von Markus Plate
(Berlin, 20. Oktober 2010, npl).- Wie Politiker unterschiedlicher Couleur um der Macht Willen mit der Kirche gegen Frauen paktieren.
Im April 2007 gab es etwas zu feiern in Lateinamerika: Seither ist in Mexiko-Stadt die Abtreibung bis zur zwölften Woche rechtmäßig. Es hagelte Kritik und Drohungen aus Rom und von den Kanzeln. Und gar nicht so weit von Mexiko-Stadt, in Nicaragua, konnten die Hardliner der katholischen Kirche einen Sieg über den aufgeklärten Menschen feiern. Hier wurde jede Form der Abtreibung verboten. Und auch das Beispiel Mexiko-Stadt hat in Mexiko selbst keineswegs Schule gemacht. Der Bundesstaat Guanajuato, regiert von der rechtskonservativen PAN des mexikanischen Präsidenten Calderón, intensivierte seinen Krieg gegen die Rechte der Frau – und das in der Praxis auf besonders perfide Weise.
Frauen wegen Kindstötung angeklagt
Auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema in Mexiko-Stadt erzählt Yolanda, was ihr widerfahren ist. Die inzwischen 26-Jährige ging am 12. Januar 2004 ins Krankenhaus, weil sich Zysten in ihrer Brust entwickelt hatten. Die behandelnde Ärztin kümmerte sich nicht um die Beschwerden, sondern brachte Yolanda in ein Zimmer sagte ihr: „Du warst das also! Du hast Deine Tochter umgebracht, Du wirst viele Jahre im Gefängnis schmoren.“ Tags zuvor war eine Babyleiche gefunden worden.
Der Vorwurf „Kindstötung“ wiegt in Guanajuato schwer. Seit 2009 wird das Delikt mit 25 bis 35 Jahren Haft bestraft, nach starkem, auch internationalen Druck wurde das Strafmaß in einer eilig zusammengebastelten Reform Ende August 2010 auf drei bis acht Jahre reduziert. Zum Vergleich: In Österreich, der Schweiz oder Schweden steht auf Kindstötung eine Höchststrafe von drei bis maximal fünf Jahren. 160 Frauen sind in Guanajuato wegen Kindstötung angeklagt, gegen 43 wird prozessiert. Sieben sitzen, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, in den Gefängnissen des Bundesstaates.
Yolanda sieben Jahre unschuldig in Haft
Für Yolanda und ihre Familie begann nun ein Martyrium. Sie wurde im Krankenhaus stundenlang festgehalten, psychisch unter Druck gesetzt und durfte weder mit ihrer Familie, noch mit Anwälten reden: „Ich dachte, wie können die mir sowas vorwerfen, wo ich doch gar nichts gemacht hab! Ich habe eine seltene menstruelle Unregelmäßigkeit. Ich kann schwanger sein und trotzdem menstruieren. Und dann wirst Du mit so etwas konfrontiert. Ich wusste ja gar nicht, ob ich nicht vielleicht doch schwanger war.“
Während Yolanda von Ärzt*innen und Ermittler*innen unter Druck gesetzt wurde, durchsuchte die Polizei vor den Augen der Eltern ohne Durchsuchungsbefehl das Haus. Beweise wurden fingiert, Yolanda verhaftet und ohne Haftbefehl ins Gefängnis gesteckt. Eine Pflichtverteidigerin wurde der jungen Frau erst nach einer Woche gestellt. Im folgenden Prozess bekam Yolanda 30 Jahre aufgebrummt, ohne Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung: „Ich war 19 damals, stellt Euch vor, was das für mich und meine Familie bedeutet hat“, erzählt Yolanda mit tränenerstickter Stimme.
Nach sieben langen Jahren Haft gelang der Frauenorganisation „Asociación de las Libres“, Yolanda frei zu bekommen. Vorausgegangen waren Jahre, in denen die Libres zusammen mit den Medien so laut auf diesen Justizskandal aufmerksam und der Regierung so Druck gemacht hatten, dass an einer Freilassung kein Weg mehr vorbeiführte.
Kein adäquater Rechtsbeistand
Verónica Cruz Sánchez ist eine der Frauen der „Asociación de las Libres aus Guanajuato“, die sich für die Freilassung Yolandas eingesetzt hat. Sie ist davon überzeugt, dass alle neun Frauen, die unter dem Gesetz von 2009 wegen angeblicher Kindstötung ins Gefängnis geworfen wurden, unschuldig sind, dass alle willkürlich verhaftet wurden: „Da war entweder wie bei Yolanda gar nichts oder es gab Fehlgeburten, also einen völlig natürlichen Prozess, der jeder schwangeren Frau in jedem Moment passieren kann.“ Keine dieser neun Frauen hatte in keinem Moment die Chance, ihre Unschuld zu beweisen, keine hatte einen adäquaten Rechtsbeistand, so dass alle Rechtmittel bis auf die Verfassungsbeschwerde ausgeschöpft waren.
Die Verfolgung von Frauen wegen angeblicher Kindstötung ist dabei nur der krasseste Fall eines politisch motivierter Kriminalisierung von Frauen. Seit 2000 gab es es 165 Ermittlungen wegen Abtreibung. Sämtliche Frauen sind jung und alle aus ärmeren Schichten. Die meisten haben das berüchtigte Abtreibungsmittel CytoTec genommen, sind dann mit schweren Koliken oder Blutungen ins Krankenhaus gekommen und dort vom medizinischen Personal angezeigt worden. Für Verónica Cruz Sánchez zeigt sich gerade hier, wie krass die Situation ist: „Wenn Ärzte, anstatt ihrer Pflicht nachzukommen, also eine gute Behandlung der Frauen zu gewährleisten und ihrer ärztlichen Schweigepflicht nachzukommen… wenn sich diese Ärzte plötzlich auch noch als Richter aufspielen, dann bleibt den Frauen überhaupt keine Möglichkeit mehr, sich zu verteidigen.“
Das Geschilderte gilt für die öffentlichen Krankenhäuser, in privaten Kliniken wird auch in Guanajuato straffrei abgetrieben. Wohlhabende Frauen haben in Guanajuato nicht viel zu befürchten. Auch Ärzte nicht, die Abtreibungen vornehmen. „Ja, es gibt eine staatliche Kriminalisierungspolitik gegen arme Frauen“, sagt Verónica Cruz Sánchez, wenn „Ärzte, anstatt zu helfen, urteilen und verurteilen; wenn Ermittler ohne zu ermitteln eine Straftat konstruieren, wenn Pflichtverteidiger, anstatt zu verteidigen, ebenfalls verurteilen, und wenn Richter die konstruierten Vorwürfe der Staatsanwaltschhaft einfach nur abnicken.“
Schulterschluss von PAN und Kirche
Die Politik der PAN Regierung propagiert im Schulterschluss mit der Kirche ein klassisches Familienbild, mit dem Mann als Familienvorstand. Was in den ärmeren Schichten Guanajuatos aber am wenigsten existiert, sind traditionelle Familien. Die meisten Männer sind zum Arbeiten in die USA gegangen, den Familienvorstand bilden die Frauen. Die Regierung versuche aber, ihre Idiologie um jeden Preis der Gesellschaft aufzudrücken, schimpft Verónica Cruz Sánchez. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier das Strafrecht missbraucht wird, um gegen nicht-traditionelle Familienmodelle vorzugehen.
Mittlerweile ist in 17 Bundesstaaten Mexikos die Abtreibung illegal, vor allem in solchen, die von der PAN regiert werden. Aber auch die Partei der Institutionalisierten Revolution PRI, zu deren festen Prinzipien die Trennung von Staat und Kirche gehörte, ist in einigen Staaten auf die Linie der Kardinäle eingeschwenkt. Und selbst die halblinke PRD, die in Mexiko-Stadt das Abtreibungsrecht legalisiert hat, kriminalisiert Abtreibung in Chiapas. Liberalisierung in Mexiko-Stadt, Verbot in anderen Bundesstaaten, wozu das führt, ist klar: Verzweifelte Frauen aus anderen Landesteilen müssen, wenn sie nicht klandestin abtreiben wollen, versuchen, in das Gesundheitssystem der Hauptstadt zu kommen. Fast die Hälfte der Frauen, die in den letzten drei Jahren hier abgetrieben haben, sind nicht aus Mexiko-Stadt.
* Vergleiche hierzu auch den Audiobeitrag von Markus Plate im Rahmen der Kampagne “Menschen. Rechte. Stärken!”, der unter der URL http://www.npla.de/de/onda/serien/menschenrechte/content/1108 kostenlos angehört oder heruntergeladen werden kann.
Kriminalisiert – das Recht auf den eigenen Körper? (Teil 1) von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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