„Das Frauenwahlrecht war damals eine absurde Idee.“

(Berlin, 25. Oktober 2021, npla).- Der deutsche Philosoph Hegel schrieb einst: „Wir lernen aus der Geschichte, dass wir überhaupt nichts lernen.“ Zu diesem Eindruck kommen vielleicht auch diejenigen, die den Roman „Con las faldas bien puestas“ von Alejandro Ayalá aus El Salvador lesen. Im Interview sprachen wir mit dem Autor über sein Buch, die Geschichte der Diskriminierung von Frauen und die heute immer noch notwendigen Veränderungen in seinem Land.

Historischer, teils fiktiver Roman über das Leben der frühen Feministin Ayala

Im Jahr 2019 veröffentlichte der 31-jährige Autor den biografischen und teils fiktionalen Roman über Prudencia Ayala. Dass der salvadorianische Autor unter dem Nachnamen Ayalá schreibt, der fast identisch ist mit dem Nachnamen der realen Protagonistin seines Romans, ist kein Zufall. Er verdanke vieles in seinem Leben verschiedenen Frauen, so der Autor, eine davon sei die im Jahr 1885 geborene indigene Feministin Prudencia Ayala. Sie war Aktivistin, Schriftstellerin, Autodidaktin und sogar die erste weibliche Kandidatin für die Präsidentschaft des Landes. Dazu Alejandro: „Während meiner Recherche zu Prudencia Ayala konnte ich im Netz nur sehr wenige Informationen über sie finden. Das wunderte mich und motivierte mich gleichzeitig, meine Suche zu intensivieren. Ich ging also zu verschiedenen Bibliotheken, und selbst dort war es sehr schwierig, mehr über Prudencia herauszufinden. Schließlich besuchte ich das MUPI, das Museum für Wort und Bild in San Salvador, und fand dort endlich mehr interessante Informationen. Unter anderem sogar ihr noch ziemlich gut erhaltenes Tagebuch.“

Prudenica Ayala gründete erste feministische Zeitschrift „Redención Femenina“

Im Laufe seiner Recherche fand Ayalá immer mehr Verweise auf das frühe Engagement der Salvadorianerin, die sich aktiv für Frauenrechte und besonders für das Frauenwahlrecht einsetzte. Unter anderem gründete sie im Jahr 1913 die Zeitschrift „Redención Femenina“, in der sie regelmäßig Artikel über ihre feministischen Ideen veröffentlichte. Sie kämpfte um Chancengleichheit und die Sichtbarmachung von Frauen, vor allem in den salvadorianischen Gesetzen. Zur Zeit der Präsidentschaftskandidatur Prudencia Ayalas im Jahr 1930 wurden Frauen in der salvadorianischen Gesetzgebung völlig ignoriert, auch Angaben bezüglich des Frauenwahlrechts fehlten in der damaligen Verfassung. Alejandro Ayala macht in seinem Roman eindrucksvoll deutlich, wie viel Kritik und Spott die Präsidentschaftskandidatin seitens der patriarchalischen Gesellschaft über sich ergehen lassen musste, da das Frauenwahlrecht zu ihren Lebzeiten noch als absurde Idee abgetan wurde.

Frauenwahlrecht ohne Beschränkungen seit dem Jahr 1950

Der Oberste Gerichtshof El Salvadors lehnte die Präsidentschaftskandidatur von Prudencia Ayala ab. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1936 gab sie ihren Kampf für Frauenrechte dennoch nicht auf. In dem langen Prozess bis zu der offiziellen Änderung der Verfassung des Landes war Prudencia Ayala ein großes, motivierendes Vorbild für viele andere Salvadorianerinnen. Im Jahr 1950 wurde das Frauenwahlrecht El Salvador während der Präsidentschaft von Óscar Osorio endlich ohne Beschränkungen durchgesetzt. Alejandro Ayalá findet, dass sich trotz allem an dem Gefälle zwischen den Geschlechtern bis heute wenig geändert hat: „Damals war unsere Demokratie eingeschränkt, und der Mann war derjenige, der die wichtigen Regierungspositionen vertreten konnte. Das beobachtet man auch aktuell. Nicht nur in unserer führenden Partei, die das Bild der Frau für die Gewinnung von Wählerstimmen nutzt, sondern auch in allen anderen Parteien. Sobald die Männer an die Macht kommen, sind sie wieder diejenigen, die die Frauenstimmen nicht zulassen.“ Bis heute wurde in El Salvador noch keine Frau in das Präsidentschaftsamt gewählt. Nach Angaben des NIMD, eines niederländischen Instituts für Mehrparteiendemokratie, gab es zwischen den Jahren 1994 und 2018 viermal weniger abgeordnete Frauen als Männer im Amt. Auf der lokalen Ebene ist die Partizipation von Frauen sogar noch geringer. Und in dem gleichen Zeitraum arbeiteten in ganz El Salvador zehnmal weniger Bürgermeisterinnen als Bürgermeister.

„Wir sollen unterwürfig und untergeordnet sein und dies als unser Los akzeptieren“

Auch die salvadorianische Feministin und Menschenrechtsverteidigerin Morena Herrera verweist darauf, dass in El Salvador noch heute ein starres Rollenbild der Frau vorherrscht. „Für die Gesellschaft und insbesondere für die politische und herrschende Klasse haben Frauen hier vor allem Mütter zu sein! Es interessiert niemanden, dass wir andere Träume haben und andere Sachen machen wollen. Als Frau bleibt für dich die Mutterrolle. Wir sollen uns unterwerfen und unterordnen und dies als unser Los akzeptieren. So ist El Salvador zu einem der Länder mit den höchsten Femizidraten geworden, und unsere Gesellschaften ist weltweit eine der wenigen, die Abtreibung in all ihren Formen verurteilen und kriminalisieren.“ Der neueste Bericht des „Movimiento Salvadoreño de Mujeres“ gibt Morena Herrera Recht. Er verweist auf eine alarmierend hohe Anzahl von Gewaltangriffen gegen Frauen im Land. Dazu Herrera: „Um die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, müssen wir die patriarchale Kultur und die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen überwinden. Das Patriarchat liefert Männern die ideologische und psychologische Rechtfertigung, Frauen zu kontrollieren, zu misshandeln, zu vergewaltigen und zu töten. Gerade durch die COVID-Pandemie leben wir Frauen in großer Unsicherheit.“

Gewalt gegen Frauen nimmt in der COVID-Pandemie erheblich zu

Der Bericht der salvadorianischen Frauenbewegung zeigt ebenso deutlich, dass das Zusammenleben mit den männlichen Aggressoren während der häuslichen Isolation zu einem Anstieg psychischer und physischer Gewalt geführt hat. Auch sexueller Missbrauch hat während der Pandemie deutlich zugenommen. Allein im ersten Quartal 2021 wurden über 500 Fälle von schwangeren Mädchen unter 14 Jahren verzeichnet. Außerdem wurde bereits in den ersten Monaten des Jahres 2021 ein Anstieg der Feminizidrate um 40% im Vergleich zum Vorjahr registriert.

Um die lange Geschichte der Gewalt an Frauen zu durchbrechen und um Geschlechtergerechtigkeit nachhaltig etablieren zu können, fordert Alejandro Ayalá Reformen für das veraltete Bildungssystem El Salvadors. „Seit 30, 40 Jahren wurden in unserem Bildungswesen kaum Veränderungen vorgenommen, und das hat Auswirkungen auf das gesamte gesellschaftliche Leben. Vor allem die Bildung ist etwas, woran wir stets arbeiten sollten; meiner Meinung nach ist sie der Dreh- und Angelpunkt für einen gesellschaftlichen Wandel und die Verbesserung unserer Lebensbedingungen.“

Junge Feminist*innen machen Hoffnung

Trotz der schwierigen Lage  hat Aktivistin Herrera Hoffnung: Immer mehr junge Frauen engagieren sich in der feministischen Bewegung, beteiligen sich an den Kämpfen gegen Ungleichheit und Gewalt und setzen sich für die Entkriminalisierung der Abtreibung ein. „Wir sind eine Gesellschaft, die die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufgibt“, erklärt Morena Herrera. „Wir müssen eine neue Kultur schaffen, unsere Geschichte kennen und analysieren und dabei das kritische Denken nicht vergessen“, fügt Alejandro Ayala hinzu. Für eine gerechtere Zukunft brauche es sowohl einen aufmerksamen Blick auf die lange Geschichte feministischer Kämpfe als auch auf die Gegenwart der patriarchalen Kultur El Salvadors. Ayalas Roman „Con las faldas bien puestas” ist in El Salvador in gedruckter Form erhältlich und in Deutschland in elektronischer Form zu erwerben.

Einen Audiobeitrag über Prudencia Ayala gibt es hier.

CC BY-SA 4.0 „Das Frauenwahlrecht war damals eine absurde Idee.“ von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert