kolumbien 2019 ca. 600 US-Dollar für jede eingewanderte Person ausgegeben hat, u.a. für humanitäre Hilfe, Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung, Bildung, Unterkunft und Unterstützung bei der Arbeitssuche. “Mit mehr als zwei Millionen Geflüchteten beläuft sich also die Summe auf 1,3 Milliarden US-Dollar. Das Jahr mit den höchsten Ausgaben war 2019, als die Hilfen rund 0,5 Prozent des kolumbianischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausmachten.” Diese Investition könnte in 2030 zu einem Wachstum des BIP um 4,5 Prozent führen. Um dieses Potenzial zu heben, müssten Aufnahmeländer aber eine schnelle Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Etwa indem sie den Verwaltungsaufwand vereinfachen und den Zugang zum Gesundheits- und zum Bildungssystem ermöglichen. Nach Schätzungen des IWF wird im Jahr 2025 die Zahl der Migrant*innen aus Venezuela 8,4 Millionen betragen. Das wäre mehr als ein Viertel der Bevölkerungszahl Kolumbiens im Jahr 2015. Gleichzeitig weist die Studie darauf hin, dass das venezolanische BIP zwischen 2013 und 2021 um mehr als 75 Prozent schrumpfte. Unter den Ländern, die nicht in kriegerische Konflikte verwickelt sind, ist die venezolanische Wirtschaft damit diejenige, die in den letzten 50 Jahren am stärksten geschrumpft ist. Bedingt durch die Pandemie verschlechterte sich die Lage in 2020 nochmal drastisch. Fast 95 Prozent der Einwohner*innen lebten unterhalb der Armutsgrenze.
Seit Beginn der venezolanischen Emigration verließen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen das Land. Anfangs waren es vor allem Menschen mit sehr hohem Bildungsgrad, es folgte eine jüngere Mittelschicht mit Hochschulabschluss. Ab 2017 emigrierten mehr Menschen aus ärmeren Haushalten und mit geringerem Bildungsgrad. Der Untersuchung zufolge ähnelt das demografische Profil der Migrant*innen dem der Bevölkerung in den Aufnahmeländern: Fast zwei Drittel sind im arbeitsfähigen Alter, fast die Hälfte sind Frauen.

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Wie schon zwei andere Studien zeigt auch diese: Obwohl viele Migrant*innen höhere Bildungsabschlüsse haben als die durchschnittliche lokale Bevölkerung, sind sie trotzdem öfter arbeitslos, verdienen weniger und haben geringere Chancen, eine Arbeit im formellen Sektor zu finden. Anzeichen dafür, dass heimische Arbeitnehmer*innen verdrängt werden, sehen die Autor*innen der Studie zwar keine. Jedoch steige der Lohndruck in der informellen Wirtschaft. Gleichzeitig werden Lohnunterschiede zwischen Einheimischen und Migrant*innen mit steigendem Bildungsgrad immer größer. Denn Geflüchtete mit hohem Bildungsgrad arbeiten oft in Sektoren, die kaum Qualifizierung erfordern. Im Schnitt, so die Studie verdienen Staatsangehörige rund 30 Prozent mehr als Migrant*innen.

Kosten und Nutzen

Das Beispiel Kolumbien zeigt, dass die Ausgaben, die entstehen, wenn Migrant*innen der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen gewährt wird, bei gerade mal 0,5 Prozent des BIP liegen. In den anderen Ländern der Studie war der Wert noch niedriger. Zudem sinken die Kosten im Laufe der Zeit, weil die Aufnahme von Migrant*innen nach und nach zu mehr Wirtschaftstätigkeit und mehr Steuereinnahmen führt. Mittelfristig sehen die Autor*innen der Studie vor allem Vorteile für Produktivität und Wachstum durch eine höhere Zahl an qualifizierten Arbeitskräften. Genauer gesagt “deuten die Schätzungen darauf hin, dass mithilfe der richtigen Integrationspolitik allein die Einwanderung aus Venezuela in Peru, Kolumbien, Ecuador und Chile bis 2030 ein zusätzliches Wachstum des realen BIP dieser Länder zwischen 2,5 und 4,5 Prozent bedeuten könnte.“

 

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