„Das Patriarchat macht Frauen im Fanblock unsichtbar“

(Medellín, 29. März 2021, colombia informa).- Los del Sur (Die aus dem Süden) ist ein Fanblock des Fußballvereins Atlético Nacional in der zweitgrößten kolumbianischen Stadt Medellín. Er besteht aus vielen kleinen Fanclubs, die bei den Spielen in der Südkurve des Stadions Atanasio Girardot in Medellín ihre Stellung beziehen. Los del Sur bestehen bereits seit 23 Jahren und sind national und international sehr bekannt. Die führende Rolle fällt dabei den Männern zu, der Fanblock wird dabei zu einem Ort, der für Frauen und andere Identitäten gewöhnlich sehr gewaltsam ist.

Die Medienplattform Colombia Informa sprach mit María Alejandra Rodríguez Triana über dieses Thema. Die Feministin ist bereits seit über 15 Jahren treuer Fan von Atlético Nacional und gehört auch einem der Fanclubs von Los del Sur an.

Colombia Informa: Wie ist deine Erfahrung im Fanblock?

María Alejandra: Meine Erfahrung in den Fanblocks kommt von einer brodelnden Leidenschaft für den Fußball, von einer Vielzahl an Emotionen, die ich bereits als Mädchen für den Fußball hatte, auch wenn ich eine schlechte Spielerin bin. Ich genieße den Fußball mit voller Seele, Körper und dem Herzen, in all meinen Adern.

Zwischen 2010 und 2012 war ich Mitglied eines Fanclubs, den ich jetzt nicht beim Namen nennen möchte, weil er einige Konfrontationen in mir ausgelöst hat. Heute bin ich nicht mehr beim Fanblock dabei; tatsächlich gehe ich schon seit einigen Jahren nicht mehr ins Stadion. Denn in den Jahren, als ich aktiv im Fanblock im Stadion war, sind mir einige der Denkweisen bewusst geworden, die mir heute als sehr konfliktbeladen und gewaltsam erscheinen.

Ich würde behaupten, dass die Erfahrung im Fanblock sehr dazu beigetragen hat, mir die Augen zu öffnen, wie Fußball funktioniert, wie wir ihn leben und wie er uns bewegt. Was eine*r auf der Tribüne erlebt, wenn man singt, anfeuert und springt, ist unglaublich, das dringt bis in die Knochen, das geht direkt ins Herz. Das sind emotionale, physische, mentale und vor allem gemeinsame Erfahrungen. Der Fußball vereint viele Menschen, vor allem junge Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten der Stadt, die gemeinsam für den Fußball brennen. Gleichzeitig bewahren sie jedoch auch einige Denkweisen, die für mich sehr kompliziert waren, sehr gewaltsam und die mir definitiv nicht gefielen. Darum hab ich mich daraus zurückgezogen.

CI: Welchen Ort haben Frauen in den Fanblocks nach deiner Erfahrung?

MA: Gerade aufgrund des Stellenwertes, den Frauen in den Fanblocks einnehmen, habe ich mich zutiefst verletzt gefühlt. Ich war damals sehr neu in der Stadt und verstand noch nicht, wie das alles in den Fanblocks funktioniert. Was mich jedoch stutzig machte war die Tatsache, dass Frauen nicht die Fahnen schwingen durften. Wenn sie nicht sangen, wurden sie gewaltsam zurückgedrängt. Wenn ein Tor fällt, stürzt la ola (Personen, die nach erfolgreichem Torschuss von der Tribüne kommen) auf dich herunter, das ist denen egal. Außerdem kommst du eigentlich nur in den Fanblock rein, wenn du „die Freundin von …“ bist. Die Kommentare, die Männer gegenüber Frauen im Fanblock machen, waren sehr beleidigend. Dahinter steht ein Sexismus und Machismo, der an diesen Orten zutage kommt. Frauen erleben in den Fanblöcken viele Agressionen aufgrund des Umstands, Frau zu sein.

Ich habe den Fanblock als Ort der Unterdrückung und des Unsichtbarmachens erlebt, in dem Frauen lediglich als Statist*innen dabei sind, um die Masse zu erweitern, damit der Fanblock als zahlreicher erscheint. Sie werden bisweilen nicht mal als Teil des Fanblocks wahrgenommen.

Ich habe mit vielen Menschen darüber diskutiert, warum Frauen nicht als Teil des Fanblocks gesehen werden und immer wieder Antworten gehört, die in Richtung eines orthodoxen Traditionalismus und Machismo weisen: „es liegt daran, weil sie Frauen sind und es war schon immer so.“ Wir Frauen sind auch dort im Fanblock und geben alles, wir singen und stellen uns den Auseinandersetzungen, die aufkommen können. Doch mit deinem Club zu sein und mit der brodelnden Leidenschaft für den Fußball, scheint allerdings nicht genug zu sein, um zu einem Fanblock dazuzugehören. Für mich war das ein aggressiver und frauenfeindlicher Ort.

Außerdem gibt es in einigen Fanclubs und bestimmten Sektoren des Fanblocks von Atlético Nacional Leute, die faschistische Ansichten haben und die Idee verfolgen, dass der „Paisa“ (jemand aus der Region um Medellín) der König sei: „Wir sind die einzigsten und die mächstigsten!“ Es ist die politische und kulturelle Geschichte des Patriarchats, die die Frauen im Fanblock in die Unsichtbarkeit abgeschoben hat.

CI: Wie sehen die Männer aus dem Fanblock, die Familie und die Gesellschaft die Frauen, die im Fanblock mitmachen?

MA: Das hängt stark von den eigenen Erfahrungen ab. In meinem Fall war es so, dass ich quasi im Fanblock nicht existierte. Ich war „die Freundin von…“, und so ging es den anderen Kameradinnen auch. Andererseits sieht die Gesellschaft die Fanblocks und im Besonderen weibliche Fans als gewalttätige Frauen an, die in ein männliches Feld eingedrungen sind. Der Fußball war historisch betrachtet immer männlich dominiert und der Eintritt von Frauen in den Fußball – vom Spielfeld bis zu den Fanblöcken – war immer verknüpft mit einer patriarchalen Sicht auf Gesellschaft.

Gewiss, wir haben langsam Räume im Fußball eingenommen, so dass man heute Frauen in den Fanblöcken sieht. Das sind Frauen, die jeden Sonntag zum Spielfeld kommen, die mit ihren Freunden den Vereinen hinterherreisen, um sie zu sehen und anzufeuern. Das sind Frauen, die jedoch von der Gesellschaft mit Verachtung als potentiell gewalttätig angesehen werden. Aus einer elitären Position heraus werden sie sogar als Frauen aus unteren sozialen Schichten wahrgenommen.

Es gibt auch eine Sichtweise in der Gesellschaft, die diese Frauen als sehr maskulin betrachtet oder sie allgemein als „Nutten“ bezeichnet, da sie mit einer Menge an Männern dort unterwegs sind. Es heißt dann: „Der Fußball sollte nicht den Frauen gefallen“ oder „der Fußball ist nicht für Frauen gemacht.“ Ich glaube, dass meine Freundinnen und alle Frauen, die in den Fanblöcken und solchen Räumen präsent sind, sich immer wieder mit solchen gesellschaftlichen Anspielungen auseinandersetzen müssen. Es kommen auch Anspielungen von den Fans aus dem gleichen Block oder ihren Familien, und das nur aufgrund der Tatsache, weil sie Fußball lieben und sich dafür begeistern.

Ich glaube, dass die Welt uns als komische Wesen ansieht, einige unserer Freunde im Fußball applaudieren uns zu und wissen es wertzuschätzen, dass wir in den Bereichen des Fußballs aktiv sind – aber eben nicht alle. Es gibt immer noch einiges an frauenfeindlichem Ballast in den Fanreihen. Es kommt immer wieder zu Situationen, in denen wir Frauen in den Fanblocks gemobbt werden und Sprüche bekommen aufgrund unserer Körper, unserer Vorlieben, unserer Aktivitäten und unserer Freiheit, ein bestimmtes Team anzufeuern.

CI: ¿Welche machistischen Haltungen kommen besonders häufig vor?

MA: Mir sind im Fanblock oft Sprüche sauer aufgestoßen wie, dass ich „die Freundin von…“ sei oder „der Besitz von…“ und so ging es auch meinen Freundinnen. Das hat mich sehr geärgert, denn die meisten Frauen im Fanblock erlebten die gleiche Situation, dass sie als Freundinnen von einem der Fanclubmitglieder wahrgenommen wurden und dadurch so etwas wie freien Eintritt hatten. Aber mit dem Etikett „Freundin“ kommen auch die Formen der Besitznahme über unsere Körper und über unser Leben zum Tragen. Ein Tag war zum Beispiel besonders erschreckend, als ein Mädel, die bereits ziemlich betrunken und auf Drogen im Fanblock war und dem Spiel zuschaute. Ich sah, wie sich Typen ihr näherten und die Situation total ausnutzten und niemand hat etwas unternommen.

Der Machismus im Fanblock zeigt sich in ähnlichen Ausprägungen wie in der restlichen Gesellschaft: Sexuelle Belästigungen, Missbrauch; bei Anzeigen von Gewalt gegen Frauen kommt es zu einem großen Schweigen von Seiten der Fanclubs. Auch wenn diese Themen in letzter Zeit etwas lauter diskutiert werden, handelt es sich dabei dennoch um eine Herrschaftsstruktur, um subtiler kontrollieren zu können. So reden Los del Sur beispielsweise über Frauen in ihren Fanreihen, aber nach innen gibt es weiterhin eine Vielzahl von ungelösten Konflikten durch diese Gewaltformen.

CI: Welche Rolle spielt der Feminismus derzeit innerhalb der Fanblocks?

MA: Der Feminismus findet überall einen Ort. In der Tat habe ich seit etwa 2016 begonnen, bei einem antifaschistischen Fußballkollektiv von Atlético Nacional mitzumachen: Antifa CAN. Dort habe ich mich mit meinen Genoss*innen zusammengeschlossen, mit denen ich bereits sehr viel erlebt und auch politische Positionen in anderen Bereichen entwickelt habe. Uns verbindet der Fußball und auch die Distanzierung von der Art und Weise, wie die Fanclubs der Nacional das Fansein und Anfeuern auffassen.

Mit dieser Initiative kam es zu einer Abspaltung von einer Gruppe von Los del Sur. Sie begannen, mehr auf der Nordseite der Tribüne Präsenz zu zeigen und von dort anzufeuern. Ich beziehe mich dabei auf Gruppen aus dem Süden der Stadt, die diese Abgrenzung etwas aktiver angingen und mit der Logik des Machismo und der Kommerzialisierung des Fußballs brechen wollten. Sie wollten sich u.a. von Dingen wie der Gewalt und dem Hass aufgrund eines anderen Trikots abgrenzen, die bei den Los del Sur üblich sind. Und in diesem Kontext der Abspaltungen gründeten wir das Kollektiv Antifa CAN.

Dieses Kollektiv hat sich zur Aufgabe gemacht, ihrem Fanblock auf der Nordseite zu ermöglichen, den Feminismus zu integrieren, den Frauen im Fanblock Raum zu geben und sie zu empowern. Die Idee war, mit den Frauen und Männern an der Frage zu arbeiten, wie Frauen im Fußball positioniert sind und wie sich das in der jetzigen Struktur entwickelt und verändert hat.

Ich merke, dass es notwendig ist, den Feminismus besser zu verstehen, aber ebenso ist auch die Reflexion wichtig, dass die Integration des Feminismus in die Räume des Fußballs auch jedes Subjekt mit einbeziehen muss, damit es nicht nur beim Diskus bleibt.

Wir hatten sogar vor etwa zwei Jahren in Argentinien das erste Treffen der antifaschistischen Fußballkollektive von ganz Lateinamerika, zu dem Leute aus Brasilien, Kolumbien, Argentinien und Mexiko gekommen sind. Genau dort haben sich einige Frauen von den Redguards (antifaschistischer Block von Santa Fé) und weitere, u.a. von San Lorenzo aus Argentinien, dazu entschlossen, sich zu verbünden, miteinander auszutauschen und Missstände anzuklagen – etwas gemeinsam an ihren Orten tun, um ausgehend von den antifaschistischen Kontexten des Fußballs feministische Perspektiven sichtbar zu machen.

Was passiert allerdings in den Räumen, die nicht antifaschistisch geprägt sind? Ich meine damit die traditionellen Fanblöcke: dort ist die Herausforderung um ein Vielfaches höher. Dort sind weiterhin Denkweisen präsent, in denen die Leute nicht mal sehen, dass sie ein Business und sinnlose Gewalt verteidigen. In solchen Kontexten ist es enorm schwierig, überhaupt von Feminismus zu sprechen.

Der Feminismus hilft dir, bestimmte Sachen zu hinterfragen, die wir tief in unseren Körpern, Seelen und Geist verwurzelt haben, die wir historisch auf uns nehmen und bei denen es uns schwer fällt, sie loszulassen. Daher ist es einerseits wichtig, neue Sichtweisen zu integrieren, wie wir Frauen im Fußball gesehen werden und Frauen im Fußball zu empowern. Andererseits denke ich, dass der Feminismus notwendig, ja sogar unerlässlich in diesen Kontexten ist. In Lateinamerika haben sich bereits verschiedene Fußballkollektive von Frauen gebildet, die daran arbeiten, der Situation von Frauen in den Fanblöcken und den Spielerinnen besser sichtbar zu machen.

*Dieses Interview ist Teil von #LaPelotaFeminista, eine Spezialausgabe von Lanzas y Letras, MutanteManifiesta Media und Morada Medellín, die die Kraft und Unnachgiebigkeit von Frauen im Fußball sichtbar machen will.

Übersetzung: Birgit Hoinle

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