(Santiago de Chile, 7. Januar 2020, Medio a Medio).- „Die Besetzung trägt den Namen Violeta Parra, weil es ein Name ist, der für die Populärkultur hier steht und den die Familien aus der Gegend gut kennen. Violetta Parra wohnte in Barrancas, ganz in der Nähe des Ortes, an dem die Landbesetzung stattfindet“, erklärt Juan Caripán, Leiter der Landbesetzung, die im September 2019 begann und „hauptsächlich aus Familien aus dem westlichen Teil der Metropolregion besteht, aus Orten in der Nähe von Cerro Navia wie Pudahuel, Renca oder Lo Prado“.
Juan erinnert sich, wie sie ankamen, um das Land mit 20 Zelten zu besetzen. „Das Ziel war, einen Verlust des Landes nicht zu riskieren und den Schaden für die Familien so minimal wie möglich zu halten. Wir wollten die gesetzlichen Fristen einhalten, die es uns ermöglichen, Landnehmer zu werden und mit dem Bau zu beginnen“, berichtet er und fügt hinzu: „Heute haben wir 6 Hektar Land mit 300 Familien besetzt. Sie leben in provisorischen Holzhäusern, auf 10 mal 7,30 Meter schmalen Grundstücken. Man kann 70 Quadratmeter Haus darauf bauen. Wenn man auch noch die Seitenstreifen der Straße nutzt, die 6 Meter breit sind, dann können die Kinder und Erwachsenen sich treffen und es ist Leben im Viertel. Es fahren kaum Autos auf den Straßen innerhalb der Landnahme.“
Unter welchen Leitprinzipien steht das Zusammenleben im Projekt?
Wenn wir über ein langfristiges und kollektives Projekt sprechen, dann sprechen wir von Arbeitervierteln. Alle Familien, die an der Landnahme teilnehmen, beteiligen sich am Zusammenleben. Es sind alles Arbeiterfamilien. Wir üben uns in politischer Selbstverwaltung. Jede und jeder ist dabei notwendig. Jeder muss zu den verschiedenen Aufgaben etwas beitragen. Die größere politische Unabhängigkeit der Bewohner hat Grenzen markiert. Keine politische Partei des Regimes kann die Situation ausnutzen. Dahingegen kommen und begleiten uns andere politische und soziale Organisationen, solche, die sich über niemanden stellen.
Welche Schwierigkeiten gab es?
Das Leben in einer Landnahme ist eine ständige Herausforderung. Die Lebensbedingungen sind prekär, es ist ein Ausnahmezustand und man muss ständig wachsam sein. Die Hauptprobleme, mit denen wir in diesen vier Monaten der Besetzung konfrontiert waren, sind der politische Widerstand einer kleinen Gruppe von Rädelsführern, die versuchten, den Kampf als Wahlplattform zu instrumentalisieren. Auch die schamlose Ausbeutung durch diese Anführer war ein Problem. Sie versuchten, den Kampf um Wohnraum in ein persönliches Geschäft zu verwandeln, indem sie von der Not und dem Elend der Familien profitieren und Gebühren verlangen, damit jemand der Landnahme beitreten kann, einen Platz bekommen oder Wasser und Strom erhält. Außerdem wurden Geld und Waren, die als Hilfe für die Familien der Landnahme gebracht worden waren, gestohlen. Und als wäre dem nicht genug, gibt es auch noch den Drogenhandel. Er hatte versucht, sich einzunisten. Diesen konnten wir aber mit vereinten Kräften aus dem Camp vertreiben.
Auch rechte Parteien haben versucht, zu intervenieren und Lösungen, die überhaupt nicht dazu beitragen, die zugrunde liegenden Probleme zu lösen, angeboten. Doch die Camp-Bewohner sind wach und akzeptieren solche Manöver von Politikern wie zum Beispiel Luis Plaza, dem ehemaligen Bürgermeister von Cerro Navia, der vor einigen Jahren wegen des KDM-Müll-Skanals angeklagt worden war, nicht. Wir haben die Rechte, die uns regiert, de facto als verantwortlich identifiziert und klagen sie an. Sie verweigert uns mit ihrem „sozialen Integrationsgesetz“ das Recht auf unser eigenes Heim. Es lässt den Immobilienunternehmen weitreichende Verhandlungsfreiheit, wenn es um das Recht auf eine Wohnung geht. Das derzeitige Regime ist darüber hinaus mit schweren Menschenrechtsverletzungen, bei denen viele von uns ums Leben kamen und wo es Verletzungen, Verstümmelungen, Verhaftungen gab, Leute verschwanden und vieles mehr, Hauptverantwortlicher für den sozialen Sprengstoff.
Das größte Hindernis für eine schnellere Entwicklung des Landnahme-Projekts und einer neuen Gesellschaft, die wir vorschlagen, ist der vorherrschende Individualismus, der sich vor kollektive Entscheidungen stellt. Viele wollen es einfach haben. Sie wollen eine Lösung für das Wohnproblem, hoffentlich schon morgen. Aufopferung und Hingabe, das sind Forderungen, die nicht jeder bereit zu erfüllen ist. Man darf auch nicht vergessen, dass dieses politische und wirtschaftliche System dazu geschaffen ist, die Privilegien einiger weniger zu erhalten. Dem Volk werden im Gegenzug alle Rechte abgesprochen.
Sind Feminismus und konsequenter Umweltschutz im Camp ein Thema?
Sowohl der Feminismus als auch Umweltschutz haben zukünftig in der Landnahme ihren Platz. Sie sind die natürliche und zentrale Bedingung für das Aufrechterhalten der Besetzung. Diese Landnahme hier ist eine noch sehr junge Errungenschaft. Wir sind, was diese notwendigen Prinzipien betrifft, noch im spontanen Arbeiten, ohne übergeordnete Verantwortlichkeit der Organisation.
Es gibt weitere Flächen zu besetzen, für Feldarbeit und Recycling zu sorgen, für Obstgärten und für Aufforstungsprojekte usw. Solche Dinge würden uns sehr helfen, die Ernährungssituation und die Bedingungen vor Ort zu verbessern, auch die Sanitäranlagen im Camp betreffend.
Und Frauen aus der Bevölkerung sind immer da. Viele von ihnen sind es, die die Initiative ergreifen und den Ort instandhalten. Es gibt Fälle, da sind sie Mutter und Vater zugleich. sie kümmern sich um alle ihre Kinder und tun alles für sie. Sie leiten die Organisation, sie treffen Entscheidungen, sie bauen ihre Häuser selbst, sie helfen mit das Wasser und Licht zu installieren. Sie bauen Zäune, sie halten Wache, um die Sicherheit bei Nacht zu gewährleisten. Sie zimmern an der gemeinsamen Sache mit.
Haben die Familien der Landnahme sich an den Protesten, die am 18. Oktober 2019 begannen, beteiligt?
Einige der Familien aus der Besetzung haben sich seit dem 18. Oktober an Demonstrtionen beteiligt. Die Landbesetzung ist eine Antwort auf die soziale Krise, die wir durchleben, weil sie aus sozialer Ungerechtigkeit und aus der systematischen Verweigerung des Rechts auf eine Wohnung für arbeitende Familien resultiert. Diese Krise äußert sich darin, dass man lange Jahre auf eine Lösung für den Wohnungsbau wartet. Sie äußert sich im Zusammenstürzen der Immobilien-Spekulationsblase. Familien verschulden sich für 20 oder 30 Jahre und bezahlen von Mal zu Mal immer teurere Hypotheken ab.
Wie steht es mit der Solidarität außerhalb der Landnahme?
Solidarität ist sehr wichtig. Nur so kann das Gefühl, in einem Kampf um Land zu stehen erhalten werden. Genauso müssen sich die Arbeiter organisieren, um soziale Verbesserungen zu erwirken. Die Bewohner können nicht jeder einzeln ihr Leben verbessern. Wir brauchen Unterstützung und Leitung für Technik, Recht und Logistik. Die Organisation braucht verschiedene Komitees, die den Familien hilft, die notwendigen Aufgaben zu erfüllen. Diese Solidarität von außen, die wir brauchen, um effizient zu sein, stört das Camp nicht. Es wird immer auf das gemeinsame Unternehmen und die Unabhängigkeit, die die Arbeiter und das Volk für ihre Forderungen wie das Recht auf Wohnraum brauchen, hingewiesen.
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