Sündenfall Agrosprit

von Andreas Boueke, Guatemala

(Berlin, 23. April 2011, lateinamerikanachrichten/poonal).- Immer mehr Unternehmen sichern sich Land in Guatemala, um auf diesem Ölpalmen und Zuckerrohr anzubauen und somit von dem weltweit steigenden Bedarf an Agro-Sprit zu profitieren. Doch das Umweltbewusstsein der Einen ist das Leid der Anderen. Denn das Land wird ebenso von indigenen Gruppen beansprucht. Für sie sind die landwirtschaftlichen Flächen Lebensgrundlage – und eine Verbindung zu ihren Vorfahren.

Invasion der Konzerne

Mitternacht auf der Finca Bella Flor im Departamento Alta Verapaz in Guatemala. Hier und da schnarcht ein Mensch. Ab und zu weint ein Baby. Kinder und Alte, Frauen und Männer schlafen auf Brettern und schmutzigen Decken. 36 Familien haben eine provisorische Siedlung gebaut, Äste in den Boden gerammt und schwarze Plastikplanen daran befestigt, damit sie ein wenig Schutz vor Regen und Wind bieten.

Dreimal schon wurden die Menschen von diesem Grundstück vertrieben. Jedes mal kamen sie zurück. Zuletzt vor einem Monat. Die Finca Bella Flor liegt in einem Tal, durch das gemächlich der Fluss Polochic fließt. Doch die Stimmung dort ist aufgeheizt. Viele Kleinbauern und -bäuerinnen protestieren gegen die Invasion großer Konzerne, die Zuckerrohr und Ölpalmen anbauen wollen, Pflanzen, aus denen Ethanol und Agrodiesel gewonnen werden kann.

„Aber die wirklichen Eindringlinge sind sie

Zwei Wächter mit Taschenlampen patrouillieren über Sandpfade der Finca Bella Flor, welche die Schlafplätze miteinander verbinden. Drei weitere sitzen versteckt hinter einem Sandhaufen. Einer von ihnen ist Julio Caál, ein schmächtiger Mann. Aber sein charismatisches Auftreten macht ihn zum natürlichen Anführer der Gruppe. „Die Fincabesitzer sagen, wir hätten dieses Land illegal besetzt“, beklagt Julio Caál. „Aber die wirklichen Eindringlinge sind sie. Diese Leute sind von weither gekommen. Sie haben das Land unserer Vorfahren genommen. Für dieses Land sind unsere Großväter ermordet worden.“

Ein Großteil der Bevölkerung im Polochic-Tal sind Angehörige des Mayavolkes der Kekchí. Doch das fruchtbarste Land gehört einigen wenigen Großgrundbesitzer*innen. Die haben sich schon vor Generationen riesige Ländereien angeeignet, auf denen zuvor die indigene Bevölkerung gelebt hat. Nicht selten kam dieser Landraub gewaltsam zustande. Die Kekchí mussten für die neuen Herrn arbeiten.

Von Parzellen zur Eigenversorgung vertrieben

Doch zumindest bekamen sie eine Parzelle zugewiesen, auf der sie ihre eigenen Grundnahrungsmittel anbauen konnten. Jetzt aber soll es vorbei sein mit dieser Selbstversorgung. Im Laufe der vergangenen fünf Jahre haben Großkonzerne riesige Ländereien gekauft. Sie wollen die Landwirtschaft ganzer Regionen auf den Anbau von Ölpalmen und Zuckerrohr umstellen. Für die Familien, die seit Generationen auf dem Land leben, bleibt weder genug Platz, noch ausreichend Arbeit.

Ganze Gemeinden werden vertrieben und verlieren ihre Überlebensgrundlage. Julio Caál und seine Familie waren schon mehrfach Opfer blutiger Landkonflikte. Zwei seiner Onkel wurden ermordet. Er selbst hat mehrere Schusswunden überlebt. Nicht ohne Stolz zeigt er die Narben an seinem Bein: „Sie haben mich getroffen. Zwei Kugeln sind hier ins Bein eingedrungen und auch meine Hand haben sie ordentlich verletzt.“ Neben Julio Caál sitzt der Junge Dario auf einem Stein. Er ist sechzehn Jahre alt. „Wir leben mit dem Hunger“, sagt er. „Manchmal haben wir keinen Mais, weil wir kein Land haben. Das ist extreme Armut.“ Dario und seine Kamerad*innen hoffen, dass sie eines Tages als Besitzer*innen der Finca Bella Flor anerkannt werden. Sie wollen auf ihren eigenen, kleinen Parzellen arbeiten und nicht als Tagelöhner*innen für Großgrundbesitzer*innen.

Eigentümer sieht Besetzer*innen als Kriminelle

Der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn in Guatemala liegt bei 56 Quetzales, etwa fünf Euro pro Tag. Aber das steht nur auf dem Papier. Einer der Fincabesitzer im Polochic-Tal, der deutlich weniger zahlt, ist Hector Monzón. Er bezeichnet die Landbesetzungen als illegal und hält ein gewaltsames Vorgehen gegen die Besetzer*innen für notwendig: „Der Staat muss den Privatbesitz immer verteidigen. Deshalb muss er die Invasionen bekämpfen und die Landbesetzungen räumen.“

Hector Monzóns Vater hat die Finca Bella Flor seiner Tochter Aminta vererbt. Doch die ist vor vielen Jahren in die Hauptstadt gezogen, erzählt Hector Monzón: „Die Finca meiner Schwester ist schon dreimal besetzt worden. Deshalb hat sie sich entschieden, das Land zu verkaufen. Sie konnte es nicht verteidigen. Gerade jetzt sind schon wieder Besetzer*innen gekommen, obwohl am Zugang Wächter standen. Die Eindringlinge hatten Waffen und haben auf das Sicherheitspersonal geschossen. Daraufhin sind die Männer geflüchtet.“

Bürgermeister heißt Investoren im Polochic-Tal willkommen

Hector Monzón stellt den Verlauf der Schießerei anders dar als Julio Caál. Außerdem sagt er, die Besetzer*innen hätten überhaupt keinen Grund, das Land für sich in Anspruch zu nehmen. Er bezeichnet sie als Kriminelle: „Es ist durchaus möglich, dass es wieder zu einer Konfrontation kommt, weil der Staat immer weniger Kontrolle ausübt. Es gibt viel Korruption. Wenn das mit den Landbesetzungen so weitergeht und niemand die Besetzer*innen aufhält, dann wird es zu einer Konfrontation kommen zwischen den rechtmäßigen Besitzer*innen und den Besetzer*innen.“ Die meisten Großgrundbesitzer*innen argumentieren, die Investitionen der Konzerne würden den Weg zu Fortschritt und Entwicklung ebnen.

So sieht es auch der Bürgermeister des Städchens Panzós, dem urbanen Zentrum des Polochic-Tals. Er heißt Edwin Rummler – ein deutscher Name. Sein Großvater ist aus Deutschland nach Guatemala gekommen. Edwin Rummler hält es für seine Aufgabe, großen Konzernen den Weg zu bereiten, damit sie im Polochic-Tal investieren: „Wir bemühen uns um Investoren, die sich für dieses Gebiet interessieren. Wir unterstützen vor allem Unternehmen, die Ölpalmen anpflanzen und Bergbaufirmen, die Minen betreiben. Sie alle empfangen wir mit offenen Armen, denn wir wissen, dass sie uns Entwicklung bringen.“
 

************ Hintergrund ************

Das Tal, durch das der Polochíc-Fluss fließt, liegt im Westen des Izabal-Sees. Über neunzig Prozent der Bevölkerung sind Maya Kekchí. Einige Familien haben deutsche Vorfahren. Ab dem Jahr 1865 kamen deutsche Einwanderer in die Region. Viele profi tierten von der Enteignungspolitik der Regierung des bis heute als Modernisierer geltenden Präsidenten Justo Rufi no Barrios, der ein Dekret durchgesetzt hat, durch das 170 Kekchí Gemeinden in der Provinz Alta Verapaz ihr Land verloren, auf dem die Deutschen dann Kaffee anbauen konnten.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Diktator Jorge Ubico von den USA gedrängt, die Besitztümer der deutschen GroßgrundbesitzerInnen zu konfiszieren. Daraufhin nahm die US-amerikanische Firma United Fruit Company große Ländereien in Polochíc-Tal in Besitz, jedoch weitgehend ohne sie je zu bearbeiten. In einer Phase revolutionärer Umbrüche verstaatlichte der demokratisch gewählte Präsident Jacobo Arbenz einen Teil dieser landwirtschaftlichen Flächen. Doch nachdem seine Regierung im Jahr 1954 durch einen von der Regierung der USA unterstützten Putsch gestürzt wurde, konnten sich einige GroßgrundbesitzerInnen dieses Land aneignen. Zu dieser Zeit tauchte der neue starke Mann des Polochic-Tals auf: Flavio Monzón regierte sechs Wahlperioden über als Bürgermeister des Städtchens Panzós.

Während dieser Zeit trug er große Landstriche auf seinen Namen ein. Die Landkonflikte verschärften sich. Am 29. Mai 1978 kam es in Panzós zu einem Massaker. Soldaten schossen auf eine Demonstration von Kleinbauern aus dem Volk der Kekchí. Sie hatten gefordert, dass das Land, das sie bewohnten, auf ihre Namen eingetragen würde. 53 Zivilisten starben. Erst im Jahr 1997 wurden die meisten Opfer des Massakers exhumiert. Sie lagen in zwei geheimen Massengräbern.

Flavio Monzón hat einen Teil seines Grundbesitzes an seine Kinder vererbt, unter ihnen Aminta Monzón. In Verhandlungen mit den Landarbeiter*innen, die auf der Finca Bella Flor lebten, erklärte sie sich bereit, ihnen das Land zu verkaufen. Doch im Jahr 2005 tauchte die Firma Chabil Utzáj im Polochíc-Tal auf. Der Unternehmer Carlos Widmann kaufte mindestens zwei Dutzend Fincas in der Region, bevor er seine gesamte Zuckerrohrverarbeitungsfabrik „Guadelupe“ von der Südküste ins Polochíc Tal transportierte. Diesen spektakulären Plan setzte er in die Tat um, um im Tal mit einer groß angelegten Zuckerrohrproduktion beginnen zu können. Unter anderem kaufte Chabil Utzáj von Aminta Monzón die Finca Bella Flor zu viel günstigeren Konditionen als es die Landarbeiter*innen ihr hätten bieten können.

Daraufhin besetzten 36 Familien am 12. Oktober 2010 das Land, in der Hoffnung, dass die Regierung eine friedliche Regelung unterstützen würde. Am 15. März eskalierte die Situation. Carlos Widmann hatte richterliche Räumungsanordnungen für 13 Fincas erwirkt. Diese wurden umgesetzt von Hundertschaften von Polizist*innen mit Unterstützung von Soldat*innen der Armee und privatem Sicherheitspersonal. Am ersten Tag kam es zu gewaltsamen Konfrontationen. Ein Landarbeiter starb und mindestens sechs wurden schwer verletzt. In den darauffolgenden Tagen wurden die restlichen Fincas ohne weitere gewalttätige Zwischenfälle geräumt.

************* Ende Hintergrund *************

 

„Wenn es nur Ölpalmen gibt, welche Bohnen sollten wir braten?“

Auf der Finca Bella Flor durchbricht das Weinen eines Kleinkinds die Stille der Nacht. Sein Vater, Samuel Cucúl, wacht auf und steht von seinem Lager auf. Aber es ist Zeit für seinen Patrouillengang. „Ich habe gehört, dass sechs riesige Konzerne aus Brasilien hierher kommen werden, um Ölpalmen zu pflanzen“, sagt Samuel Cucúl. „Wir brauchen das Land, um unseren Mais, unseren Reis und unsere Bohnen anzubauen. Das ist unsere Nahrung. Wenn es nur noch Ölpalmen gibt, und keine Bohnen mehr, was sollen wir dann mit all dem Öl noch braten?“

Alle Kinder in der Siedlung leiden an Unterernährung. Sie laufen barfuß und ihre Eltern haben nicht genug Geld für Medikamente, mit denen sie die häufig auftretenden Atemwegs- und Magenerkrankungen bekämpfen könnten. Samuel Cucúl weiß, dass er all seine Kraft braucht, um das Überleben seiner Familie zu sichern.

27 Splitter Streumunition im Körper

Aber seit dem letzten Zusammentreffen mit dem privaten Sicherheitspersonal der ehemaligen Fincabesitzerin kann er nicht mehr so hart arbeiten wie er möchte: „In meinem Körper stecken 27 Splitter Streumunition. Deswegen kann ich heute nicht mehr so gut arbeiten wie früher. Wenn die Sonne heiß wird, bekomme ich Schwindelanfälle. Ich schaffe es gerade noch, meine Kinder durchzubringen. Aber oft kann ich ihnen nicht mehr soviel zu essen geben wie früher. Als ich noch arbeiten konnte, habe ich getan was ich wollte. Das geht jetzt nicht mehr, wegen der Wunde.“

Samuel Cucúls Körper ist schwer angeschlagen, genauso wie sein Gebiss. Es hat zahlreiche Lücken. Die meisten der übrigen Zähne haben große, schwarze Flecken. Er war noch nie beim Zahnarzt. Das ist ihm nicht so wichtig. Viel mehr sorgt er sich um das Essen für die nächste Mahlzeit. Die Familien auf der Finca Bella Flor sind auf die Solidarität anderer Gemeinden angewiesen. „Manchmal helfen wir uns gegenseitig. Wir gehen in eine andere Gemeinde, in der es den Leuten besser geht. Dort bitten wir um ein wenig Mais. Wir müssen durchhalten, bis wir die erste Ernte reinholen. Dann haben wir wieder etwas und können denjenigen Gemeinden helfen, die Hilfe brauchen. Wir haben nicht genug, um ordentlich essen zu können, aber so einigermaßen schlagen wir uns durch.“
 

********** Zusatz Agrosprit **************

Agrosprit soll nachhaltig das Klima schützen. Deshalb gilt in Deutschland seit Anfang des Jahres die sogenannte Biomasse-Nachhaltigkeitsverordnung. Diese legt fest, dass die flüssige Biomasse, die dem üblichen Benzin oder Diesel beigemischt werden kann, nur noch aus nachhaltiger Produktion stammen darf. Die Pfl anzen dürfen nicht auf Flächen mit hohem Naturschutzwert angebaut werden, wie etwa Regenwälder oder Feuchtgebiete.

Umweltverbände unterstützen das ökologische Anliegen der Nachhaltigkeitsverordnung, kritisieren aber das Fehlen sozialer Kriterien, so auch die Biologin Monika Nolle von der Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz, ARA: „Die ursprüngliche Idee, Biodiesel statt fossile Energie zu nutzen, ist eigentlich ein guter Gedanke. Aber es ist ein Problem, wenn diese Energiepflanzen für unseren Bedarf in anderen Ländern wachsen. Dann ist es wieder so, dass wir profitieren. Wir besetzen in südlichen Ländern große Ländereien, weil wir hier kein Land dafür zur Verfügung haben.“

Greenpeace hat festgestellt, dass Deutschland im Schnitt ein Viertel des Agrosprits, der in den Autotanks landet, aus solchen Ländern importiert. Dort gewinnen die Konzerne den Biosprit aus tropischen Pfl anzen wie Ölpalmen und Zuckerrohr – zu Lasten der armen Landbevölkerung. Den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von fünf Euro am Tag gibt es nur auf dem Papier.

********** Ende Zusatz Agrosprit **************
 

Der Artikel ist in der Monatszeitschrift Lateinamerikanachrichten 422 erschienen. Dort findet ihr noch weitere spannende Hintergrundartikel.

http://www.lateinamerika-nachrichten.de

Wir bedanken uns bei den Lateinamerikanachrichten und bei Andreas Boueke für die Abdruckrechte!

CC BY-SA 4.0 Sündenfall Agrosprit von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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