Marina Silva: Brasiliens Umweltpolitik im Rückwärtsgang

von Andreas Behn

(Berlin, 16. April 2012, npl).- „Unter der Regierung von Dilma Rousseff gibt es in der brasilianischen Umweltpolitik erstmals seit 20 Jahren Rückschritte“, erklärte die ehemalige Umweltministerin Marina Silva. Im Interview mit dem Internetportal Terra nannte sie das Beispiel des neuen Waldgesetzes (Código Florestal), das seit Monaten im Kongress debattiert wird. Der Entwurf des Waldgesetzes schränke „auf allen Ebenen den Schutz der Umwelt ein, erlaubt Abholzung in geschützten Gebieten und belohnt sogar noch diejenigen, die abgeholzt haben,“ kritisierte die renommierte Umweltpolitikerin.

Nach vielen Jahren als Umweltministerin in der Regierung Lula trat Marina Silva 2008 aus Protest gegen eine Politik zurück, die ökologische Kriterien dem Diktat vom Wachstum um jeden Preis unterordnete. „Seitdem werden die Umweltauflagen flexibilisiert und die Kompetenzen der Kontrollbehörden eingeschränkt.“ Diese Politik begünstige vor allem den Rohstoffabbau und den Bau von Großprojekten wie Wasserkraftwerken und neuen Verkehrswegen, kritisiert Silva, die bei den Präsidentschaftswahlen 2010 einen ehrbaren dritten Platz erreichte.

Rousseff spielt auf Zeit

Dilma Rousseff versucht, die Verabschiedung des neuen Waldgesetzes auf die Zeit nach der UN-Konferenz Rio+20 im Juni zu verschieben, um das Image eines in Umweltfragen fortschrittlichen Landes aufrechtzuerhalten. Marina Silva ärgert, wie die jetzige Regierung sich auf diesem Image ausruht: Das Schlimme sei, dass die Zerstörung der Umwelt kaum wahrgenommen werde, da Brasilien aufgrund der erfolgreichen Politik der letzten 20 Jahre in Ausland anerkannt werde. „Dilma spricht gerne von diesem Image, während die heutige Politik die Grundlagen dieser Umweltpolitik zerstört. Sollte das Waldgesetz in der vorliegenden Form verabschiedet werden, wären wir Gastgeber der Rio Plus 20 in einem Zustand Rio Minus 20,“ argumentiert Marina Silva.

Wie fragwürdig ein Wachstum auf Kosten der Umwelt ist, zeigten Wissenschaftler*innen jüngst auf der Konferenz „Planet Under Pressure“ in London. Einer Studie zufolge sei Brasiliens BIP pro Kopf zwischen 1990 und 2008 um 34 Prozent gewachsen. In Gegensatz dazu sei das „Naturkapital pro Kopf“ – dies umfasst alle Naturvorkommen von Wäldern bis hin zu Mineralien – im gleichen Zeitraum um 46 Prozent gesunken. Eine andere Berechnung des Wirtschaftswachstums, das natürliches und menschliches Kapital einbezieht, würde zeigen, dass Brasilien in den 18 Jahren nur um gerade mal drei Prozent gewachsen wäre, so die Wissenschaftler*innen.

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