Auf dem Weg zum gescheiterten Staat?

(Berlin, 16. April 2021, poonal/voces nuestras).- Es war ein erwarteter Paukenschlag: Ein New Yorker Gericht hat am 30. März Tony Hernández zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Bruder des honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández war 2018 festgenommen und bereits im Oktober 2019 wegen des Schmuggels von 185 Tonnen (!) Kokain und Waffenbesitzes schuldig gesprochen worden.

Die Verurteilung des Bruders des Präsidenten vertieft Honduras‘ Ruf als Narco-Staat. Immer wieder gibt es auch Anzeichen für die Beteiligung von Polizei und Armee in den Drogenschmuggel. Im Prozess hat die New Yorker Staatsanwaltschaft auch dem Präsidenten selbst Beteiligung am staatlich geförderten Drogenschmuggel vorgeworfen; noch ist er allerdings nicht angeklagt. Mittlerweile haben Dutzende Organisationen der honduranischen Zivilgesellschaft den sofortigen Rücktritt des Präsidenten und aller Spitzenfunktionäre der Regierung gefordert. Doch Juan Orlando Hernández genießt zumindest bis zum Ende seiner Amtszeit im Januar 2022 Immunität.

Interview mit honduranischem Anwalt

Der honduranische Anwalt Joaquín Mejía ist der Ansicht, dass der honduranische Präsident mit dem Machtwechsel in den USA von einem Verbündeten zu einer unerwünschten Person geworden sei. Das sagte Mejía vom jesuitischen Forschungs und Kommunikationszentrum ERIC (Equipo de Reflexión, Investigación y Comunicación) im Interview mit Radio Progreso.

Das von José Peraza geführte Interview wurde im spanischen Original von Voces Nuestras online veröffentlicht und von poonal übersetzt.

Radio Progreso: Joaquín Mejía, warum ist Zentralamerika immer wieder in den internationalen Medien?

Joaquín Mejía: Unsere Region, das Triángulo Norte oder nördliche Dreieck (Guatemala, El Salvador und Honduras, die Red.) ist ja eigentlich schon seit den 70er Jahren in den Schlagzeilen. Mit den Bürgerkriegen, den Friedensabkommen und dem Scheitern derselben. Die neoliberalen Reformen seit den 90ern, dann das große Thema Migration. Hurrikane, die Jugendbanden. Das ist sehr schade. Eigentlich ist die Region ja sehr reich, sehr schön. Aber leider kommen aus unserer Region hauptsächlich Nachrichten über Gewalt, Migration und Flucht, und die Armut.

Die gleichen Nachrichten seit vierzig Jahren?

Das kann man so sagen. Vor vierzig Jahren flohen die Menschen vor dem Krieg. Vor den Maßnahmen im Rahmen der sogenannten Nationalen Sicherheit. Und auch heute migrieren die Menschen, weil sie dazu gezwungen sind. Sie fliehen vor einem anderen Krieg: Der eben mit der institutionellen Gewalt zu tun hat, vor der alltäglichen Gewalt, die heute viel schlimmer ist, als vor vierzig Jahren – und vor der unsichtbaren Gewalt, vor Hunger und Elend.

Welche Rolle spielen die USA im nördlichen Dreieck Guatemala, El Salvador und Honduras?

Die Rolle der USA in der Region war immer schon, sagen wir mal: bipolar. Auf der einen Seite spielt es eine wichtige Rolle, ob wir uns weiter in Richtung Demokratie entwickeln oder nicht. Aber auf der anderen Seite haben die USA über ihre Politik und ihre geopolitischen Interessen in der Region Kriege angezettelt und diktatorische Regimes eingesetzt. Das sehen wir auch aktuell in Honduras. Präsident Juan Orlando Hernández hat sich auf illegale Weise wiederwählen lassen. Er hat die Wahlen durch Betrug gewonnen. Und wer dem ganzen den Segen erteilt hat, waren die Vereinigten Staaten. Nun haben wir dort eine neue Regierung und es ändert sich ein bisschen die Logik. Juan Orlando Hernández, der noch vor einem Jahr der Liebling der USA war, ist nun ein Aussätziger. Nicht nur für die USA, sondern für die gesamte internationale Gemeinschaft.

Und warum ist Juan Orlando Hernández heute nicht mehr so gern gesehen?

Sein großer Fehler war etwas, was vielen autoritären Personen passiert: Zunächst schaffen sie sich quasi absolute Macht. In den 14 Jahren, die Juan Orlando Hernández regiert, entweder als Parlamentspräsident oder als Präsident, hat er Honduras in eine Autokratie verwandelt. Im Bericht des auswärtigen Ausschusses des US-Kongresses vom April 2020 steht: Honduras ist ein diktatorisches Regime, in dem eine Person alle Institutionen kontrolliert.

Wie sieht denn die Politik der US-Regierung von Joe Biden in der Region aus?

Zentralamerika und speziell Honduras haben eine privilegierte Position in der Region. Honduras liegt im Zentrum des Kontinents. Es befindet sich auch im Zentrum der Karibikküste. Honduras ist also ein Land, durch das alle durch müssen: Die Migrant*innen, der Waffenhandel, der Organhandel, der Drogenhandel. Diese privilegierte Lage ist auch ein Fluch. Honduras ist wegen seiner Lage enorm wichtig für die Interessen der USA. Heute, was die Drogenrouten und die Migration angeht; und früher, wegen der Guerilla- und Befreiungsbewegungen in der Region. Heute wollen sie die Drogenrouten kontrollieren. Und man fragt sich schon: wie kann es sein, dass das mächtigste Land der Welt nicht in der Lage ist, weder die Migration noch die Drogenlieferungen Richtung USA zu unterbinden?

Welche Interessen haben die Länder Zentralamerikas? Wie sollten sie sich den USA gegenüber verhalten?

Ich denke natürlich, dass es bei den Migrant*innen, die vor Gewalt, Armut und politischer Verfolgung fliehen, gemeinsame Interessen der USA und Zentralamerikas gibt. Wir müssen also erreichen, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Und die Fluchtursachen haben mit Gewalt zu tun: die allgemeine Gewalt und die institutionelle Gewalt, aber auch die Gewalt durch Hunger und Elend. Leider hatten die USA bisher kein Konzept zum Umgang mit Migration; es ging dabei vor allem um die nationale Sicherheit, also darum, die Grenzen zu militarisieren, um die Migrationsströme zu stoppen. Aber die Fluchtursachen haben nie eine Rolle gespielt, und die liegen auch in der Unterstützung für Regimes, die nicht nur die Menschenrechte verletzen, sondern auch noch korrupt sind. Und deshalb werden die Hilfszahlungen nicht für die Entwicklung verwendet, sondern fließen direkt in die Taschen der korrupten politischen Elite.

Welche Themen sollten auf der Agenda zwischen Zentralamerika und den USA stehen?

Es sind meiner Meinung nach vor allem zwei Themen, die aber mit der Migration und der Gewalt zusammen hängen: Straflosigkeit und Korruption. Wenn wir diese beiden großen Probleme in den Griff kriegen, wird der Rechtsstaat mit seinen Institutionen gestärkt, und die öffentlichen Gelder gelangen dahin, wo sie benötigt werden; sie fließen in Entwicklung und Fortschritt.

Der Sondergesandte der USA für Zentralamerika hat El Salvador und Guatemala besucht, nicht aber Honduras. Welche Nachricht senden die USA damit an die Regierung von Juan Orlando Hernández?

Wie ich schon gesagt habe: dass Juan Orlando Hernandez als Aussätziger gilt. Und das ist übrigens auch nichts Neues: Denn obwohl die Regierung von Donald Trump ihn als Verbündeten angesehen hat, hatten die US-Demokraten vor ein paar Jahren eine interne Regelung, keine gemeinsamen Fotos mit Juan Orlando Hernández zu machen. Als Nancy Pelosi 2019 nach Honduras kam, hat sie sich nicht mit Juan Orlando Hernández getroffen! Und jetzt sind die Demokraten in den USA an der Macht. Und mehr noch, was in den Gerichtsverhandlungen in New York ans Licht gekommen ist, war für die USA ein Schlag ins Gesicht. Die US-Antidrogenbehörde hat in einem Bericht festgestellt, dass Honduras nicht mehr nur ein Transitland für Drogenschmuggel ist, sondern dass dort auch selbst Drogen produziert werden, wie Kokain und chemische Drogen. Außerdem ist Honduras eines der wichtigsten Länder für Geldwäsche aus dem Drogenhandel.

Was bedeutet es für die Honduraner*innen, dass die USA nicht die internen Probleme von Honduras lösen können?

Das entspricht dem, was der Friedensfonds (der Organisation Amerikanischer Staaten) festgestellt hat, nämlich: Honduras läuft Gefahr, ein gescheiterter Staat zu werden. Ein weiterer Bericht besagt, dass Honduras eines der Länder mit den schwächsten demokratischen Institutionen weltweit ist. Es handelt sich also um einen Staat, dessen Institutionen nicht in der Lage sind, diese Probleme zu lösen.

Man könnte also meinen, dass man die Probleme nur von außen lösen kann. Ich glaube allerdings, dass die honduranische Gesellschaft da eine große Verantwortung hat. Ich denke, das Beste wäre eine breite Bürgerrechtsbewegung, zusammen mit den politischen Parteien. Aber wenn jetzt nicht alle aktiv werden – die Parteien, die Unternehmer*innen, die sozialen Bewegungen und so weiter – dann wird die Diktatur weitergehen. Die Diktatur von Juan Orlando Hernández ist im Moment stark geschwächt. Man könnte sagen, die Sterne stehen günstig für die Honduraner*innen: Mit dem Machtwechsel in den USA hat die honduranische Regierung keine Unterstützung mehr, und die Gerichtsverhandlungen in New York haben sie zusätzlich geschwächt. Andererseits ist dadurch das Regime von Juan Orlando Hernandez auch besonders gefährlich.

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