Die Privatisierung des Krieges

von AnnCol

(Montevideo, 11. Januar 2010, comcosur).- Kriegseinsätze werden immer häufiger stellvertretend durch private Akteur*innen geführt. Dieser Eindruck gründet sich auf zwei Beobachtungen: Erstens: Es wird immer schwerer, ein eindeutiges militärisches Ziel auszumachen, beziehungsweise, der Unterschied zwischen militärischen und zivilen Einsätzen verschwimmt immer mehr, wie sich anhand der derzeit stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak, in Afghanistan und in Kolumbien zeigt. Zweitens: Der Staat als politische Instanz, als Inhaber des Gewaltmonopols, als Hüter der Waffengewalt und der Gerichtsbarkeit, kurz: der Staat im Sinne Max Webers, hört nach und nach auf zu existieren. In vielen Ländern sind es eine private Justiz, ein privater Krieg, die an Bedeutung gewinnen, der Staat selbst wird immer mehr an den Rand gedrängt, und oft genug unterstützt der Staat selbst sogar diese Entwicklung, wie zum Beispiel in den USA, in Afghanistan oder in Kolumbien.

Der kolumbianische Staat, seine Institutionen, sein gesamtes politisches System fördert die Vision von Bürger-Soldat*innen als einer Strategie zur Verteidigung der nationalen Sicherheit. Die Polizei (policía nacional), die eigentlich eine zivile Institution sein sollte, ist komplett militarisiert. Sie untersteht nicht, wie in jedem zivilisierten Land üblich, dem Innenministerium, sondern dem Verteidigungsministerium. Es genügt sich anzuschauen, wie das kolumbianische Militär die verschiedenen Sektoren der Gesellschaft beeinflusst: Unternehmen, Journalist*innen, Viehzüchter*innen usw. Dazu zählt auch der paramilitärische Sektor, der ohne Zweifel auf den Staat zurückgeht und von diesem unterstützt wird, etwa durch Regierungsprogramme wie „Un millón de informantes“, wo für den Kampf gegen die Guerilla eine Million Informant*innen in der Zivilbevölkerung rekrutiert werden sollen oder das Anti-Koka-Programm „Guardabosques“, das Wirtschaftsförderungsprogramm „Familias en acción“ oder die von der Regierung geduldete paramilitärische Gruppe „Convivir“, die systematische Überwachung regierungskritischer Aktivitäten durch so genannte „Cooperantes“. In Kolumbien wird die Situation noch zusätzlich durch den Militarismus von Zivilist*innen erschwert, die an der politisch-wirtschaftlichen Spitze des Staates stehen. Dies würde erklären, weshalb der gegenwärtige kolumbianische Verteidigungsminister aus der Leitung eines Kaffeeunternehmens kommen und zur Führung der professionellsten und kriminellsten Armee Lateinamerikas berufen werden kann. Nicht nur, dass er in das Ressort des Außenministers übergreift; er verschleiert außerdem den Diskurs über die Aktionen des Militärs.

Die Bodentruppen marschieren in Kriegsgebieten nicht etwa in ziviles Gelände ein, um die Bevölkerung zu schützen, wie offiziell immer behauptet wird, sondern um sich selbst dadurch zu schützen. Oft errichtet das Heer seine Schützengräben mit voller Absicht in unmittelbarer Nähe von Schulen, Krankenhäusern oder Wohnhäusern von Indígenas und Bauern und Bäuerinnen, um diese als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.

Das führt dazu, dass alles, was den Staat in irgendeiner Weise repräsentiert, alle Vertreter*innen oder öffentlichen Einrichtungen, sei es auf Landesebene oder auf regionaler bzw. lokaler Ebene, von den Aufständischen als militärische Ziele wahrgenommen werden. Die Minister*innen, egal welches Ressort sie leiten, gehören zu den militärischen Zielen, da sie aktiv am Krieg in Kolumbien beteiligt sind, ob durch die Ratifizierung eines Gesetzes, durch die Ausarbeitung einer Kriegsstrategie oder durch ihre bloße Machtausübung.

Die Zivilbevölkerung in die Verteidigung des Staates hineinzuziehen, ist die Strategie einer chauvinistischen Regierung: Wenn es dem Staat passt, ist er das Vaterland aller Menschen in Kolumbien. Die Armen werden zum Militärdienst und zum Kriegführen herangezogen, zur Verteidigung eines Landes, das die Marginalisierten und die Millionen armer Menschen unter anderen Umständen schlichtweg ignoriert. Wenn es darum geht, die Macht und den Reichtum des Landes aufzuteilen, wird der Kreis der Empfänger*innen plötzlich winzig klein. Wie es der breiten Masse ergeht, die für sie im Krieg den Kopf hinhält, interessiert die Machthaber*innen nicht.

Das Schlimmste aber ist der Niedergang des Staates. An zwei simplen Beispielen soll veranschaulicht werden, wie zwei strategische Verbündete wie die USA und Kolumbien sogar soweit gehen, den eigenen Machtapparat und die gesellschaftlichen Kontrollinstanzen aufs Spiel zu setzen, wenn es ihnen dadurch nur gelingt, die Vormachtstellung der Mächtigen zu gewährleisten.

Der kolumbianische Staat hat sich angesichts seiner Unfähigkeit, eine gerechte Verteilung der vorhandenen Ressourcen zu gewährleisten, in ein repressives Organ verwandelt, das sich allen kritischen Ansätzen verwehrt und sein gesamtes juristisches Repertoire dazu nutzt, den Feind im eigenen Land zu bekämpfen.

Generationen von Paramilitärs haben mit staatlicher Unterstützung ihr Unwesen getrieben: Bandenführer wie Sangrenegra und Chispas, von konservativen Politikern finanzierte Banden wie Pájaros und Chulavitas und Schwerkriminelle wie die Brüder Castaño. Und keiner von ihnen schreckte davor zurück, ihr Handeln mit der makabren Begründung zu rechtfertigen, es gehe ihnen um den Kampf gegen den Staatsterrorismus. Der Staat hingegen stellte die staatliche Sicherheitsbehörde in den Dienst der Paramilitärs und unterwarf sich ihren üblen Machenschaften. Es wäre keine Lösung, die Sicherheitsbehörde aufzulösen oder ihren Namen zu ändern, denn alle ihre Machenschaften gehen mit der Politik des Staates konform.

In den USA findet sich ein vergleichbares Verhältnis zwischen Staat und CIA, ihrem mittelmäßigen und kriminellen Geheimdienst, der von niemandem kontrolliert wird, nicht einmal vom Oberbefehlshaber der Armee, Präsident Obama.

Über ihre frühere Rolle als Spionageagentur und Informationengeber in politischen Entscheidungsprozessen ist die CIA längst hinausgewachsen und hat sich zu einem militärischen Organ entwickelt, das von niemandem kontrolliert wird. Die CIA ist ein Verbrecherkartell, das Drogen gegen Waffen eintauscht (siehe die Iran-Contra-Affäre der 80er-Jahre, als Einnahmen aus geheimen Waffenverkäufen an den Iran an die rechtsgerichteten Contras in Nicaragua weitergeleitet wurden) und nach der Amtszeit der Herren Bush sr. und jr. eine operative Rolle einnimmt: Er besteht nunmehr aus einer Truppe von Söldner*innen, die weder Recht noch Gesetz kennen. Nach dem Tod von acht ihrer Terroristen in Afghanistan am 30. Dezember läuteten alle Alarmglocken: Die tatsächliche Beteiligung der CIA im operativen Teil des Krieges war nun nicht mehr zu leugnen.

Die CIA zieht es vor, nicht offen zutage zu treten. Sie handelt verdeckt durch NGOs, durch Forschungszentren, Mormonen, Missionare und Söldnerbüros. In ganz Lateinamerika wird die Arbeit der US-Entwicklungsbehörde durch die CIA gelenkt. Damit wird USAID zwangsläufig zum militärischen Angriffsziel. Die USA benutzen Zivilist*innen und USAID-Mitarbeiter*innen, was im operativen Sinne Söldner*innen und Terrorist*innen und damit militärischen Zielen gleichkommt. Am 15. Dezember wurde einer dieser Söldner auf Kuba verhaftet, und es geht das Gerücht, dass einige von dieser Sorte auf lateinamerikanischem Gebiet unterwegs sind und unter dem Deckmantel von NGOs ihre Verschwörungen und Staatsstreiche vorbereiten, während sie vorgeben, sich für Frieden, Entwicklung, Umweltschutz und dergleichen einzusetzen.

So berichtet die Anwältin Eva Golinger Folgendes über Venezuela und Bolivien: „Seit Juni 2002 unterhält USAID ein „Büro für Initiativen zur Transition“ OTI (Oficina para las Iniciativas hacia una Transición), über das sie bereits Millionen US-Dollar ins Land gebracht hat, um die Opposition gegen Hugo Chávez zu stärken. Die gleiche Agentur, die auch in Afghanistan operiert und der CIA nahe steht, Development Alternatives, Inc. (DAI), wurde von USAID in Venezuela unter Vertrag genommen. Sie soll das millionenschwere Budget nutzen, um „die Zivilgesellschaft auf dem Weg in die Demokratie zu unterstützen“. Auf über 2.000 teilweise von USAID freigegebenen Seiten über ihre Aktivitäten in Venezuela wird die Verbindung der DAI zur Opposition, mit Programmen zur „Stärkung“ ihrer politischen Parteien, zur Entwicklung politischer Kampagnen und zur Unterstützung beim Aufbau einer Bewegung gegen die venezolanische Regierung nachgewiesen. Dieses Jahr haben sich die Bewohner*innen zweier bolivianischer Gemeinden erfolgreich gegen die Machenschaften von USAID zur Wehr gesetzt, Die US-Entwicklungshilfe musste sich aus Chapare und El Alto zurückziehen, weil ihr interventionistisches Verhalten vorgeworfen wurde. Im September kündigte Präsident Evo Morales die Beendigung des offiziellen Abkommens mit USAID an, da sie Beträge in Millionenhöhe an separatistische Gruppen weitergeleitet habe, um diese bei der Destabilisierung des Landes zu unterstützen.

Somit drängt sich wieder mal die obligatorische Frage auf, ob die USAID-Mitarbeiter*innen nun noch in die Kategorie Zivilist*innen gehören oder ob sie schon als potentielle militärische Angriffsziele der aufständischen Gruppen zu betrachten sind. Schwerwiegend ist in diesem Zusammenhang der durch die Staaten geschaffene Präzedenzfall: Der kolumbianische Präsident Uribe Vélez persönlich erklärte, kritische Journalist*innen, Gewerkschafter*innen oder Menschenrechtler*innen seien im Prinzip Terrorist*innen in Zivil. Was regelrecht sprachlos macht, ist die Doppelmoral: Mit der gleichen Logik, mit der sämtliche politischen Feinde zu Terrorist*innen erklärt werden, verschleiern sie die Tatsache, dass im Rahmen ihrer repressiven Aktionen Zivilist*innen militärische Aufgaben erledigen. Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen, die die Paramilitärs finanzieren und dabei mit den regionalen oder lokalen Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, machen sich definitiv zu militärischen Angriffszielen.

Die staatlichen Machtinstanzen arbeiten gezielt auf eine Verschlimmerung der Kriegssituation hin. Nicht die Rebell*innen haben den Kampf gewählt, sondern er wurde ihnen von oben aufgezwungen. Die Zuspitzung des Krieges veranlasst uns zu der ethisch motivierten Forderung, dem ein Ende zu bereiten. Vergessen wir das irreführende Etikett „Humanisierung des Krieges“ und kämpfen wir stattdessen gemeinsam dafür, dass dieser Krieg aufhört!

Die Privatisierung des Krieges durch die Staaten löst einen Diskurs aus, der über die Grenzen des Moralisierens hinausgeht. Etwas kann nicht alleine deswegen gut sein, weil es vom Staat ausgeht, und schlecht, weil es von den Aufständischen getan wird.

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