von Antje Vieth
(Berlin, 24. April 2015, npl).- „Warum muss ich den ganzen Tag sagen: ‚Ich bin Trans* Trans* Trans*?“ Weil die Gesellschaft uns nicht so nennt, weil wir ignoriert werden in der Kultur, wir werden ignoriert in der Politik, in den Rechten, und auch die Wissenschaft ignoriert uns'“, erklärt die Trans*-Aktivistin Lohana Berkins bei einem Gespräch in Buenos Aires. Trans* sind Menschen, die sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, das sie bei ihrer Geburt zugewiesen bekamen. Kein Problem? Geschlecht ist in unserer Gesellschaft eine sehr bestimmende Kategorie.
Selbst gewähltes Geschlecht rechtlich anerkennen lassen
Werfen wir einen Blick in eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dort steht: „Trans*-Personen sind in allen Bereichen des täglichen Lebens massiven Diskriminierungen ausgesetzt. Diese reichen von Benachteiligung beim Zugang zum Arbeitsmarkt und bei Karrierechancen über Ablehnung und Belästigungen bis hin zu Gewalt. Trans*-Personen sind überdurchschnittlich häufig von Arbeitsverlust, Arbeitslosigkeit sowie Armut betroffen und arbeiten sehr oft unter ihren Qualifikationen.“
Für die Änderung des Vornamens und Personenstands kämpfen Betroffene in Europa oft jahrelang vor Gericht. Immer werden medizinisch-psychologische Gutachten verlangt. In vielen Ländern ist eine operative Geschlechtsanpassung Vorraussetzung. Zwanzig Länder fordern sogar eine Sterilisation. In Deutschland bestand die Sterilisationspflicht bis 2011.
Im Jahr 2010 schlossen sich in Argentinien feministische, schwul lesbische und Trans*-Initiativen zu einem Bündnis zusammen, um für ein Gesetz zur Geschlechtsidentität zu kämpfen. Mit Erfolg. Seit 2012 ist Argentinien das einzige Land auf der Welt, wo Menschen ihr selbst gewähltes Geschlecht selbst rechtlich anerkennen lassen können. Ohne Gutachten, ohne Geschlechtsangleichung. Sogar Minderjährige können ihr Geschlecht ändern lassen. Allerdings, auch hier gilt: es kann nur innerhalb der bestehenden Zweigeschlechtlichkeit, also zwischen männlich oder weiblich, gewählt werden.
Lohana Berkins ist Feministin und in der Trans*-Bewegung aktiv. Vor 30 Jahren gründete sie eine Organisation, die für die Identität von Travestis, Transsexuellen und Transgender kämpft. Die Bedingungen für Trans*-Personen waren hart. Das tragen von Kleidern des anderen Geschlechts war verboten. Dies wurde häufig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 30 Tagen geahndet.
Selbstorganisation und Kampf für die eigenen Rechte
Auch das Ende der Militärdiktatur 1983 brachte keine Besserungen für die Betroffenen. Das System blieb repressiv. In Argentinien wurden viele Trans*-Personen schwer gefoltert oder ermordet. „In der Gesellschaft liegt die Lebenserwartung im Durchschnitt bei 70 Jahren und wir starben mit 30“, erklärt die Aktivistin.
„Die Polizei wurde immer aggressiver und so beschlossen wir uns zu organisieren und für unsere Rechte zu kämpfen. Wir wussten nicht, wie das geht, viele waren seit ihrem 13. Lebensjahr auf der Straße und arbeiteten in der Prostitution. Der Anfang war schwer, weil wir nicht nur gegen staatliche Institutionen kämpfen, sondern auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Gesellschaft überzeugen mussten, dass wir hier für Menschenrechte kämpften.“
Das Bündnis formulierte gemeinsam den Inhalt des Gesetzes, das anschließend dem Senat vorlag. „Es ist vor allem deshalb revolutionär, weil wir es selbst gemacht haben, wir haben es getragen und verteidigt – wir Trans*-Frauen und Trans*-Männer. Weil wir gesagt haben: Wir warten nicht darauf, dass irgendjemand Schlaues vorbeikommt und das Gesetz schreibt“, erklärt Lohana Berkins stolz.
Jetzt geht es darum Entschädigungszahlungen für Trans*-Personen aufgrund der jahrelangen Diskriminierung, Folter und Polizeigewalt auszuhandeln. Ein Gesetzesentwurf dazu wurde im November 2014 eingereicht. Alle, die verhaftet wurden, sollen entschädigt werden und das Grundrecht auf eine Rente erhalten. „Es wäre das erste Mal, dass ein Staat auf der Welt anerkennt, dass wir durch unsere Geschlechtsidentität so verletzbar sind, dass wir zu Unrecht eingesperrt wurden, und zu Opfern des Staatsterrorismus wurden“, fügte sie hinzu.
Die Schule Mocha Celis: Bachillerato Popular – Abi für alle
Integration auch ins Bildungssystem lautet das Motto: Es gibt in Buenos Aires seit zwei Jahren eine Schule, wo Trans* Personen auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachholen können. Benannt ist die Schule nach Mocha Celis. Mocha Celis wurde auf Grund ihrer Geschlechtsidentität vor acht Jahren von der Polizei in Buenos Aires erschossen, Lohana Berkins erinnert sich: „Ich war diejenige, die sie damals tot auffand, das war sehr hart. Wir arbeiteten dort gemeinsam in der Prostitution. Sie war jung, etwas über dreißig, und hatte niemals lesen und schreiben gelernt. Der Schule ihren Namen zu geben, schien mir die beste Möglichkeit sie zu ehren. “
Die Mocha Celis Schule wurde von Trans*-Aktivist*innen selbst gegründet, sie wird vom Staat finanziert. Es soll eine Atmosphäre geschaffen werden, die nicht ausschließend ist: „Die Idee war, einen Raum zu schaffen, in dem es Vertrauen, Solidarität und Respekt gibt, wo die Schüler*innen zur Schule gehen ohne Angst, ohne diskutieren zu müssen welche Toilette sie benutzen, einen Raum der absolut sicher ist! Am Anfang waren es nur ganz wenige Schüler*innen, aber ich dachte, selbst wenn es nur 20 Trans* sind, von denen zehn oder auch nur acht ihr Abitur schaffen, ist das ein Erfolg.“
Das Wort ergreifen
Der erste Jahrgang, der das Abitur erlangte, endete im Dezember 2014. Inzwischen besuchen 90 Schüler*innen die Schule. Pedro Fertkins ist Lehrer für Literatur an der Mocha Celis. Er berichtet von den Erfahrungen der ersten zwei Schuljahre:
„Wir lesen, analysieren, diskutieren, streiten und reden, aber ich hätte mir gewünscht, dass jede*r mehr das Wort ergreift. Aber das Wort zu ergreifen ist schwer, besonders auch für Trans*-Frauen, von denen viele das in ihrem Leben bisher nicht gelernt haben. Das Wort oder die Sprache ist ein Stück Identität, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Viele Trans* sind stark durch einen Diskurs geprägt, der ihnen nicht wohl gesonnen war. “
Das Gesetz zur Geschlechtsidentität ist seit drei Jahren in Kraft. Noch ist es schwer Bilanz zu ziehen, viel ist in Bewegung. Letztes Jahr zum Beispiel klagte eine Trans* Frau: Sie wollte sich als Mutter in der Geburtsurkunde ihrer eigenen Kinder registrieren lassen. Bislang war sie als Vater eingetragen. Sie gewann den Prozess.
Die Umsetzung des Gesetzes stellt die Geschlechterkonstruktion immer wieder in Frage.
Ist es an der Zeit, die Kategorie Geschlecht abzuschaffen?
Zu diesem Beitrag gibt es auch ein Audio:
Argentinien: Einmaliges Gesetz zur Geschlechtsidentität
Ein schwieriger Kampf – Das Gesetz zur Geschlechtsidentität und die Trans*-Bewegung von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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