von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt
(Berlin, 29. Mai 2011, npl).- Das Urteil des mexikanischen Verfassungsgerichtes in einem Vergewaltigungsfall in Oaxaca sorgt für Empörung und Enttäuschung. Eine Mehrheit der mexikanischen Verfassungsrichter*innen machte Mitte Mai mit einer sehr gewagten Unschuldsvermutung den Weg für die Haftentlassung von Magdalena Rufina García Soto frei.
Die Leiterin des privaten Kindergartens Instituto San Felipe in Oaxaca-Stadt war wegen Komplizenschaft bei einer Kindesvergewaltigung zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der Fall hat in den vergangenen Jahren immer wieder für Aufsehen gesorgt. Es ist zugleich ein Fall, der exemplarisch für den politischen und juristischen Umgang mit der Päderastie in Mexiko ist.
Vierjähriger im Kindergarten vergewaltigt
Im November 2006 wurde der damals vierjährige Sohn von Leticia Valdés Martell in dem Kindergarten von Gabriel Constantino García, Mitbesitzer der Einrichtung und Ehemann von García Soto, sowie dem Computerlehrer Adán Pérez Ramírez vergewaltigt. Die Aussagen des Kindes, medizinische Untersuchungen und viele andere Details ergaben eine erdrückende Indizienkette. Unter anderem bestanden keine Zweifel, dass García Soto den Jungen den Vergewaltigern praktisch zuführte.
Dennoch taten die Justizbehörden im Bundesstaat mit offener Rückendeckung der bis Ende 2010 amtierenden Regierung des Gouverneurs Ulises Ruiz alles Erdenkliche, das Verfahren im Sande verlaufen zu lassen. Die bis heute flüchtigen Hauptbeschuldigten wurden rechtzeitig vor einer möglichen Verhaftung gewarnt, der Kindergarten ohne Einschreiten der Autoritäten in Windeseile umgebaut, die Mutter des Opfers von Gerichtspsychologen diffamiert.
Richter stellen „Unschuldsvermutung“ über Zeugenaussage des Opfers
Ohne den unermüdlichen Einsatz von Leticia Valdés Martell und das dadurch hervor gerufene Medieninteresse hätte es wohl nicht eine einzige Verurteilung gegeben. Angesichts der Unregelmäßigkeiten bei der Strafverfolgung in Oaxaca zog Ende 2008 das mexikanische Verfassungsgericht das Verfahren an sich. Doch nun verhallten die Appelle der einzigen weiblichen obersten Richterin, einen „wichtigen Präzedenzfall“ bezüglich der Kinderrechte zu schaffen und die Fähigkeiten eines Kindes zur Zeugenaussage anzuerkennen.
Nur zwei ihrer männlichen Kollegen, darunter der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes, schlossen sich ihrer Auffassung an. Die übrigen sechs Mitglieder des mehrheitlich als stockkonservativ geltenden obersten mexikanischen Tribunals stellten die „Unschuldsvermutung“ über die protokollierten Aussagen des Opfers. Zwei der Richter gingen in ihren Ausführungen sogar so weit, die Vergewaltigung als solche in Frage zu stellen. Angesichts der bekannten Details eine schwer fassbare Argumentation.
Freibrief für Päderasten und Pornoringe
Leticia Valdés Martell sieht ihren Sohn „erneut zum Opfer gemacht“ und spricht angesichts der Gerichtsentscheidung von einem „Freibrief für Pädophile und Päderasten im Land“. Der Fall reiht sich ein in ähnliche Erfahrungen angesichts der Enthüllungen der Journalistin Lydia Cacho über Päderastennetzwerke und Pornoringe in Mexiko sowie entsprechende Verbindungen zwischen Politik, Justiz und Unternehmerkreisen (in diesem Sinne ist Pasolinis Film „Die 120 Tage von Sodom“ hochaktuell).
Dabei gab es ebenfalls ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht, bei dem unter anderem die Rolle des Ex-Gouverneurs des Bundesstaates Puebla untersucht wurde. Dieser war nicht nur aktiv an der versuchten Einschüchterung und Kriminalisierung von Cacho beteiligt, sondern er stand im Verdacht, selber Beziehungen zu Päderastenringen zu haben. Er blieb letztlich unbehelligt. Was den Vergewaltigungsfall in Oaxaca angeht, so wird er nun wahrscheinlich vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof CoIDH (Corte Interamericana de Derechos Humanos) kommen.
„Ein Freibrief für Kinderschänder“ von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar