Wahlverlierer Umweltschutz

von Andreas Behn

(Berlin, 15. Oktober 2014, taz).- Schon vor der Stichwahl um die brasilianische Präsidentschaft hat die Umwelt verloren. Die Agrarlobby, die größte parteiübergreifende Interessenvertretung im Parlament, hat bei der Wahl Anfang Oktober kräftig hinzugewonnen. Die Abgeordneten vertreten die Interessen des Agrobusiness und der großen Bergbauunternehmen. Schwieriger wird damit die Lage für die Indigenas und die auf Förderung angewiesene ökologische Landwirtschaft. Im Amazonasgebiet wird die Abholzung weitergehen, wahrscheinlich noch schneller als bisher.

257 Abgeordnete aus allen Bundesstaaten zählt die „Frente Parlamentar da Agropecuária“, über die Hälfte der 513 Parlamentarier*innen. In der vergangenen Legislaturperiode waren es bereits 191. Auch im Senat konnten die Agrarier ihren Einfluss ausbauen. Größter Erfolg der Fraktion war 2012 die Neufassung des einst vorbildlichen Waldgesetzes Brasiliens. Auf ihr Betreiben wurde zahlreiche Ausnahmeregelungen geschaffen und illegale Rodungen aus der Vergangenheit von einer Strafverfolgung freigestellt. Statt dem Umweltschutz diene das Waldgesetz jetzt “den kurzfristigen Interessen der Agrarindustrie“, kritisiert Roberto Maldonado vom WWF. „Wer Kahlschläger amnestiert, darf sich über einen Anstieg der Abholzung nicht wundern“.

Agrarlobby hat Mehrheit im Parlament

Mit ihrer Mehrheit im Parlament hofft die Agrarlobby jetzt weitere Gesetzesänderungen durchzusetzen. Ganz oben auf ihrer Wunschliste steht die PEC 215. Dahinter verbirgt sich ein Verfassungszusatz, mit dem die Entscheidungen über die Einrichtung von Schutzgebieten von der Bundesregierung auf den Kongress übertragen werden soll. Dies betrifft vor allem Schutzgebiete für Indigene, die in vielen Landesteilen auf ihr Recht pochen, das Land ihrer Vorfahren zu besiedeln. Quilombolas, die Nachfahren einst geflohener Sklav*innen, machen von diesem Recht ebenfalls Gebrauch und haben die Einrichtung zahlreiche Schutzgebiete beantragt.

Mit der PEC 215 wäre die ohnehin zögerlicher Vergabe solcher Schutzgebiete kaum noch durchzusetzen. Immer wieder bezeichnen die Agrarier im Kongress die Interessen von Indigenas und Quilombolas als Entwicklungshemmnis, das der hoch profitablen industriellen Landwirtschaft im Weg steht. Zwei weitere Verfassungszusätze sollen die rechtliche Neuordnung auf den Land abrunden: Sie sollen sowohl der Agrarwirtschaft als auch der Bergbauindustrie erlauben, in bereits eingerichteten Schutzgebieten ökonomisch aktiv zu werden.

Ziel ist es, den ökologischen Raubbau zu legalisieren. Die Zunahme der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Indigenas und Landbesitzern, die schon jetzt zahlreiche Todesopfer fordern, ist vorprogrammiert.

Wirtschaft wichtiger als Umwelt

Umweltthemen haben im diesjährigen Wahlkampf in Brasilien ohnehin kaum ein Rolle gespielt. Daran hat auch die Kandidatur der ehemaligen Umweltministerin Marina Silva nicht geändert, im Gegenteil: Um mit ihrem propagierten „Dritten Weg“ die Wirtschaft nicht zu verschrecken, suchte sie die Nähe zur Agrarlobby und machte deutlich, dass sie ökologische Richtlinien nicht über unternehmerische Interessen setzen würde. Obwohl Silva in Umfragen zeitweise in Führung lag, kam sie wie vor vier Jahren im ersten Wahlgang nicht über den undankbaren dritten Platz hinaus.

Für Amtsinhaberin Dilma Roussef wie für den konservativen Herausforderer Aécio Neves, die am 26. Oktober in der Stichwahl gegeneinander antreten werden, ist Umwelt ohnehin nur ein Randthema. Rousseffs gemäßigt linke Regierung setzt auf schnelle nachholende Entwicklung und gibt großen Infrastruktur-Projekten insbesondere im Amazonasgebiet den Vorrang vor ökologischer Verantwortung. Unternehmerfreund Neves wird kaum andere Prioritäten setzen. Nach wie vor ist der Export von Agrargütern und Mineralien ein entscheidender Wachstumsmotor, ebenso wie die ökologisch fragwürdige Tiefsee-Ölförderung von der Küste.

Mit ihrem Desinteresse an ökologischen Fragen hat sich Rousseff viele Sympathien insbesondere in ihrer eigenen Basis verscherzt. In Umfragen liegt sie derzeit mit Neves gleichauf und bangt um ihre Wiederwahl. Doch die Aussicht auf einen Präsidenten der konservativen PSDB mit ihrer Rechts-Allianz mobilisiert große Teile der sozialen Bewegungen, die Unterschiede der beiden Optionen zu betonen. Beispiel Sklavenarbeit, die insbesondere in der Landwirtschaft immer noch verbreitet ist, zumal die Agrarier in dieser Frage gern ein Auge zudrücken: Anders als Rousseff und Silva weigerte sich der Kandidat Neves, die Bekämpfung von sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen zu einer Priorität seiner Politik zu erklären. „Leider ist es nicht überraschend, dass Neves sich nicht zu der Frage ausbeuterischer Arbeit äußern will“, erklärt Xavier Plassat von der Landpastorale CPT, die die Kampagne gegen Sklavenarbeit koordiniert. Ihm gehe es um die Stimmen „der reaktionärsten Teile der brasilianischen Gesellschaft, der Landherren und des alteingesessenen Unternehmertums“.

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