
(Rio de Janeiro, 28. Oktober 2025, agência brasil via agencia pulsar).- Barrikaden und Feuer auf den Straßen. Blockierte Hauptverkehrswege. Auswirkungen auf öffentlichen Transport, Schulen, Universitäten und Gesundheitseinrichtungen. Brasiliens zweitgrößte Metropole Rio de Janeiro erlebte am 28. Oktober einen Dienstag voller Gewalt, der mit dem Start der Operação Contenção („Operation Eindämmung“) in den Favelas Complexo do Alemão und Complexo da Penha im Norden der Stadt, an der 2500 Zivil- und Militärpolizist*innen beteiligt waren, begann. Laut der Regierung des Bundesstaates bestand das Ziel darin, Verhaftungen vorzunehmen und den Vormarsch der kriminellen Vereinigung Comando Vermelho („Rotes Kommando“) einzudämmen. [Das CV ist eine der größten Verbrecherorganisationen Brasiliens und vor allem im Drogenhandel aktiv – Anm. d. Übers.]
Bewegungen der Favelas betonen jedoch, dass es nötig sei, die ungleichen Auswirkungen der Polizeieinsätze auf die Randgebiete in einen Zusammenhang zu setzen. Nach Ansicht des Favela-Aktivisten und Direktors der „Initiative für das Recht auf Erinnerung und Rassengerechtigkeit“, Fransérgio Goulart, ist das, was man gerade sieht, ein Krieg innerhalb der Gebiete der Schwarzen und Armen.
Das größte staatliche Massaker
„Auffällig sind die gefesselten schwarzen Leichen. Die auf den Boden der Favela geworfenen Toten, abgesehen von den im Wald vermissten Menschen. Die Polizei geht in der Zona Sul („Südzone“) nicht auf diese Art vor. Jetzt gerade bin ich mit dem Bus durch die Gegend gefahren und der Strand war voller Menschen. In schwarzen Gegenden geht die Polizei seit jeher anders vor“, sagt Fransérgio.
Bei Anbruch der Nacht wies die Bilanz 64 Todesopfer infolge des Polizeieinsatzes auf, darunter Zivilpersonen und Angehörige der Sicherheitsbehörden. Damit ist dieser Polizeieinsatz der tödlichste in der Geschichte des Bundesstaates Rio. Die tatsächliche Zahl der Toten kann jedoch noch erheblich höher sein. [Bis zum Morgen des 30. Oktober wurden 121 Todesopfer offiziell bestätigt, darunter vier Polizisten und 117 Zivilpersonen. – Anm. d. Übers.]
„Ich finde sehr befremdlich, dass sich sogar die großen Medien diesem Diskurs anschließen, der viel Gewicht darauf legt, ob die Getöteten Kriminelle sind oder nicht, eine stark vereinfachenden Einteilung. Wir haben mindestens 64 Todesopfer durch einen Polizeieinsatz. Das würde auf der ganzen Welt einen Widerhall auslösen, eine Erschütterung bewirken, eine Sensibilisierung hervorrufen. Und der Gouverneur kommt ungeschoren davon. Durch seine Politik der öffentlichen Sicherheit wurden 64 Menschen hingerichtet“, fügt Fransérgio hinzu.
Tod als politische Maßnahme
Fransérgio kritisiert auch die hohe Summe des öffentlichen Haushaltes, die für polizeiliche Angriffe vorgesehen ist. „Der für das Jahr 2026 vorgesehene öffentliche Haushalt für die Polizei im Bundesstaat Rio de Janeiro beträgt 19 Milliarden Real (etwa drei Milliarden Euro). Und diese Mittel dienen einer Politik, die Tod produziert. Nicht dafür, eine Polizei zu fördern, die auf Aufklärung anstelle Konfrontationen setzt. Wie hoch sind die direkten und indirekten Kosten dieser Polizeioperation für die öffentlichen Kassen? Wie hoch sind die Kosten einer Stadt im Stillstand, des erzeugten Chaos?“, fragt er.
Eine gemeinsame Erklärung von 27 zivilgesellschaftlichen Organisationen kritisiert die Operation, die als die tödlichste in der Geschichte von Rio de Janeiro gilt. Vor dieser hatte eine Operation im Jahr 2021 in Jacarezinho, der drittgrößten Favela Rios, 27 zivile Todesopfer hinterlassen. „Sicherheit schafft man nicht durch Blutvergießen“, meinen die Organisationen, und dass die Ergebnisse des Polizeieinsatzes vom Dienstag „das Scheitern und die strukturelle Gewalt der Sicherheitspolizei im Bundesstaat“ zur Schau stellten.
Laut der Erklärung haben die Favelas von Rio de Janeiro während der fast 40 Jahre seit Inkrafttreten der Brasilianischen Verfassung miterlebt, wie sich eine Sicherheitspolitik konsolidiert habe, die auf Gewalt und Tod basiere und unter dem Deckmantel von Bezeichnungen wie „Krieg“ oder „Widerstand gegen die Kriminalität“ betrieben werde. Die Maßnahmen seien selektiv und gegen schwarze und verarmte Bevölkerungsgruppen gerichtet.
Abgesehen davon, dass es keine Anzeichen dafür gebe, dass die Aktionen die Macht der kriminellen Gruppierungen reduzieren würden, führten sie zu Unsicherheit und Angst innerhalb der Bevölkerung und unterbrechen den normalen Tagesablauf Tausender von Familien. Der Tod könne nicht wie eine Maßnahme der öffentlichen Politik behandelt werden, meinen die Organisationen.
„Was wir heute miterleben, ist der Kollaps jeglicher Verpflichtung zur Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte: Der Staat ersetzt eine auf Rechten basierende öffentliche Sicherheit durch Militäraktionen im großen Stil. Unter dem Vorwand eines „Krieges gegen Drogen“ wird ein Zustand anhaltender Unsicherheit errichtet, der gegen die schwarze und arme Bevölkerung in den Favelas gerichtet ist. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass eine staatliche Politik, die angeblich auf den Schutz der Gesellschaft ausgerichtet ist, weiterhin auf Blutvergießen beruht“, heißt es in einem Absatz der Erklärung.
Die Erklärung wurde unterschrieben von Organisationen wie Amnesty International Brasilien, CIDADES – Stadtforschungszentrum der Staatlichen Universität von Rio de Janeiro, Initiative für das Recht auf Erinnerung und Rassengerechtigkeit, Nationales Netzwerk der Volksanwälte – RENAP RJ und viele weitere.
Gouverneur verteidigt Polizeieinsatz
Der rechtsreligiöse Gouverneur von Rio de Janeiro, Cláudio Castro, verteidigte den Polizeieinsatz und bekräftigte, dass er, falls es nötig sei, die Grenzen und Befugnisse der Regierung des Bundesstaates überschreiten würde, um „unsere Mission zu erfüllen, unserer Bevölkerung zu dienen und sie zu schützen“. Um die Operation zu rechtfertigen, forderte der Gouverneur mehr Bundesunterstützung bei der Bekämpfung der kriminellen Organisationen, die im Bundesstaat und anderen Gebieten Brasiliens tätig sind. Castro zufolge agiere der Bundesstaat „allein in diesem Krieg“.
Keine Anfrage abgelehnt
Der Minister für Justiz und öffentliche Sicherheit der brasilianischen Regierung, Ricardo Lewandowski, sagte am Abend des 28. Oktobers, dass er von Gouverneur Castro keine Anfrage bezüglich einer Unterstützung bei der Operação Contenção in den Vierteln Alemão und Penha erhalten hätte. Der Bundesstaat hatte zu diesem Zeitpunkt mehr als 60 Tote öffentlich bestätigt.
„Ich habe als Minister für Justiz und öffentliche Sicherheit keinerlei Anfrage vom Gouverneur von Rio de Janeiro bezüglich dieser Operation erhalten. Nicht gestern, nicht heute, überhaupt nichts.“ Er fügte hinzu, keine Anfrage des Gouverneurs Castro sei abgelehnt worden. Der Minister bezeichnete die Operation als „blutig“ angesichts der Todesfälle von Sicherheitsbeamten und Unschuldigen.
Der Minister erinnerte daran, dass der Gouverneur von Rio erst Anfang dieses Jahres im Ministerium für Justiz und öffentliche Sicherheit war und die Überführung von Anführern krimineller Gruppen in brasilianische Hochsicherheitsgefängnisse beantragt hatte. „Dem Antrag wurde stattgegeben. Keine Anfrage wurde abgelehnt“, betonte er.
Übersetzung: Christa Röpstorff
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