
Foto: Felipe Restrepo Acosta via wikimedia
CC BY-SA 4.0
(Rio de Janeiro, 9. Juni 2025, Pressenza/poonal).- Mitten in der Festa Junina der Favela Morro do Santo Amaro, wurde das Leben des 24-jährigen Herus Guimarães Mendes auf tragische Weise beendet. Er starb durch eine verirrte Polizeikugel. Jacqueline Melo, Humanistin, Filmproduzentin, Kuratorin und Journalistin aus Rio de Janeiro, kommentiert die Ereignisse. Für sie steht fest: Dies ist keine einzelne Tragödie, sondern ein Muster, das sich seit Jahrzehnten wiederholt, über verschiedene Regierungen und politische Parteien hinweg.
Herus war kein Krimineller
Rio de Janeiro ist eine Stadt von atemberaubender Schönheit und voller überraschender Kontraste, aber wieder einmal wurde ihrer Unbeschwertheit durch die Gewalt ein Dämpfer verpasst. Herus war kein Krimineller; und doch wurde er ein Opfer von Polizeigewalt. Herus war Arbeiter und Sohn, Teil einer Gemeinschaft, ein junger Mann, der neben seiner Mutter und seinen Freunden stand und auf den Beginn des Fests wartete, das der Einheit und den Traditionen gewidmet ist. Er wollte die Quadrilha sehen, den typischenTanz der Festas Juninas, der brasilianischen Mittsommerfeste.] Die Mittsommerfeste im Juni sind lebendige kulturelle Veranstaltungen voller Farben, Tanzen und Lachen, das in ganz Brasilien widerhallt. Ein Ereignis, an dem niemand vorbeikam: übervolle Straßen, die bunte Kleidung, die Musik. Die Frage, die sich aufdrängt, schmerzhaft und dringend: Warum die Schießerei?
Ohne Vernunft und Empathie
Die Geschichte ist schmerzlich bekannt: Marielle Franco fragte einmal: „Wie viele müssen noch sterben?“ Eine Polizei-Razzia, der Vorwurf der Konfrontation, die Straßen voller Unschuldiger. Wie kann eine Suche nach angeblich bewaffneten Personen die Sicherheitskräfte blind machen für die Realität, wenn sie auf Dutzende unbewaffnete Menschen stoßen, auf Kinder und Erwachsene, die nur einen Moment der Entspannung und des Glücks suchten? Wie viele Heruse wurden, und werden noch, ausgelöscht durch diese Logik der Konfrontation, die mehr zählt als Vernunft und Empathie? Männer, Frauen, Kinder – die Liste der unschuldigen Opfer ist grausam lang. Jede verirrte Kugel, jedes ausgelöschte Leben bedeutet nicht nur den Tod eines einzelnen Menschen, sondern auch eine auseinandergerissene Familie, eine trauernde Gemeinschaft und das Verschwinden des Glaubens an eine bessere Zukunft. Das Gefühl von Schmerz, von Leere und Machtlosigkeit, von Wut, die in der Seele brennt, eint die vielen Menschen. Viele Augen sind geschwollen vom vielen Weinen. So viele Leben wurden bereits durch Gewalt zerstört. Gemeinsam versuchen die Menschen, einander zu unterstützen, sich miteinander zu verbinden, um sich, wenn auch nur für einen Augenblick, gegenseitig zu halten.
Eine offene Wunde im brasilianischen Rechtssystem
Es ist zwingend erforderlich, die Menschlichkeit hinter den Entscheidungen zu hinterfragen, die zu diesen Polizeieinsätzen führen. Dass die an diesen Einsätzen beteiligten Sicherheitskräfte nicht zur Rechenschaft gezogen werden, ist eine offene Wunde im brasilianischen Rechtswesen. Die Straflosigkeit befördert den Teufelskreis der Gewalt, verstärkt das Misstrauen und erhält den Schmerz von Dutzenden Familien aufrecht, die sehen müssen, wie ihre Liebsten als Kollateralschaden behandelt werden. Wir müssen dringend mit dieser perversen Logik brechen. Die Zukunft, die wir für Rio de Janeiro und für Brasilien herbeisehnen, kann nicht auf dem Blut von Unschuldigen errichtet werden. Wir müssen die Strategien der öffentlichen Sicherheit überdenken und dabei Weisheit über brutale Gewalt, Dialog über Konfrontation und Leben über Statistiken stellen. Wirkliche Sicherheit entsteht durch die Präsenz des Staats in Sozialpolitik, Bildung und Kultur und nicht nur durch militärische Gewalt.
Das Leben mehr achten als alles andere
Nach Aussagen der Mutter ließ die Polizei sich sehr viel Zeit, den Verletzten vom Tatort zu entfernen. Er habe zu diesem Zeitpunkt noch gelebt und hätte gerettet werden können, wenn er früher ins Krankenhaus gebracht worden wäre. Möge der Tod von Herus Guimarães Mendes nicht nur eine weitere Zahl in einer tragischen Bilanz sein. Möge er ein Wendepunkt sein, ein Schrei, der uns dazu zwingt, das Menschliche in jedem Gesicht zu sehen, das Leben mehr als alles andere zu achten und unablässig nach Gewaltlosigkeit als den einzigen Weg zu einer wirklich gerechten und friedlichen Zukunft zu streben. Nur so können wir gemeinsam, ohne Angst, die Quadrilha des Lebens tanzen.
Übersetzung: Christa Röpstorff
Ein Schrei nach Menschlichkeit in Rios Favelas von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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