Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 245 vom 12.06.1996
Inhalt
PANAMA
LATEINAMERIKA
URUGUAY
HAITI
KUBA
GUATEMALA
MEXIKO
URUGUAY
PANAMA
Militärbasen der USA bleiben ein Thema
– von Marcelina Samaniego
(Panama-Stadt, 3.Juni 1996, alai-POONAL).- Seit Panama sich im November 1995 entschloß, die „Sondierungsgespräche“ mit den Vereinigten Staaten über den Verbleib der nordamerikanischen Militärbasen im Land nach dem Jahr 2000 abzubrechen, herrscht Ungewißheit. Die USA machen jetzt das mittelamerikanische Land für den Fortgang der Verhandlungen verantwortlich. Der Verhandlungsabbruch durch Panamas Regierung hatte zwei Ursachen: Zum einen den internen Widerstand gegen die fortwährende Präsenz der US-Truppen und die Weigerung des US-Außenministeriums, für die Nutzung der Militärbasen eine Gegenleistung zu zahlen. Es ist kein Geheimnis, daß die regierende Revolutionäre Demokratischen Partei (PRD) in der Frage gespalten ist. Ein Teil ist für neue Verhandlungen über die Militärbasen, der andere Teil lehnt dies ab. Daneben gibt es den Vorschlag einiger Personen, einschließlich der Unternehmer*innen, die vorschlagen, die USA sollten die Basen, die sie weiterhin in Panama haben wollen, mieten.
In militärischen und zivilen Kreisen in den USA ist dieser Vorschlag auf wenig Gegenliebe gestoßen. Quellen in Washington sagen, daß dieses Ansinnen allein die Aussetzung der Gespräche motivierte. An einen Mietvertrag hätten die USA niemals gedacht. Diese Haltung haben US-Botschafter William Hughes und Oberst Richard O'Connor vom im Panama stationierten Südkommando der USA bestätigt. In Panama wird von Außenminister Gabriel Lewis Galindo zwar zugegeben, daß die Mietfrage von der Regierung in Betracht gezogen werde, man jedoch noch auf diesbezügliche Vorstellungen der nordamerikanischen Gegenseite warte. In den USA selbst herrscht nach den Informationen der Auslandskorrespondentin Betty Brennan, die für die panamaische Oppositionszeitung „La Prensa“ schreibt, Uneinigkeit zwischen Pentagon, Außenministerium und Nationalem Sicherheitsrat. Im Pentagon selbst gibt es nach Brennans Angaben Meinungsverschiedenheit über die Zahl der Truppen und der Militärbasen, die die USA in Panama behalten sollten und die entsprechenden Ausgaben, die damit verbunden wären. Der ehemalige Chef des Südkommandos, General Barry McCaffrey, inzwischen von Präsident Bill Clinton zum neuen „Anti-Drogenzar“ ernannt, sprach sich für eine Truppenstärke von bis zu 5.000 Soldaten aus. Monate später, schon nicht mehr in seinem alten Amt, gab er zu, 3.000 Soldaten seien ausreichend.
Sowohl in Panama-Stadt wie auch in Washington gibt es viele Spekulationen über die Zukunft der nordamerikanischen Militärpräsenz in Panama. Indem die USA ihren Gegenpart zur Initiative auffordern, wollen sie offenbar vermeiden, auf internationaler Ebene als Vormacht dazustehen, die Druck ausübt, um ihr Ziel zu erreichen. Panamas Präsident Ernesto Pérez Balladares hat noch im April 1996 gesagt, eine Verhandlung mit den USA käme dann voran, wenn Panama „wirtschaftliche Vorteile“ erhalte. Auf der anderen Seite führt die Regierung derzeit eine Reihe von Beratungen mit der Führung der politischen Parteien um einen Konsens zu suchen. Danach könnte sie ein festes Datum für den Neubeginn der Sondierungsgespräche bestimmen. Die nationalistischen Kräfte (in diesem Zusammenhang von der Autorin nicht unbedingt negativ gemeint; die Red.), die weder der PRD noch den anderen Parteien angehören, und die jede Übereinkunft bezüglich der Basen ablehnen, sind vom Beratungsprozeß ausgeschlossen worden. Sie haben jedoch bereits damit begonnen, eine landesweite Bewegung gegen den Verbleib der US-Truppen zu formen. Sie argumentieren, die Auflösung der Militärbasen und die Rückgabe des Panama-Kanals bildeten die Gelegenheit, mit der 93jährigen Abhängigkeit von den USA zu brechen. Das würde erlauben, die nationale Identität und Würde wieder zu erlangen.
Die militärischen und wirtschaftlichen Auswirkungen
Derzeit haben die USA noch zehn Militärbasen in Panama: Albrook, Fort Amador, Fort Clayton, Fort Davis, Isla Galeta, Luftwaffenstützpunkt Howard, Fort Kobbs, Quarry Heights, Marinebase Rodman und Fort Sherman. Untersuchungen schätzen den Beitrag der Militärbasen zur Wirtschaft Panamas mit Summen zwischen 200 und 700 Millionen Dollar ein. Darin sind die Löhne an die Angestellten und der Kauf von Gütern und Dienstleistungen enthalten. Die vor ein paar Jahren begonnene Räumung der Basen bringt den Abzug von 10.000 Soldaten und ihren Familien mit sich. Momentan sind noch 7.600 US-Soldaten in Panama stationiert, bis 1998 wird die Truppenstärke auf auf 5.650 Soldaten reduziert.
Der nordamerikanische Truppenabzug führt zur Schließung von Krämerläden, Restaurants, Supermärkten und Warenhäusern. Diese funktionieren zwar innerhalb der Militäreinrichtungen und unter bestimmten Beschränkungen, beschäftigen aber eine bedeutende Anzahl von Menschen mit panamaischer Staatsangehörigkeit. Eine Schätzung des Südkommandos geht davon aus, daß Panama durch die Schließung der Basen in den kommenden drei Jahren 111 Millionen Dollar verlieren wird. Obwohl dies im Rahmen des Abzugs und der Rückgabe des Panama-Kanals ein normaler Vorgang ist, wird er doch von denen als Argument benutzt, die für die weitere Präsenz der US-Truppen sind. Viele haben sich dafür ausgesprochen, weil sie den Verlust vieler Arbeitsplätze und negative Wirkungen für die Wirtschaft befürchten.
Diese Meinung findet aber keine ungeteilte Zustimmung. Der Wirtschaftswissenschaftler Juan Jovan glaubt beispielsweise, daß „der beobachtete Einfluß von der Zahl zehn Prozent des Bruttosozialproduktes, mit der einige der Kommmentator*innen spielen, die der nordamerikanischen Regierung nahestehen, stark abweicht. Nach Jovans Ansicht ist „auf der Grundlage einer angemessenen Wirtschaftspolitik jede negative Wirkung einer Auflösung der nordamerikanischen Basen ohne weiteres auffangbar“. Der Direktor des Forschungszentrums der Wirtschaftsfakultät der Universidad de Panama meint außerdem: „Diese Möglichkeit wird in dem Maße besser funktionieren, in dem sie ausdrücklich als nationales Ziel anerkannt und ihr Vorrang und Dringlichkeit eingeräumt wird.“ Diejenigen, die in der Rückgabe der Militärbasen eine Chance für ökonomisches Wachstum sehen, sprechen sich für einen integrierten Plan aus, der die gesamte interozeanische Region und den Panama-Kanal einschließt und die nationale Entwicklung als Ziel hat.
Seit 1979 haben die USA 6.478 Hektar Land an 405 Gebäude an Panama zurückgegeben. Das sind 20 Prozent des insgesamt zurückzuführenden Landes und weniger als 10 Prozent der mehr als 4.000 Gebäude, die Panama zustehen. Eine Studie der einheimischen Ökonomen Marcos Fernández und José Galán Ponce kalkulierte den Wert der militärischen Areale in diesem Jahr auf fast drei Milliarden Dollar. Frühere Schätzungen gehen jedoch von dem zehnfachen Wert aus. Der neuen Untersuchung von Kosten und Nutzen der Rückgabe wird vorgeworfen, aus der Wirtschaftsperspektive das kurzfristige Produktionspotential nicht genügend erklärt zu haben und auch nicht ausreichend auf den sozialen Nutzen für die Bevölkerung eingegangen zu sein.
In der Bewertung von Fernández und Ponce werden die Militärbasen Fort Howard (mit knapp 1,2 Milliarden Dollar), Albrook (knapp 400 Millionen Dollar), Clayton (300 Millionen Dollar) und Rodman (170 Millionen Dollar) als die teuersten eingestuft. Die beiden Wissenschaftler empfehlen, Fort Howard am Pazifik und die Base Sherman am Atlantik mit den USA neu zu verhandeln. Ihrer Meinung nach könnten die Nordamerikaner auch noch an einer Hafenanlegestelle in Rodman interessiert sein, um aus diesen drei Stützpunkten ein internationales Zentrum gegen den Drogenhandel zu machen. Das Fort Sherman ist das einzige Ausbildungszentrum im Urwald, das die USA in der Hemisphäre für Aktivitäten der Aufstandsbekämpfung haben. Fort Howard besitzt eine große Landepiste, die für die Truppenmobilisierung benutzt werden könnte, um den Drogenschmuggel von Lateinamerika in die USA durch die mittelamerikanische Landenge zu kontrollieren. Washington hat allerdings nicht nur an diesen Installationen Interesse gezeigt. Erwähnt wird auch die Insel Galeta in der Karibik, wo die ausgefeilteste und komplexeste Kommunikationsstation unter der Wasseroberfläche beider Ozeane operiert, deren Wert mehrere Millionen von Dollars beträgt.
LATEINAMERIKA
Eine Stadt zum Leben
– Forderungen des Lateinamerikanischen Netzwerkes „Frau und Habitat“
Das Lateinamerikanische Netzwerk Frau und Habitat hat für die UNO- Konferenz Habitat II eine Reihe von Forderungen aufgestellt, die die Frauen in die weltweite Aktionsplattform einbringen wollen, die am Ende der Konferenz verabschiedet werden soll. Der Text wurde POONAL von fempress übermittelt. Das Netzwerk verlangt: „Die Regierungen jeden Landes zu drängen, bei allen Wohnungs- und Habitatstrategien deutlich und durchgehend die Generus- Fragestellung zu garantieren, indem Männer und Frauen, die für die Pläne der Städtepolitik verantwortlich sind, ausgebildet werden, um diese Perspektive einzubringen.
Die Wohnung ist ein grundlegendes Menschenrecht und muß für Männer und Frauen gleichermassen garantiert werden. Wohnung wird dabei nicht nur als ein Dach über dem Kopf verstanden, sondern umfaßt den Zugang zu den (Versorgungs-)Dienstleistungen, die städtische Infrastruktur, die Arbeit, die Verbindungen, mit anderen Worten „das Recht auf die Stadt“. Die Frauen sind doppelt von der Qualität der städtischen Dienstleistungen betroffen, wegen der doppelten Tagesarbeit von vielen – der bezahlten und der familären. Es ist ein Menschenrecht der Frauen, Eigentümerinnen zu sein, zu erben und über das Grundstück und die Wohnung zu entscheiden. In vielen Gesellschaften verbieten die traditionellen Bräuche, daß die Frauen diese Rechte ausüben. Gleicher Zugang zu Kredit für Wohnung, Infrastruktur und Einkommen produzierende Aktivitäten sowohl für Männer wie für Frauen. Förderung von Kreditprogrammen für sozialen Wohnungsbau (vivienda comunitaria), die für die armen Frauen und die weiblichen Haushaltsvorstände zugänglich sind. Der größere Teil der ärmsten Bevölkerung wird von Frauen gebildet und ein Viertel der Haushalte der Welt wird von Frauen angeführt.
In die Stadtplanung die neuen Familienmodelle – Einelternhaushalte, breitere [Familienkonzepte] – einbringen, denn das Modell der Kernfamilie, der Frau, die sich den häuslichen Aufgaben widmet und der Mann als Geldverdiener, ist immer weniger repräsentativ in den Realitäten unserer Gesellschaften und der Mangel an Anworten darauf hat neue soziale Spannungen geschaffen. Die Normen überprüfen, die den Entwurf und die Konstruktion der Wohnungen in jedem Land regeln, indem sie dem unterschiedlichen Gebrauch, den Männer und Frauen aufgrund der ihnen gesellschaftlich zugeordneten jeweiligen Rolle von der Wohnung machen. Die Frauen müssen auf allen Entscheidungsebenen für die Raumplanung, den urbanen Raum, die Wohnung, den Transport und die Umwelt einbezogen werden. Ausbildungsstrategien und partizipative Demokratie fördern, indem auf die unterschiedlichen Geschlechterrollen von Männern und Frauen geantwortet wird. Die Frauen – vor allem aus den ärmsten Schichten unserer Länder – haben als kostenlose Arbeitskraft bei der Entstehung von Menschenansiedlungen teil und sind von qualifizierter Ausbildung und den Ebenen, auf denen Entscheidungen getroffen werden, ausgeschlossen worden. Die Lehre der Architektur und Stadtplanung an den Universitäten muß die Genusperspektive einschließen, um die Funktionsweise, die Vertretungsinstanzen sowie die wirtschaftlichen und politischen Mechanismen zu analysieren, die das Stadtbild formen und konsequente Vorschläge entwickeln, die zu einer Veränderung beitragen. Wir müssen den Faktor Genus in der Stadt als Quelle einer neuen gemeinsamen Kultur eingliedern und bei der Festlungen einer neuen Philosophie der Raumordnung teilnehmen.“
URUGUAY
Freispruch für Mónica Bertrand
(Montevideo, Juni 1996, fempress-POONAL).- Mónica Bertrand, die Ende vergangenen Jahres einen Mann erstach, der versucht hatte, sie zu vergewaltigen, wurde in einem Gerichtsproze? in zweiter Instanz freigesprochen. Der Fall hatte landesweit Aufsehen erregt (POONAL berichtete). Die Frau verteidigte sich damals mit einem Messer und mit einem Bajonett gegen den Angreifer. Als sie feststellte, daß der Mann tot war, rannte sie zur Polizei und bat um Hilfe. Angesichts der 30 Stichwunden, die der Tote aufwies, stellte der für den Fall zuständige Richter eine legitime Notwehr in Frage. Er verurteilte Mónica Bertrand wegen Totschlag und ordnete ihre Inhaftierung an. Die Nachbar*innen in der Stadt Maldonado, wo die Ereignisse geschahen, demonstrierten in großer Zahl auf dem zentralen Platz der Stadt für die Freilassung der Frau. Ihrer Ansicht nach hatte Monica Bertrand aus Notwehr gehandelt.
Die Familie Bertrand focht das Urteil an und erreichte im Januar 1996 nach zwei Monaten Haft die Freilassung gegen Kaution für Bertrand. Das neue und nicht anfechtbare Urteil ordnete die endgültige Freilassung an und sprach sie von der Anklage des Totschlags frei. Gewalt gegen Frauen und Kinder gehören in Uruguay zum Alltag. Bemerkenswert ist der Fall, weil Monica Bertrand sich gegen die Gewalt zur Wehr setzte und sich verteidigte. Das Gericht hat dies gerechtfertigt.
HAITI
Preval hat überall zu kämpfen
(Port-au-Prince, 31. Mai 1996, hib-POONAL).- Der internationale Druck auf Haiti wächst, nachdem das Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), in dem die letzten Details für die strukturelle Anpassung des Landes ausgeführt sein sollten, noch nicht unterzeichnet wurde. So kam nicht nur IWF-Direktor Michel Camdessus zu Besuch (er mußte statt mit der erhofften Vertragsunterschrift mit einem „gemeinsamen Kommuniqué“ wieder abreisen), sondern auch der stellvertretende US-Außenminister Strobe Talbott änderte seine Reisepläne, um auf die ökomonischen „Reformen“ zu drängen und über die steigende Unsicherheit im Land zu reden. Dieser Druck und die Unzuverlässigkeit des haitianischen Parlaments verursachen dem Präsidenten kalte Schweißausbrüche, während die vom IWF gesetzte Frist Tag um Tag abläuft. Am letzten Tag im Mai erklärte Preval vor mehr als 100 Geschäftsleuten seinen Wirtschaftsplan. Auch vor den Parlamentarier*innen will er dies bald machen. Unterdessen haben mehrere ausländische Nationen, darunter Canada, Brasilien und Venezuela dazu aufgerufen, die Präsenz der UNO-Truppen bis 1997 zu verlängern. Kürzlich schloß sich UNO-Generalsekretär Boutros Ghali diesem Chor mit seiner Stimme an.
Als ob dies nicht genug wäre, hat der haitianische Präsident es mit zunehmener Unsicherheit zu tun. Ein Teil davon hat politische Hintergründe und zielt auf Destabilisierung ab. Ein Teil besteht aus gewöhnlichem Verbrechen, das der niedergehenden wirtschaftlichen und sozialen Situation zu verdanken ist. Zudem reagiert die Bevölkerung immer ungeduldiger auf den Mangel an Schutz und Gerechtigkeit. In der letzten Maiwoche wurde erneut ein Polizist niedergeschossen, es war das fünfte Opfer in den vergangenen Wochen. Die Bürgermeisterin von Chansolme, Erla Jean Francois wurde an einer Bushaltestelle getötet. Die Ereignisse werden für die Regierung immer unangenehmer. Rene Preval besuchte zum vierten Mal in einer Woche das Polizeihauptquartier. Von Abgeordneten, Minister*innen, dem Premier und dem Polizeichef begleitet, ging er zur aufgebahrten Leiche der Bürgermeisterin. Er kommentierte die starke Regierungspräsenz mit den Worten, dies zeige, daß die „gesamte Staatsmacht sich entschieden hat, eine gemeinsame Front gegen die Unsicherheit zu bilden“. Trotz der Verhaftung einiger Personen, die offensichtlich einer bewaffneten Gruppe angehören, hat die Polizei keine Antworten und die Dinge geraten außer Kontrolle. Bürgermeister Joseph Emmanuel „Manno“ Charlemagne erklärt, die Polizei sei inkompetent, er werde seine Leute bewaffnen, um die Stadt zu patrouillieren (das Innenministerium hat solch eine Kraft bereits als verfassungswidrig erklärt). Eine weitere Reaktion: das Parlament will ein neues Gesetz vorschlagen, das der Polizei das Tragen von längeren Waffen erlaubt. In Chansolme ließen sich empörte Bürger*innen zur Lynchjustiz hinreißen, als sie vom Tod ihrer Bürgermeisterin hörten. Sie holten gewaltsam sieben angebliche Autodiebe aus dem Polizeigewahrsam und brachten sie um.
Das andere große Problem für Preval ist die wachsende Unzufriedenheit innerhalb der öffentlichen Verwaltung und der Bevölkerung allgemein. So sind nicht nur die Gemeindefunktionär*innen in der Provinz Grande Anse wegen der geringen Gehälter aufrührerisch, sondern Staatsbeamt*innen im ganzen Land sind aufgebracht. In Les Cayes schloß die Stadtverwaltung für eine Woche. Zuerst in Gonaives und danach in der ganzen Provinz Artibonite traten die Bürgermeister*innen in den Streik. Am Hospital der Staatsuniversität Haitis verweigerten die Assistenzärzt*innen zwei Tage lang die Arbeit, bis Preval persönlich intervenierte. Taxi- und Busfahrer*innen sind verärgert über die 15prozentige Erhöhung der Benzinpreise, die die Regierung mit höheren Ölpreisen begründet hat. Sie drohen ebenfalls mit Streik für den Fall, daß sie ihre staatlich festgesetzen Preise nicht anheben dürfen. Außerdem drohen sie mit Blockadeaktionen wegen des schlechten Zustandes der Straßen. Der Bürgermeister von Jeremie will aus Frustration über ausbleibende Aktionen des Ministeriums für öffentliche Arbeiten die zur Stadt führende Brücke schließen. Das Eisen ist zerfressen und der Beton zerschlissen. Doch die Sperrung würde die Stadt vollständig von der Umgebung abschneiden. Ein Gesamtpanorama, zu dem der Regierung bisher wenig eingefallen ist.
Beziehungen zu Kuba
(Port-au-Prince, Mai 1996, hib-POONAL).- Mehr als 30 Jahre hatte Haiti keinen Kontakt mit Kuba. Jetzt, seit die diplomatischen Beziehungen am 6. Februar 1996 wieder aufgenommen wurden, gibt es eine Reihe von Vereinbarungen im Sportbereich, auf Regierungsebene, im Tourismus, im Privatsektor, usw. In diesem Zusammenhang sind auch zwei neue Vereinigungen angekündigt worden. Am 19. Mai unterzeichneten haitianische Politiker*innen, Künstler*innen und andere Persönlichkeiten die Gründungsakte der „Kubanisch-Haitianischen Gesellschaft“. Mitglieder sind zwei Personen aus dem Kubanischen Institut für Völkerfreundschaft. Diese Gruppe hat beim Aufbau von ähnlichen Gesellschaften in etwa 100 Ländern geholfen. Das Datum wurde gewählt, weil es sich um den Todestag des kubanischen Dichters und Unabhängigkeitshelden José Martí und von Benoit Batraville, einem Anführer des haitianischen Kampfes gegen die erste US-Besatzung handelt. Auf der Feier verurteilten die Haitianer*innen das US-Embargo gegen Kuba und verglichen es mit der US-Einmischung in haitianische Angelegenheiten.
In einem Interview mit dem Nachrichtendienst „Agence Haitienne de Presse“ erklärte Gründungsmitglied Juan Carlos Marcial, daß die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Haiti und Kuba zeige, daß „Dritte-Welt-Länder ihre Schicksale in ihre Hände nehmen können, statt der Versuche gewisser Vormundsmächte, ihre Diktate durchzusetzen“. Er kündigte an, die Gesellschaft werde kulturellen, wirtschaftlichen, kommerziellen, wissenschaftlichen und anderen Austausch zwischen den beiden Ländern fördern. Die zweite angekündigte Organisation ist die Martha Jean Claude Stiftung. Den Namen trägt sie zu Ehren einer haitianischen Sängerin, die in den frühen 60er Jahren nach Kuba emigrierte und eine offene Unterstützerin des Landes geblieben ist. Die Stiftung mit dem Ziel, das „kulturelle Erbe“ Haitis zuhause und in anderen Ländern durch Auftritt und Hilfe für junge Künstler*innen zu verteidigen, bezeichnet sich selbst als „unabhängig“ und „unpolitisch“.
KUBA
Noch mehr Geschäfte mit Spanien
(Havanna, 5. Juni 1996, prensa latina-POONAL).- Das Komitee für die spanisch-kubanische Unternehmerzusammenarbeit vereinbarte auf seiner jährlichen Sitzung in Havanna einen weiteren Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen. Die Betonung lag auf neuen Investitionen und einer gemeinsamen Produktion. Alberto Betancourt, der Vorsitzende des kubanischen Teils des Komitees gab zum Abschluß des dreitägigen Treffens bekannt, daß Spanien der größte Handels- und Wirtschaftspartner der Insel ist. Es ist auch das Land, das die meisten Joint Ventures mit kubanischen Unternehmen eingegangen ist. Zu den jetzt getroffenen Vereinbarungen gehört die über den Aufbau einer gemeinsamen Datenbank der Industrie- und Handelskammern beider Länder und ein Ausbildungsprogramm für Geschäftsleute. 1997 wird die Sitzung in Madrid stattfinden.
Noch mehr Hotelzimmer
(Havanna, 6. Juni 1996, prensa latina-POONAL).- Kuba baut den Tourismussektor weiter aus. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurde die Hotelkapazität um mehr als 1.400 Zimmer erweitert und übertraf damit die Zahl aus dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Bis Ende dieses Jahres sollen mehr als 5.000 neue Hotelzimmer fertiggestellt sein. Ein Großteil des Ausbaus betrifft den bekannten Badeort Varadero, der 140 Kilometer von der Hauptstadt Havanna entfernt ist. Dort entstand gerade ein Vier- Sterne-Hotel, ein weiterer Hotelkomplex wird bis zum Jahresende folgen. Mit einem bis August fertigen Konventionszentrum für 600 Personen in Varadero hofft Kuba außerdem, einen attraktiven Standort für Kongresse anbieten zu können.
GUATEMALA
Richter im Massakerfall entlassen
(Guatemala-Stadt, 5. Juni 1996, cerigua-POONAL).- Der Oberste Gerichtshof des Landes verkündete die Amtsenthebung des Richters Victor Hugo Jimenez Ruiz, der für den Prozeß über das Massaker in Xaman vom Oktober 1995 verantwortlich war. Ruiz muß sich nun selber einer Untersuchung wegen Unregelmäßigkeiten in diesem und anderen Prozessen stellen. Die jüngste seiner zweifelhaften Aktionen bestand darin, acht der 25 in das Masseker verwickelte Patrouillenmitglieder gegen Kaution freizulassen, darunter den befehlenden Offizier. Gegen diese Entscheidung erhob sich ein wahrer Proteststurm. Die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú, Nebenklägerin im Fall von Xaman, nannte die Freilassung eine „gesetzliche Schreckenstat“ und einen „Preis für die Menschenrechtsverletzter“. Der für den Prozeß zuständige Sonderstaatsanwalt Carlos Ramiro Contreras sagte gegenüber der Presse, er sei „extrem enttäuscht über das Justizsystem“. Die Bundesstaatsanwaltschaft, die die Soldaten formal angeklagt hat, 11 außergerichtliche Hinrichtungen durchgeführt und 24 versucht zu haben, bezeichnete die richterliche Entscheidung als ernstes Hindernis für jeglichen Fortschritt in dem Gerichtsverfahren.
Die McDonaldisierung des Kidnappings
(Guatemala-Stadt, 30. Mai 1996, cerigua-POONAL).- Die Polizei hat eine neue kriminelle Bande entdeckt, deren Vorgehen als „instant kidnapping“ bezeichnet wird, weil die Entführungen nicht länger als eine Stunde dauern. Nach Angaben der Polizei sucht sich die Gruppe ihre potentiellen Opfer unter gutgekleideten Personen oder den Fahrer*innen luxuriöser Autos aus. Die Opfer werden gezwungen, einen Scheck in angemessener Höhe bei einer Bank in der Nähe einzulösen. Ist das Geld übergeben, werden die Entführten freigelassen.
Brite neuer MINUGUA-Chef
(Guatemala-Stadt, 4. Juni 1996, cerigua-POONAL).- David Stephen heißt der neue Leiter der UNO-Mission zur Internationalen Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA). Der Brite ersetzt den Spanier Leonardo Franco, der im vergangenen Monat zu seiner Arbeit im UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) zurückkehrte. Stephen begann 1992 im Büro des UNO-Generalsekretärs zu arbeiten. Er hat breite Erfahrungen in den Bereichen Einwanderung, Flüchtlinge und Entwicklung in der Region.
Gerüchte um Amnestie
(Mexiko-Stadt/Guatemala-Stadt, 8. Juni 1996, cerigua-POONAL).- Guerillakommandant Pablo Monsanto streitet ab, daß beim jüngsten Zusammentreffen mit der guatemaltekischen Regierungsdelegation in der mexikanischen Hauptstadt über eine Amnestie für die Mitglieder der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) verhandelt wurde. Er bezeichnete solche Vermutungen als „absolut falsch“ und „pure Spekulation“. Die URNG werde keine Amnestie akzeptieren, „denn wir sind soziale Kämpfer*innen und treten für das Wohl des Landes und der guatemaltekischen Bevölkerung allgemein ein“. Was die Eingliederung der Guerilla in das zivile Leben angehe, so werde dies im Rahmen eines gesonderten Verhandlungsthemas besprochen. In der momentanen Runde werde dagegen das Thema „Stärkung der zivilen Macht und Funktion der Armee in einer demokratischen Gesellschaft“ behandelt. Nach Angaben Monsantos und der UNO einigten sich URNG und guatemaltekische Regierung in den vergangenen Tagen über das weitere methodische Vorgehen bei den Verhandlungen. Das nächste Treffen wird vom 21. bis 23. Juni wiederum in Mexiko stattfinden.
In Guatemala wiesen die katholische Kirche und die Nationale Menschenrechtskoordination des Landes getrennt voneinander eine mögliche Generalamnestie (d.h. für Guerilla und das offizielle Militär) zurück. Dies könne Straffreiheit bedeuten. Erzbischof Prospero Penados erinnerte in einer Messe zum 35. Geburtstag der Konföderation der Ordensleute Guatemalas (CONFREGUA) an die ermordeten Märtyrer*innen während der Zeit des internen bewaffneten Konfliktes. Die Menschenrechtskoordination sprach sich für eine gründliche Untersuchung aus, um die ausführenden und intellektuellen Täter*innen der Unterdrückung in den vergangenen Jahrzehnten festzustellen. „Keine Gesellschaft kann die volle Demokratie auf der Grundlage des Schmerzes, der Trauer und der Ignoranz gegenüber der Vergangenheit erlangen“, so verkündete die Organisation. „Darum sind die Wahrheit und die Gerechtigkeitnotwendig.“ Die Menschenrechtskoordination wies ausdrücklich eine Amnestie und Straffreiheit zurück. Das Thema der Amnestie hat in der landesweiten öffentlichen Diskussion in den vergangenen Tagen eine große Rolle gespielt.
MEXIKO
Elorriaga und Entzin frei
Mexiko-Stadt, 7. Juni 1996, POONAL).- Die wegen „Terrorismus, Verschwörung und Rebellion“ zu dreizehn bzw. sechs Jahren Haft verurteilten angeblichen EZLN-Mitglieder Jorge Javier Elorriaga und Sebastián Entzin sind im Berufungsverfahren freigesprochen worden. Der Freispruch wurde mit allgemeiner Erleichterung aufgenommen. Er macht den Weg für die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen den zapatistischen Rebell*innen und der Regierung in dem chiapanekischen Ort San Andrés frei. Die ursprünglichen für den 5. Juni vorgesehenen Gespräche waren in erster Linie wegen des Urteils gegen Elorriaga und Entzin unbefristet ausgesetzt worden. Jetzt wird ein neuer Termin in Kürze erwartet. Elorriaga, gegen den nach 16monatiger Untersuchungshaft alle Anklagepunkte fallengelassen wurden, sprach von einem „frischen Wind für den Dialog“. Gegen den Tzeltal-Indio Entzin erhielt das Berufungsgericht die Klage wegen „Rebellion“ aufrecht, belegte ihn dafür statt mit sechs Jahren Haft aber nur mit 300 Pesos Geldstrafe. Entzin kommentierte nach der Entlassung aus dem Gefängnis lakonisch: „Ich gehe arbeiten, mit meinen Geschwistern das Maisfeld bebauen. Auf alle Fälle haben wir etwas gelernt.“
Den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben?
(Mexiko-Stadt, 8. Juni 1996, POONAL).- Der Sicherheitsbehörde der größten Stadt der Welt steht seit dem 8. Juni der General Tomás Salgado vor. Sein Vorgänger David Garay mußte auf direkten Druck von Mexikos Präsident Ernesto Zedillo vor anderthalb Wochen seinen Rücktritt einreichen. Garay wurde für das brutale Vorgehen der Polizei gegen streikende Lehrer in der Hauptstadt verantwortlich gemacht. Der durch den Präsidenten erzwungene Rücktritt wurde allgemein als positives Zeichen bewertet. Die Nachfolge hat jedoch Zweifel erweckt. So ernannte Stadtregent Oscar Espinosa Villareal den General, ohne die Abgeordneten der Stadtversammlung zu konsultieren. Während Mitglieder der regierenden PRI von dem „dezentesten und repektabelsten unter den erwähnten Kandidaten“ sprechen, befürchtet die Opposition eine schleichende Militarisierung der Hauptstadt. Die Ernennung von Salgado bedeute den „offensichtlichen Beginn der Armeeintervention in Aufgaben der öffentlichen Sicherheit“. Armeekreise kennzeichneten die Ausweitung ihrer Zuständigkeiten als „notwendiges Übel“.
URUGUAY
Fasano und Fasano frei
(Mexiko-Stadt, 8. Juni 1996, POONAL).- Die beiden uruguayischen Journalisten Federico und Carlos Fasano haben einen Teilerfolg im Kampf um die Pressefreiheit in ihrem Land errungen. Nachdem sie am 23. Mai wegen des „Angriffs gegen die Ehre eines ausländischen Staatschefs“ zu zweijähriger Haft verurteilt wurden, beschloß das Berufungsgericht nun die vorläufige Freilassung der verantwortlichen Journalisten der Tageszeitung „La República“. Das endgültige Urteil wollen die Richter*innen erst in einigen Tagen sprechen. Angesichts der zweifelhaften Umstände des Prozesses und des Urteils in erster Instanz zweifelt kaum jemand in Uruguay an einem Freispruch. Dazu kommen nationaler und internationaler Druck von zahlreichen Organisationen und Einzelpersonen, die in den vergangenen Wochen ihre Empörung über den Fall zum Ausdruck brachten. Der uruguayische Staatschef Julio Sanguinetti von der regierenden Coloradopartei gab über einen Parteisprecher zu, daß die Verhaftung der Fasano-Brüder für sein Prestige im In- und Ausland ein schwerer Rückschlag geworden sei. Federico Fasano wiederholte, sich für sein Verhalten – er hatte Reportagen veröffentlicht, in denen er die Verwicklung des paraguayischen Präsidenten Wasmosy in Korruptionsaffären aufdeckte – nicht entschuldigen zu wollen. Er bedankte sich für die Solidarität der Journalist*innen aus aller Welt, die sich für seine Freiheit und die seines Bruders eingesetzt haben.
Poonal Nr. 245 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar