Bekämpfung von Migrationsursachen durch die „Allianz für Wohlstand“?

von Markus Plate

(San José, 22. Dezember 2015, voces nuestras-npl).- Mitte letzten Jahres erlebten die USA eine neue Dimension von Migration aus Zentralamerika und Mexiko. Innerhalb von zwölf Monaten griffen die US-Behören 60.000 unbegleitete Minderjährige auf. Man beschloss, das angebliche Problem Migration fernzuhalten – und vereinbarte mit den Hauptherkunftsländern Guatemala, El Salvador und Honduras eine Allianz. Kritiker*innen befürchten, dass Migration zunehmend kriminalisiert und die Herkunftsländer militarisiert werden sollen.

Doppelt so viele Menschen gen Süden abgeschoben

Im November 2014 machten die drei Präsidenten des Triangulo Norte, des nördlichen Dreiecks, Guatemala, Honduras und El Salvador, eine Analyse, die überrascht: Es sei nicht gelungen, über Handel und Wachstum so viel Wohlstand zu erzeugen, dass die Menschen nicht mehr migrieren müssten. Hat die zentralamerikanische Politik endlich eingesehen, dass in Washington erdachte neoliberale Konzepte nicht unbedingt zum Wohle ihrer Länder sind? Auf dem gleichen Treffen kündigten die drei Präsidenten auch ein Programm an, die Alianza para la Proseperidad, die „Allianz für Wohlstand“.

Diese Allianz basiert auf vier Säulen: Auf Wirtschaftswachstum, auf menschlicher Entwicklung, auf Sicherheit und Zugang zur Justiz. Und auf der Stärkung der Institutionen und transparenter öffentlicher Amtsführung. Und tatsächlich: Die Zahl von Menschen, die an der US-mexikanischen Grenze aufgegriffen wurden, sank in den folgenden Monaten um mehr als ein Drittel. Aber gleichzeitig, und das verschweigen Politiker*innen in den USA genau wie in Zentralamerika gerne, hat Mexiko mehr als doppelt so viele Menschen gen Süden deportiert, wie im Vorjahreszeitraum.

Gründe für Migration bleiben bestehen

Der costa-ricanische Migrationsforscher Carlos Sandoval sagt denn auch, wie die Migrationsverhinderungspolitik der USA wirklich aussieht: „Die US-, aber auch die europäische Politik bemühen sich um eine Externalisierung der Grenzen. Das bedeutet, dass die USA die Migration schon weit vor ihrer Grenze, in Guatemala, im Süden Mexikos, spätestens im Norden Mexikos aufhalten wollen.“ Hinzu komme die Militarisierung der Grenze, sagt der Experte. „Deswegen verzeichnet man in den USA weniger Migranten, aber das löst die Gründe für die Migration natürlich nicht.“

Guatemala, El Salvador und Honduras bekommen insgesamt 8 Milliarden US-Dollar, allerdings nur einen Bruchteil davon als direkte Hilfe. Beim Großteil der Mittel handelt es sich um Kredite, die drei Länder zahlen also selber. Dafür müssen sie verhindern, dass Menschen migrieren. Durch Kontrollen, nicht etwa durch Sozialprogramme.

Pedro Cabeza, Leiter der kanadischen Nichtregierungsorganisation (NRO) Salvaide, die sich schon seit 30 Jahren in El Salvador für die Verteidigung der Menschenrechte und für soziale Entwicklung einsetzt, befürchtet, wie viele Kritiker*innen, dass die Allianz für Wohlstand vor allem eines ist: Ein weiteres Programm zur US-Exportförderung und zur Militarisierung Lateinamerikas: „Sicherheit heißt weitgehend Waffenlieferungen an die Länder des Südens, die Polizei stärken, Gesetze verschärfen.“

Süden soll Märkte öffnen

Auf der anderen Seite, so Cabeza, bedeute Wirtschaftsentwicklung laut US-Doktrin, dass der Süden seine Märkte und Grenzen zu öffnen habe, damit US-amerikanisches Kapital besser fließen könne. Ein wesentliches Element dieser Marktöffnung sei es, die Rohstoffe der Länder besser ausbeuten zu können, egal ob Kohle aus Kolumbien, Gold aus dem nördlichen Dreieck oder Öl per Fracking aus Mexiko.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die dafür nötige Enteignung von Grundbesitz würden im Rahmen dieser Pläne und Allianzen vereinfacht und wenn sich die Bevölkerung dagegen auflehne, greife man auf den zuvor im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft geschaffenen Repressionsapparat zurück. „Die Folge sind massive Menschenrechtsverletzungen, in Kolumbien wie in Mexiko“, so Cabeza. Die Folge dieses Vorgehens sei mehr Migration, also das Gegenteil von dem, was mit dieser Art von Übereinkünften versprochen wird.

Das will David Morales, der Ombudsmann für Menschenrechte in El Salvador, so nicht stehen lassen. Ein positiver Aspekt der Allianz sei es doch, dass die US Entwicklungszusammenarbeit eingebunden werden solle, um zusammen mit wirtschaftlichem Wachstum die soziale Situation zu verbessern und Gewalt und Migration zu verringern. „Ich sehe nicht, dass das Programm zur Kriminalisierung von Migranten führt. Es geht ja um Kinder, deshalb bestehen wir auf einen humanitären Umgang und die Achtung der Menschenrechte.“ Natürlich müssten soziale Bewegungen eingebunden werden. Die Menschenrechtsbeauftragten von Guatemala, El Salvador und Honduras würden die Entwicklungen beobachten und hoffen, dass ihre Vorschläge gehört würden, so der Ombudsmann.

Teure Beteiligung von Unternehmen macht misstrauisch

Doch gerade hier hapert es gewaltig: Eine Einbindung der Zivilgesellschaft hat bislang kaum stattgefunden. Nach den Worten des salvadorianischen Journalisten Alfredo Carías gebe es bislang kaum Informationen über diese Allianz für den Wohlstand. Die Öffentlichkeit wisse nur, dass die Migration reduziert werden solle. Niemand wisse aber, wie das funktionieren solle. Und die Beteiligung der Unternehmer*innen, ein wichtiges und teures Standbein der Allianz für Wohlstand, sorge für Misstrauen.

Das Kalkül: Wenn Unternehmer*innen investieren, schaffen sie Arbeitsplätze. Das Niveau von Arbeitslosigkeit und Armut sinkt und damit auch die Gewalt und insgesamt der Druck, migrieren zu müssen. Aufschlussreich ist ein Blick auf die Wirtschaftsbereiche, in denen Jobs geschaffen werden sollen: Die industrielle Landwirtschaft, Callcenter, Textilfabriken, Massentourismus und Bergbau. Allesamt Bereiche, die nicht dafür bekannt sind, faire Löhne zu bezahlen und vernünftige Arbeitsbedingungen zu bieten. Und für nachhaltige Entwicklung stehen sie wohl erst recht nicht. Investitionen in Bildung, in ländliche Entwicklung, in Umwelt- oder Katastrophenschutz, in Gewaltprävention: All das kommt in der Allianz für Wohlstand kaum vor.

So haben in Zentralamerika viele den Eindruck, die Staaten Zentralamerikas würden für recht wenig Geld wieder einmal einen Plan aus Washington akzeptieren, der ihren Bevölkerungen keinerlei Nutzen bringt. Migrationsexperte Carlos Sandoval betont, dass Migration und Flucht Produkte von Ausgrenzung und Gewalt seien, die in Zentralamerika seit vielen Jahren immer mehr zugenommen haben und gegen die die Regierungen sehr wenig unternommen hätten: Die Wahrheit sei doch, so Sandoval, „dass gerade Guatemala und Honduras, Länder, die kaum in Soziales investieren, heute auch noch durch Korruptionsskandale erschüttert werden.“ Wichtiger wäre es, endlich ein Recht darauf zu etablieren, ‘nicht migrieren zu müssen’. Dann wären die Staaten verpflichtet, Arbeit, Bildung, und Gesundheit – also einen gewissen Lebensstandard – zu garantieren. Aber dies scheint kein Schwerpunkt der Allianz für Wohlstand zu sein.

 

 

 

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