(São Paulo, 05. Dezember 2019, Brasil de Fato).- In der Peripherie von São Paulo wurden bei einem Polizeieinsatz neun Schwarze Jugendliche getötet. Demonstrant*innen fordern Gerechtigkeit.
Mit tränennassen Gesichtern reihten sich am Mittwoch den 4. Dezember erschöpfte Demonstrant*innen vor dem Ministerium für öffentliche Sicherheit des Bundesstaates São Paulo in der gleichnamigen Hauptstadt auf. Sie protestieren gegen die Militärpolizei in Paraisópolis, deren Einsatz am 1. Dezember im Süden der Stadt neun Schwarze Jugendliche das Leben gekostet hat. Nach einem Arbeitstag ohne Pause für Freizeit oder Erholung machten sich die Protestierenden direkt auf den Weg zum Ministerium, um – wieder einmal – Gerechtigkeit einzufordern. „Schluss mit dem Blutbad, ich will das Ende der mörderischen Militärpolizei“, rufen die Schwarzen Demonstrierenden.
In der Geschichte dieses Landes ist der Tod von Schwarzen etwas ganz Natürliches
Douglas Belchior ist erschöpft. „Das ist jeden Tag so“, klagt er vor dem Interview. Belchior ist Mitglied der Schwarzen Koalition für Rechte, die zum Protest aufgerufen hatte. Nach Ansicht des Aktivisten haben Teile der Gesellschaft die Fähigkeit verloren, sich zu empören. „In der Geschichte dieses Landes ist der Tod von Schwarzen etwas ganz Natürliches. Der Tod von Schwarzen Jugendlichen in der Favela bewegt die Gesellschaft nicht mehr“, kritisiert Belchior und erinnert daran, dass das Massaker von Paraisópolis sich in eine lange Liste von „Provokationen des Staates“ einreiht. „Die öffentliche Sicherheitspolitik ist genozidal, anhaltend und alltäglich und nicht unbedingt an die jeweilige Regierung gebunden, obwohl sie unter den Mandaten von João Dória und Jair Bolsonaro offensichtlicher ist“, schließt Belchior. Die Grausamkeit der Militärpolizei ist in Paraisópolis keine Neuigkeit, dennoch hat seit November eine Verschärfung stattgefunden.
„Es gibt so viel Gewalt, und wer Mutter ist, kann davon nicht unberührt bleiben.“
Zwischen den Flaggen verschiedener Bewegungen steht die Krankenpflegerin Eliana Prado, Mutter von drei Kindern und Bewohnerin der Gemeinde M’boi Mirim, ebenfalls in der Peripherie im Süden São Paulos. Die Angestellte, für die die Arbeit um acht Uhr begann, meint, das Massaker von Paraisópolis könne „das Bewusstsein vieler Leute wecken“.
„Ich arbeite in einem Krankenhaus hier in der Nähe und wusste nichts von der Demonstration. Dann habe ich herausgefunden, dass es wegen der Jungs in Paraisópolis war. Meine Söhne sind Schwarz und es macht mir Angst, dass sie nachts auf dem Weg nach Hause der Polizei begegnen könnten“, erzählt Prado. „Es gibt so viel Gewalt, und wer Mutter ist, kann davon nicht unberührt bleiben.“
Bianca Santana, Autorin und Journalistin, ebenfalls Mitglied der Schwarzen Koalition für Rechte, erklärt und bedauert die Todesserie in den Peripherien. „Neun Tote in Paraisópolis, einer in Heliópolis und so viele weitere in den Peripherien des Landes. Das passiert, weil die Politik in Brasilien auf die Auslöschung der Schwarzen Bevölkerung abzielt ‑ durch die Unterstützung der Polizeigewalt oder indem sie uns den Zugang zur Gesundheitsversorgung vorenthält oder uns hinsichtlich der Sozialversicherung entrechtet. Der Genozid ist bereits im Gange“, erklärt sie.
Es ist schon nach 21 Uhr, als sich die Protestierenden, müde von der Arbeit und vom Beklagen des Blutbades, auf den Weg nach Hause machen. Am nächsten Tag geht die Routine weiter. Blutbad und Arbeit.
Demonstrant*innen fordern: „Schluss mit dem Blutbad!“ von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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