Warum der Klimawandel Frauen und Mädchen stärker gefährdet

(Montevideo, 18. November 2022, la diaria).- Die Klimakrise macht sich im alltäglichen Leben immer häufiger bemerkbar. Sie ist der Grund für Extremtemperaturen, Starkregen, Dürren, Überschwemmungen, Brände und andere Klimaereignisse, die sich mittlerweile häufen. Diese Phänomene wirken sich auf Menschen aller Länder aus, allerdings nicht auf dieselbe Weise: Wieder sind es Frauen und Mädchen, die am stärksten betroffen sind. Denn instabiles Klima und Naturkatastrophen verschärfen bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, sie gefährden die Arbeitsgrundlagen von Frauen, weiten ihre Pflegeverantwortungen aus, erschweren den Zugang zu Gesundheitsdiensten und bringen Frauen häufiger in Situationen, in denen sie geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind.

“Der Unterschied zwischen den Folgen des Klimawandels, die Männer und Frauen erleben, hat mit der Verwundbarkeit und der Armut zu tun”, erklärte Ana Filippini, Mitglied des ökofeministischen Kollektivs Dafnias, der uruguayischen Zeitung la diaria. “Unter den gravierendsten Folgen leiden immer die Gemeinschaften und die Personen, die am wenigsten haben. Der Großteil der armen Menschen sind Frauen. Deshalb haben sie am wenigsten Kraft, den negativen Konsequenzen des Klimawandels entgegenzutreten”, hob Filippini hervor.

Wasserknappheit wirkt sich vor allem auf Frauen und Mädchen aus

Die Folgen des Klimawandels seien in den abgelegenen Regionen vieler Länder Lateinamerikas vor allem für Frauen besonders sichtbar, erklärt Filippini. Etwa dort, wo sich Frauen um die Bewirtschaftung von Feldern, um Tiere und Wasserreserven kümmern, um ihrer Familie Wasser und Essen zu bieten. Immer häufiger auftretende Dürren erschweren diese Arbeit. Frauen und Mädchen müssten beispielsweise “große Distanzen zurücklegen, um an Wasser zu kommen. Und sie müssen für diese Aufgabe viel Zeit aufwenden”, stellt Filippini fest. Andere Folgen haben mit dem Verlust der Selbstbestimmtheit und der Sicherheit, ihre Familie ernähren zu können, zu tun. Wasserknappheit hat unterdessen auch Auswirkungen auf die persönliche Hygiene und die Sauberkeit im Zuhause. Außerdem führt der Mangel an Wasser Gesundheitsprobleme herbei. Viele Mädchen müssen ihre Bildung vernachlässigen, um sich der Aufgabe der Wasserversorgung zu widmen.

Auch in Uruguay sind solche Situationen nicht untypisch. So erzählt Filippini, dass sie 2006 an einer Reise ins Landesinneren teilgenommen habe, „um die Wasserknappheit an einigen Orten zu bekunden”. In 90 Prozent der besuchten Haushalte hätten nur Frauen gelebt. “Weil um ihre Grundstücke herum aufgeforstet wurde, hatten sie kein Wasser mehr. Diese Frauen waren diejenigen, die es am schwersten hatten. Denn es hing von ihnen ab, ob sie und ihre Kinder Wasser und Essen hatten. Ihre Männer waren fortgegangen, um anderswo Arbeit zu suchen. Einige haben an der Zellulosefabrik UPM Arbeit gefunden und sind dort hingegangen”, berichtet Filippini von Dafnias. Sie erinnert sich außerdem, dass der Wassermangel an einigen Orten dafür sorgte, dass die Frauen keine gynäkologische Beratung in Anspruch nahmen, wenn ein Spezialist ins Dorf kam – weil sie sich dafür schämten, dass sie sich nicht duschen konnten.

Überschwemmungen gefährden das Zuhause vieler Frauen und Mädchen

Doch auch starker Regen und Überschwemmungen werden in Uruguay immer häufiger. Und gerade in den dafür besonders gefährdeten Gebieten wie in Siedlungen ohne Kanalisation “leben viele Frauen und Mädchen”, sagt Filippini. Die Anfälligkeit, in der sie sich damit befinden, erschwere es Frauen, eine Arbeit zu finden und sich so eine neue Bleibe suchen zu können – oder aber die Bleibe, die sie haben, reparieren zu können. Deshalb entscheiden sich viele Frauen dafür, in eine andere Siedlung zu ziehen oder in andere informelle Wohnorte, “in denen es wiederum andere Umweltprobleme gibt”, zum Beispiel Abwasser auf nicht asphaltierten Straßen.

Filippini hebt hervor, dass Studien über Überschwemmungen in asiatischen Ländern gezeigt haben, dass geschlechtsspezifische Ungleichheiten und die unterschiedlichen Folgen des Klimawandels auf Frauen und Männer sogar lebensgefährlich sein können: “Bei schweren Überschwemmungen konnten Männer fliehen, weil sie schwimmen konnten. Frauen konnten das nicht, weil sie in ihrer Gesellschaft nie die Chance bekommen hatten, es zu lernen”, führte sie aus. Eine andere Untersuchung habe gezeigt, dass sich Männer während Überschwemmungen auf Bäume retteten, um zu überleben, während Frauen das nicht konnten, “weil sie seit ihrer Kindheit dazu konditioniert wurden, dass Frauen nicht auf Bäume klettern sollen”. “Solche Situationen kommen wegen unterschiedlicher Fertigkeiten vor, die mit sozialen und kulturellen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen zu tun haben”, führt Filippini aus.

Mehr geschlechtsspezifische Gewalt nach Umweltkatastrophen

Die sozialen und wirtschaftlichen Spannungen, die von einer Naturkatastrophe oder Situationen wir Dürren, Überschwemmungen und anderen Phänomenen hervorgerufen werden, erhöht auch das Risiko für Frauen, geschlechtsspezifische Gewalt und sexuellen Missbraucht zu erfahren. Und tatsächlich: Nach Daten einer Studie des Proyecto Gender, die Katastrophen aus einer geschlechtsspezifischen Perspektive untersuchte, warnte das Kanarische Institut für Gleichberechtigung in den zwei Monaten nach dem Vulkanausbruch im September 2020 auf der spanischen Insel La Palma, dass Anzeigen wegen Gewalt durch Männer im Vergleich zum Vorjahr um 57 Prozent gestiegen waren.

Obwohl sich das Panorama als entmutigend erweist, haben Frauen große Widerstandskraft, diesen Situationen entgegenzutreten und sogar die Rolle einer Protagonistin im Wiederaufbau nach einer Naturkatastrophe einzunehmen. In diesen Situationen können die Aufgaben und aufgebürdeten Verantwortlichkeiten von Nutzen sein, „ihre Fähigkeiten im Risikomanagement zu verstärken”. Zwei Studien des Proyecto Gender, die am 16. November im Rahmen des 5. Kongresses der Sozialwissenschaft Lateinamerikas und der Karibik unter dem Motto “Demokratie, Gerechtigkeit und Gleichheit” der Lateinamerikanischen Fakultät der Sozialwissenschaften (Flacso) in Montevideo vorgestellt wurden, beweisen das.

Gleichzeitig sind Frauen die resilienteren Krisenmanager*innen

So präsentierte die Wissenschaftlerin Yolanda Fontanil Gómez von der Universität in Oviedo (Spanien) in diesem Rahmen die zentralen Ergebnisse der Studie “Emotionale Antworten auf das Erdbeben in Lorca: das Geschlecht als entscheidender Faktor”. In ihrem Vortrag stach heraus, dass die Gefühle “Sicherheit, Vertrauen, Entschlossenheit und Bereitschaft” viel öfter in Erzählungen von Frauen “zu Beginn der Katastrophe, als das Überleben und das Wohlbefinden von Geliebten sichergestellt werden musste” auftauchten, genauso wie “die Gelassenheit und die Ruhe”. “In der Gruppe der Frauen waren Situationen, die Gefühle der Kraft hervorriefen, am stärksten mit emotionaler Ausdauer und der Resilienz verbunden. Auf der anderen Seite waren Kraft, Energie und Belebung unter Männern mit physischer Ausdauer verbunden. Dasselbe trifft auf Männer mit der Befriedigung zu, während bei Frauen diese Emotion mit dem Lerneffekt und der positiven Reflexion aus der Katastrophe verbunden ist”, erklärte die Forscherin.

In Bezug auf die analysierten “negativen Emotionen” der Studie hielt Fontanil Gómez fest, dass die “Unsicherheit, Angst, Schmerz und Leid” am meisten in Erzählungen von Frauen präsent waren. Währenddessen äußerten Männer öfter “Gefühle des Trübsinns wie Ärger, Wut oder Reizung”. Während “Spannung und Unruhe” bei Frauen mit emotionaler Arbeit zu tun hatten und damit, das Umfeld zu beruhigen, so waren diese Gefühle bei Männern eher mit “Rettungsaktionen oder Hilfe” verbunden.

“Frauen retten Essen, Obdach und Wasser“

Ana Gabriela Fernández, Direktorin von Flacso Uruguay und Mitglied des Proyecto Gender, sprach über die Untersuchung “Geschlecht und Führung nach dem Erdbeben und Tsunami in Chile 2010”, die die Führungsstile von Frauen und Männern während der Katastrophe und im Wiederaufbau unter die Lupe genommen hat. “Im Augenblick der Analyse ist die männliche Führung mit der Rettung und dem Aufbau von temporären Bleiben assoziiert. Sie zeichnet sich durch Schnelligkeit, Entschlossenheit und andere Charakteristika aus, die irgendwie die Gestaltung der hegemonischen Männlichkeit bilden”, erklärte Fernández, Doktorin an der Universität Oviedo im Bereich Gender und Diversität. Sie fügte hinzu, dass “Männer vor und nachdem Hilfe von Behörden kam, eine Protagonistenrolle innehaben, um zu sehen, wie sich ihre Familien zurechtfinden und unterbringen. Sie ziehen los, um Übriggebliebenes und Decken zu suchen”.

Währenddessen “entwickeln Frauen Führung in Aufgaben wie der Bereitstellung des Lebensnotwendigen und dem Management von Notfallhilfen”. “Frauen retten Essen, Obdach und Wasser. Ab dem Moment, wo man raus muss, hören sie nicht auf, neugierig zu sein, und der Notfall führt dazu, dass ihre Rolle der Pflegenden erweitert wird. Außerdem organisieren sich Frauen zum gemeinsamen Kochen. Und sie sind es, die Hilfsanträge an die Behörden stellen”, hob die Wissenschaftlerin hervor.

Übersetzung: Patricia Haensel

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