Wissenschaftler*innen uneins im Konflikt um Großtagebau in Chubut

(Rawson, 15.03.2021, Agencia Paco Urondo).-  Am Wochenende des 13. und 14. März wurde Präsident Alberto Fernández in Chubut von Demonstrant*innen angegriffen. Hintergrund der gewalttätigen Auseinandersetzungen war die gesellschaftliche Debatte um den Bergbau in der Provinz. Was passiert in Chubut? Welche Positionen stehen einander gegenüber? Ist nachhaltige Entwicklung mit Bergbau vereinbar?

Schwere Umweltschäden befürchtet

Im November 2020 schickte die lokale Regierung den Gesetzentwurf „Entwicklung des nachhaltigen industriellen Metallabbaus in der Provinz Chubut“ an die zuständige Legislative. Damit soll in einigen Bereichen der Provinz der aktuell verbotene Großtagebau möglich gemacht werden. Während ein Teil der Wissenschaft dies als Chance sieht, haben einige Wissenschaftler*innen des wissenschaftlichen Instituts CONICET wegen der schweren Umweltschäden, die der Großtagebau in der Region verursachen könnte, ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht. Trotz der Gegenstimmen nahm die Regierung Änderungen in den ursprünglichen Gesetzentwurf auf und erhielt die notwendigen Stimmen, um ihn dem Parlament zur Debatte vorzulegen.

Größtes Problem: Trinkwasserknappheit

Chubut widersetzt sich seit 2003 strikt dem Großtagebau. Aktuell verbietet das Gesetz XII Nr. 68 (ehemals Gesetz 5.001) Tagebauaktivitäten in der gesamten Provinz. Mit dem aktuellen Gesetzentwurf will die Regierung von Mariano Arcioni jedoch die Bezirke Gastre und Telsen in der trockenen und wenig besiedelten Hochebene von diesem Verbot ausnehmen und damit für den Metallabbau im Tagebau freigeben. Als Reaktion darauf gründeten kritische Wissenschaftler*innen des patagonischen Forschungsinstituts CONICET-CENPAT einen technischen Koordinierungsausschuss für die Bestimung von Bergbauzonen und erstellten einen Bericht, der die Umweltschäden aufzeigt, die bei einer Realisierung des Großtagebaus auftreten können. Demzufolge wäre das Hauptproblem die Wasserknappheit, denn dem Fluss Chubut, der die Bevölkerung der Provinz zur Hälfte versorgt und im Vergleich zu anderen Flüssen wenig Durchfluss hat, „wird ein Rückgang der Wasserverfügbarkeit um etwa 40% gegen Ende des Jahrhunderts prognostiziert, was den gesamten Durchfluss des Flusses beeinflussen wird.“ Das ist besonders besorgniserregend, wenn man bedenkt, dass die Region ohnehin häufig unter Dürren leidet. So würden Wasserreserven, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, erheblich beeinträchtigt. Das gilt beispielsweise für die Flussbecken von Sacanana y Gastre in der Hochebene. Diese befinden sich genau dort, wo der Großtagebau entstehen soll.

Laut dem Bericht des Forschungsinstituts liegen keine verlässlichen Daten vor, anhand derer man die Gefahr einer Wasserknappheit bei der Versorgung der Bevölkerung ausschließen könnte ‑ trotz der beträchtlichen Wasserreserven des Sacanana-Beckens. Das liegt daran, dass „bei der Quantifizierung dieser Reserven die Rohstoffgewinnung und das Interesse der Bergbauunternehmen an der Durchführung des Navidad-Projekts im Norden der Provinz Chubut im Vordergrund stand.“ Die CENPAT-Wissenschaftler*innen wiesen auf die vom Klimawandel verursachten Probleme hin: Die Regionen leiden teils unter Trockenheit, teils unter schweren Regenfällen, die vereinzelt große Überschwemmungen verursachen können. Der Großtagebau wäre zusätzlich schädlich für die Umwelt, da durch die eingesetzten Methoden große Mengen an Gestein und Sedimenten an der Oberfläche freigelegt würden. Diese könnten vom Regenwasser in die Wasserwege und von dort in die Grundwasserleiter gespült werden, wodurch das Trinkwasser verseucht würde.

Unerschlossenes Silbervorkommen verspricht Mega-Profit

Das Navidad-Projekt wird im nördlichen Zentrum der Provinz Chubut von der kanadischen Bergbaugesellschaft Pan American Silver durchgeführt. Das Unternehmen begann 2010 mit dem Erwerb der Rechte zur Erschließung des Silbervorkommens, laut der unternehmenseigenen Website „eins der größten unerschlossenen Silbervorkommen der Welt“. Noch steht dem Projekt das Gesetz aus dem Jahr 2003 im Wege, das den Tagebau und die Verwendung von Zyanid bei der Mineralienaufbereitung verbietet. Das könnte sich jedoch ändern, wenn die Ausnahmen genehmigt werden. Die Regierung von Mariano Arcioni, der sich während seines Wahlkampfes gegen den Tagebau ausgesprochen hatte, ist zuversichtlich, dass das Projekt genehmigt wird. Die Region steckt seit 2016 in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, die die ordnungsgemäße Auszahlung der Gehälter erschwert. Die Realisierung des Projekts würde ihr ein wichtiges Deviseneinkommen sichern: Nach Angaben des kanadischen Unternehmens könnten rund 350 Millionen Dollar pro Jahr an Exporten in die Kassen gespült und mehr als 2000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Befürwortung der Bergbauaktivitäten durch den Gouverneur wurde bereits bei der Präsentation des argentinischen Strategieplans für den Bergbau im letzten Jahr bekannt, an der unter anderem der Minister für Produktive Entwicklung, Martin Kulfas, teilnahm. Dort hatte Arcioni erklärt: „Heute haben wir die historische Gelegenheit, einen Beitrag für die Republik Argentinien zu leisten und die strukturelle Benachteiligung der vielen weit entfernten Gebiete in unserer Provinz, wie zum Beispiel der Hochebene, zu überwinden. Dort findet ein sehr wichtiges Projekt statt, daher werden wir dieses Gebiet zur Bergbauzone erklären. […] Der Fall Chubut verlangt eine ernsthafte, eine fundierte Diskussion, um vernachlässigte Gebiete wie Gastre, Telsen und Gan Gan voranzubringen. Diese Gebiete verfügen über kostbare natürliche Ressourcen, die für die Provinz und das Land von hohem Wert sind.“

Wirtschaftlicher Vorteil versus  Umweltschutz

Vor diesem Hintergrund sehen es die Verfasser*innen des Berichts als erforderlich an, dass die „Handhabung und die Verwaltung einer so wertvollen Ressource wie Wasser im Kontext des Klimawandels, der zunehmenden Versteppung, der Ausweitung des Bergbaus und des Bevölkerungswachstums von transdisziplinären Studien begleitet wird“, die es erlauben, das „komplexe Geflecht sozialer, wirtschaftlicher, politischer und ökologischer Faktoren“ zu betrachten. Es sind jedoch nicht alle Wissenschaftler*innen gegen das Projekt eingestellt. Das Netzwerk der Akademiker*innen für nachhaltigen Bergbau übte im Einklang mit der Regierung scharfe Kritik an der Position des Koordinierungsausschusses des CENPAT-CONICET: „Es stimmt, dass der Bergbau gewisse Risiken birgt, genau wie beispielsweise die Erdölgewinnung, die Landwirtschaft und Viehzucht oder die Fertigungsindustrie, aber entgegen den leicht zu verbreitenden tragischen Gerüchten wird der moderne Bergbau mit hohen Umweltstandards betrieben, die diese Risiken erheblich reduzieren. […] Das Potential des Bergbaus wurde von der Umweltversammlung der Vereinten Nationen auf ihrer vierten Sitzung in der Resolution UNEA/EA.4/Res.19 zum Umgang mit mineralischen Ressourcen bestätigt. Diese Resolution würdigt den wichtigen Beitrag des Bergbaus zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) und die Bedeutung der sauberen, kohlenstoffarmen Technologien für die Gewinnung von Metallen und Mineralien.“ Einer der Gründe, den das Netzwerk der Akademiker*innen für die Entwicklung des nachhaltigen Bergbaus anführt, ist der Vorteil für die nationale Wirtschaft. Sowohl Chubut als auch die anderen Provinzen würden von dem Projekt profitieren: „Die Mitarbeiter*innen der staatlichen Forschungsinstitute werden aus dem Staatshaushalt bezahlt. Dieser wiederum wird durch Export- und Einkommenssteuern der Bergbauunternehmen in den Provinzen, in denen der Bergbau nicht verboten ist, mitfinanziert. Von diesen Steuererträgen profitiert im Übrigen auch die Provinz Chubut, und zwar nicht nur durch die Gehälter der nationalen Arbeitnehmer*innen, wie die des CENPAT, sondern auch durch die staatliche Mitbeteiligung.“

Vorerst hat das seit vergangenem Jahr eingefrorene Zonierungsprojekt einen Teilsieg errungen: Als erster Schritt zur möglichen Genehmigung wurde durch die notwendige Stimmzahl erreicht, dass der Entwurf nun dem lokalen Parlament zur Debatte vorgelegt wird.

Übersetzung: Hannah Hefter

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