Soja-Boom gefährdet indigene Gebiete

(Asunción, 27. Dezember 2021, servindi) – Um der Sojaproduktion neues Terrain zu eröffnen, wurden in den letzten Monaten 725 Familien aus ihren Gebieten vertrieben. Insgesamt 12 indigene Gemeinden waren betroffen. Der Traum von der Tierra sin Mal, dem Land ohne Böses, wird immer unerreichbarer.

4. November, im Departement Alto Paraná in der Guaraní-Gemeinde Ka’a Poty 1 („Blume der Yerba Mate“), oder auch Tape Yke colony („Am Straßenrand“). In den frühen Morgenstunden fahren mehrere LKWs und Streifenwagen vor. Rund hundert Polizisten in Kampfmontur stürmen die Häuser der 24 indigenen Familien der Volksgruppe der Avá Guaraní, um ihren Räumungsauftrag durchzusetzen. Sie treffen hauptsächlich auf Frauen und Kinder.

 

 

Wem gehört das Land?

Wie 2008 im öffentlichen Register vermerkt, hatte die Behörde Instituto Paraguayo del Indígena das Land bereits 1996 erworben, um es der indigenen Gemeinschaft zu übergeben. Versuche, das Land zu verteidigen, blieben angesichts der Übermacht der Polizei zwecklos. Initiiert hatte die Räumungsaktion die ehemalige Staatsanwältin von Ciudad del Este, Liz Carolina Alfonzo. Diese behauptet, gemeinsam mit mehreren Sojaproduzenten Eigentümerin des Territoriums zu sein. „Sie hatten uns schon im Juni gewaltsam vertrieben, uns geschlagen, unsere Häuser verbrannt, unsere Ernten zerstört und sogar die Kirche und die Schule demoliert. Sie haben uns am Ufer des Flusses Acaray ausgesetzt, unter freiem Himmel. Nicht einmal das Essen für die Schulkinder haben sie uns gelassen. Eine schwangere Frau verlor ein paar Tage nach dem Überfall ihr Baby, und ein Kind erkrankte an Lungenentzündung“, erzählt die Ortssprecherin Marta Díaz.

„Sie nehmen unser Land und zerstören unseren gesamten Besitz“

Auf dem Blog kaapotyresiste.medium.com berichten die Betroffenen: „Die Polizei und der private Wachschutz haben die 30 Häuser unserer Gemeinde zerstört, ebenso unsere Grundschule, eine vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft anerkannte Bildungseinrichtung, wo insgesamt 48 Schüler*innen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene unterrichtet wurden. Fünf Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche mit Maniok-, Süßkartoffel-, Zuckerrohr- und Ananasplantagen, Bananenstauden und Kumanda-Yvyrai-Pflanzen für unseren Bedarf und für den Verkauf, wenn wir zuviel hatten, alle Gemüsegärten der Familien mit Salat, Tomaten, Möhren, Kohl, Lokota, Zwiebeln und Radieschen, unser 20×100 Meter großes Gewächshaus, das wir mit Unterstützung der Regierung von Alto Paraná errichtet hatten – alles haben sie kaputtgemacht. Wir konnten überhaupt nichts mitnehmen, nicht einmal Lebensmittel, Geschirr oder Besteck. Auch nicht die Bücher, Hefte und Schulsachen für unsere Kinder; den kleinen Motor oder den Wassertank. Alle Kocher, Fernseher und Kühlschränke, ein Motorrad mit kaputtem Anlasser; das Mobiliar aus der Schule, alles mussten wir zurücklassen.“

Protestcamp vor dem Kongressgebäude

Die indigene Bevölkerung von Ka’a Poty zog mit ihren Zelten nach Asunción auf die Plaza de Armas vor den Kongress, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Nach mehreren Demonstrationen und Kundgebungen erteilte die Richterin Alejandra Magalí Zavala den Menschen die Erlaubnis, auf ihr Land zurückzukehren. Da jedoch verschiedene Privatpersonen und Geschäftsleute das Land für sich beanspruchen und ebenfalls entsprechende Eigentumstitel vorlegten, fiel es ihnen nicht schwer, einen anderen Richter auf ihre Seite zu ziehen, der einen neuen Räumungsbefehl ausstellte. Die Räumung wurde unverzüglich umgesetzt, so dass die indigenen Familien seit Ende Dezember wieder vor dem Kongress kampieren. Dass die Eigentumsrechte für ein und dasselbe Gebiet mehrfach vergeben werden, ist in Paraguay im Übrigen keine Seltenheit. Die indigene Avá-Guaraní-Gemeinschaft von Ka’a Poty hat nun gegen den Staat Paraguay Klage wegen illegaler Vertreibung und Verletzung ihrer Grundrechte bei den Vereinten Nationen und der Menschenrechtsabteilung des Obersten Gerichtshofs eingereicht.

Keine Tierra sin Mal

Die Suche nach dem Paradies auf Erden, der Tierra sin Mal, ist eine der bekanntesten mythischen Utopien der indigenen Völker Paraguays. „Die Tupi-Guarani glaubten schon immer an das Yvymarae’ÿ, das wunderbare Land ohne Übel, wo das Korn von selbst wächst und die Menschen unsterblich sind. Deshalb befand sich ihr Volk in einem permanenten Zustand des Exodus. „Die Hoffnung, eines Tages das mythische Eden zu erreichen, hielten die Schamanen aufrecht. Die so genannten karai besaßen die Macht, sich unsichtbar zu machen, Tote zum Leben zu erwecken und Frauen ihre Jugend zurückzugeben“, erzählt der Guaraní-Schriftsteller und Dichter Mario Rubén Álvarez. Der Yvymarae’ÿ, so die Anthropologin Hélène Clastres in ihrem Werk Tierra sin Mal. Die Prophezeiungen der Tupi-Guarani, sei ein paradiesischer „unzerstörbarer Ort, an dem die Erde von alleine Früchte hervorbringt und wo es keinen Tod gibt“. Heute ist die Tierra sin Mal unerreichbarer den je. „In den letzten Monaten wurden insgesamt 12 Zwangsräumungen indigener Gemeinden registriert, sie werden noch häufiger geräumt als die übrigen bäuerlichen Ansiedlungen. Mindestens sechsmal waren bewaffnete Zivilisten beteiligt. Insgesamt wurden 725 Familien, also Kinder, Jugendliche und Erwachsene, ihrer Heimat beraubt“, berichtete die Koordinationsstelle für Menschenrechte Codehupy (Coordinadora de Derechos Humanos del Paraguay).

Sojaproduzenten heuern bewaffnete Zivilisten an

Wie der Verband Codehupy berichtet, hatten Staatsanwaltschaft und Nationalpolizei am 28. Oktober mehrere Familien in Tavaí, Caazapá von ihren Territorien vertrieben. Für Aufsehen sorgte auch die gewaltsame Vertreibung von 15 indigenen Familien Yvypyte des Paĩ Tavyterã-Volkes aus dem tekoha guasu („großes Haus“), wie sie selbst ihre Gebiete nennen. Die Räumung hatten hatten Viehzüchter und Sojaproduzenten initiiert und dazu bewaffnete Zivilisten angeheuert, möglicherweise bestehen auch Verbindungen zum Drogenhandel. Es wird außerdem vermutet, dass der ehemalige Bürgermeister Eddy Neufeld Hildebrand in die Sache verwickelt ist. Am 18. November 2021 hatte die Polizei schon 70 Mbya Guaraní-Familien der Gemeinde Hugua Po’i in Caaguazú vertrieben. „Sie verbrannten die Häuser, die Ernten und die heilige Stätte der Mbya, das Opy. Besonders für die Mütter war der Angriff hart, denn sie übernehmen die Versorgung und Pflege der Familie. Einige blieben am Straßenrand im Regen stehen, ihre weinenden Kinder im Arm. Wie das Online-Nachrichtenmagazin El Surtidor berichtete, hatte ein Gerichtsvollzieher den Räumungsbefehl zu den Familien gebracht, hinter sich einen ganzen Trupp von Polizisten, einen Wasserwerfer und einen Hubschrauber. Die Firma Sociedad Civil Tres Palmas erhebt Anspruch auf das Land, die indigene Gemeinde betrachtet das Gebiet jedoch als ihr angestammtes Terrain. Auch der Friedhof ihrer Vorfahren befindet sich darauf.

Katholische Verbände kritisieren Kriminalisierung der indigenen Gemeinden

Seit einer Gesetzesänderung im September 2021 werden Besetzungen mit härteren Strafen belegt. Das Strafmaß für unbefugtes Betreten von Privateigentum beträgt nun bis zu zehn Jahre Gefängnis. Nach Ansicht von Codehupy hat der Nationalkongress es gezielt darauf abgesehen, den Kampf um Land stärker zu kriminalisieren. Bischöfe und katholische Verbände nutzten daraufhin die großen Feierlichkeiten zu Ehren der Jungfrau von Caacupé in der ersten Dezemberwoche, um die zunehmenden und immer brutaler werdenden Räumungen anzuprangern. „Es tut weh zu sehen, wie die Würde der ersten Einwohner des heutigen Paraguay mit Füßen getreten wird. Sie sind die wahren Eigentümer dieser Gebiete, doch der Staat handelt immer im Interesse der Großgrundbesitzer, der Agrarindustrie, der multinationalen Konzerne und natürlich des Drogenhandels und denkt nicht daran, die Rechte der Indigenen zu verteidigen“, schimpft Raquel Peralta, Nonne und Präsidentin des Gläubigenverbands Paraguays. In einem offenen Brief an die Behörden stellt die paraguayische Bischofskonferenz die Rechtmäßigkeit der Vertreibungen in Frage, außerdem fordert sie die Achtung des Rechts auf Land und empfiehlt, das Gesetz, das das Betreten privater Gebiete mit mehrjährigen Haftstrafen belegt, zurückzunehmen. „Wir sind empört angesichts der jüngsten Ereignisse und fordern die nationalen Behörden auf, die Rechte der indigenen Völker und das Recht unserer Landsleute auf Boden zu schützen“, heißt es dort. „Alle Menschen in diesem Land haben ein Recht auf Gerechtigkeit ohne Willkür. In diesem Sinne bitten wir um eine Überprüfung der Räumungsferfahren“, so die Bischöfe weiter.

„Unsere Rechte als Indigene sind keinen Pfifferling wert“

Ihr „weißer“, offizieller Name für die paraguayische Bürokratie ist Marta Díaz; ihr indigener Name: Kuña Ñembo’ete, was soviel bedeutet wie „wahre Frau“. Sie ist die wichtigste Anführerin der Gemeinschaft Ka’a Poty, die schon zweimal von ihrem Land vertrieben wurde. Sie und ihre Gemeinde wohnen nun in armseligen Zeltbaracken vor dem Kongressgebäude in Asunción. Von hier aus organisiert María / Kuña Ñembo’ete immer wieder Demonstrationen durch die Straßen der Stadt, mit denen die Menschen ihren Platz in der Welt einfordern. „Sie respektieren unsere Rechte nicht. Es sind Privatpersonen, die Soja herstellen, einige mit brasilianischer Staatsangehörigkeit, und sie beanspruchen das Land, das die Staatliche Indigenenbehörde für die indigenen Menschen gekauft hatte. Wir haben ein Anrecht auf dieses Land, sie hingegen betrachten sich ebenfalls als Eigentümer. Eigentlich sollten die Rechte der indigenen Völker Vorrang haben, aber weil sie über viel Geld verfügen und Einfluss auf die Behörden ausüben können, haben sie das Recht und die Polizei auf ihrer Seite, und uns verjagen sie aus den Gebieten, als wären wir Tiere“, resümiert Marta / Kuña Ñembo’ete. Neben ihr spielen die Kinder im Matsch. Ein heftiger Sommerregen hat den Boden aufgeweicht, nun ist es überall schlammig wie ein Schweinestall. Die extreme Armut kontrastiert mit dem Luxus des modernen Kongressgebäudes, das wegen seiner Form scherzhaft als fliegende Untertasse bezeichnet wird. „12 Privatpersonen und Unternehmen behaupten, dass unser Land ihnen gehört, darunter die ehemalige Staatsanwältin Liz Carolina. Sie geht mit dem Justizsystem um, als wäre es ihr Eigentum. Und dann gibt es noch die großen Sojaproduzenten aus Brasilien, die in unserem Land das Sagen haben. Diese Gebiete wurden schon von unseren Großeltern bewohnt, und das wird nirgendwo berücksichtigt. Sie kommen und brennen unsere Häuser nieder, zerstören unsere Felder. Unsere Rechte als indigene Völker sind keinen Pfifferling wert“, empört sich Marta. Jedoch denke sie nicht daran aufzugeben, sondern sei entschlossen, weiterzukämpfen. Nicht weit entfernt auf der Plaza Uruguaya haben sich indigene Mby’a Guaraní angesiedelt, die ebenfalls aus ihren Gemeinden im Departement Caaguazú vertrieben wurden. Doch obwohl sie ihre Misere unübersehbar an die Öffentlichkeit getragen haben, ist es, als ob sie unsichtbar wären.

Übersetzung: Lui Lüdicke

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