Von Andreas Behn
(Rio de Janeiro, 5. März 2016, taz/npl).- Showdown in Brasilien. Die Ermittlungen im Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras haben ihren – zumindest medialen – Höhepunkt erreicht: Schwerbewaffnete Polizisten in Tarnanzügen holen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Morgen des 4. März aus seinem Haus und bringen ihn zum Verhör auf Revier. Unterstützer*innen und Gegner*innen des einst so beliebten Präsidenten gehen vor seinem Haus und vor dem Revier aufeinander los. Nach drei Stunden Verhör ist der Spuk am Mittag vorbei.
Die rechte Opposition ist euphorisch. „Das ist das Ende dieser Regierung“, werden zahlreiche Oppositionspolitiker*innen zitiert. Diejenigen, die auf die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff setzen, bekommen neuen Rückenwind. Lula, der nach acht sehr erfolgreichen Regierungsjahren (2002-2010) als fast unangreifbar galt, ist vor aller Augen gedemütigt worden. Und er ist offiziell der Verwicklung in die Korruptionsaffäre beschuldigt worden. Dabei geht es um Milliardenbeträge, die ein Kartell von Bauunternehmen durch überteuerte Aufträge von Petrobras eingeheimst haben soll. Ein Teil dieser Extragewinne soll in Form von Bestechungsgeld an Parteien und Politiker*innen geflossen sein.
Kronzeuge belastet Präsidentin Rousseff
Auch Präsidentin Dilma Rousseff ist erstmals persönlich mit dem Skandal in Verbindung gebracht worden. Kurz vor Lulas Festnahme veröffentlichte die Presse Auszüge einer Kronzeugenaussage, derzufolge Rousseff von den Unregelmäßigkeiten bei Petrobras gewusst haben soll. Delcídio do Amaral, Senator der regierenden Arbeiterpartei PT, beschuldigte Rousseff und auch Lula, die Ermittlungen behindert zu haben. Amaral saß selbst aufgrund seiner mutmaßlichen Verwicklung in die Affäre mehrere Wochen im Gefängnis. Wie und warum seine Aussagen an die Presse durchsickerten, ist unklar.
Rousseff sah sich gezwungen, in einer Regierungserklärung live im Fernsehen auf die Vorwürfe zu reagieren. Es sei „vollkommen unnötig“ gewesen, dass die Polizei Lula da Silva zuhause aufgesucht und zu einem Verhör aufs Revier gebracht habe, nahm sie ihren politischen Ziehvater in Schutz. Rousseff wies jegliche Verwicklung in den Korruptionsskandal zurück. Über die kompromittierende Kronzeugenaussage sei sie zutiefst empört. „Illegale Veröffentlichungen von vertraulichen Aussagen und Vorverurteilungen helfen nicht bei der Suche nach Wahrheit, sondern fördern nur Intoleranz und antidemokratische Rhetorik“, erklärte Rousseff an die Adresse derjenigen, die sie seit ihrer Wiederwahl Ende 2014 mit allen Mitteln aus dem Amt treiben wollen.
Lula kritisiert „Medienshow“
Lula reagierte kämpferisch. „Wenn sie mich besiegen wollen, müssen sie es mit mir auf den Straßen dieses Landes aufnehmen“, erklärte der frühere Gewerkschafter, der erst kürzlich ankündigte, 2018 wieder kandidieren zu wollen. Seine vorübergehende Festnahme bezeichnete er als „Inszenierung und fehlendes Demokratieverständnis“. „Anstatt ernsthafter Ermittlungen wird eine Medienshow veranstaltet“, kritisierte der Ex-Präsident. Unter dem Jubel seiner Anhänger*innen wies er die Vermutung der Staatsanwaltschaft, ihm seien auf illegale Weise eine Strandwohnung und ein Landsitz überlassen worden, mit flapsiger Wortwahl zurück: „Jeder darf einen Freund haben, der eine Wohnung am Strand oder auf dem Land hat. Nur dieser Scheiß-Metallarbeiter hier darf dies nicht!“
Staatsanwaltschaft bezeichnet beide als Hauptprofiteure eines riesigen Korruptionsskandals
Die Anklage ist auch nicht um deutliche Worte verlegen. Rousseff und Lula da Silva seien die „wichtigsten Nutznießer des Korruptionsschemas bei Petrobras“ gewesen, begründete Staatsanwalt Carlos Fernando dos Santos Lima das Vorgehen der Bundespolizei. Untersucht würden unter anderem Zahlungen von am Skandal beteiligten Baufirmen in Höhe von umgerechnet über sieben Millionen Euro an eine Stiftung und ein Unternehmen von Lula. Es gebe Indizien, dass Lula Bestechungsgelder und illegale Vergünstigungen erhalten habe.
Der Medienrummel um Lula und Rousseff hat eine viel konkretere Entwicklung in den Korruptionsermittlungen schnell aus den Schlagzeilen verbannt: Keine 24 Stunden vor dem Lula-Verhör entschied der Oberste Gerichtshof, ein reguläres Strafverfahren gegen den Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha einzuleiten. Er soll bei der Vermittlung von Petrobras-Geschäften über fünf Millionen US-Dollar Bestechungsgeld eingestrichen haben. Cunha, der einer Koalitionspartei von Rousseff angehört, aber mit der Regierung gebrochen hat, gilt als Erzfeind der Präsidentin. Ihm hat sie die Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens und eine effektive Blockadepolitik im Parlament zu verdanken. Aufgrund des politischen Stillstands und einer schweren Wirtschaftskrise sind Rousseffs Umfragewerte nur knapp über dem einstelligen Bereich.
Rousseff und Lula wehren sich gegen ihre Demontage von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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