Andauernder Konflikt zwischen den Mapuche und Benetton

Von Fernanda Sández

(Lima, 10. April 2017, noticias aliadas).- In Mapundungun, der Sprache des indigenen Volkes der Mapuche, das im äußersten Süden des amerikanischen Kontinents lebt, gibt es lediglich ein Verb, um das Weggehen und Zurückkommen zu beschreiben: amutun. Und womöglich ist dies auch kein Zufall, ist es doch diese indigene Gruppe – die niemals das Land komplett aufgegeben hat, das ihnen die Kolonist*innen vor mehr als 100 Jahren entrissen hatten – und die beständig ihr Land zurückfordert.

Ursprüngliches Territorium zurückfordern – Rückkehr nach Hause

Der letzte Vorfall dieser Art geschah am Morgen des 10. Januar in der Mapuche-Gemeinde von Pu-Loof, als 200 bewaffnete Beamte der Gendarmería aus der Provinz Chubut, im Herzen Patagoniens, in der Ortschaft Cushamen erschienen, die in der Gegend um Vuelta del Río gelegen ist. Die Polizisten kamen einer Anordnung des Bundesrichters Guido Otranto nach. Der Richter hatte verfügt, eine kleine Gruppe indigener Familien von ihrem Wohnort zu vertreiben. Diese Familien hatten sich im März 2015 dort mitten in der Steppe angesiedelt, um ihr ursprüngliches Territorium zurückzufordern, welches sich seit 1994 in Besitz des italienischen Unternehmers Luciano Benetton befindet, dem Hauptaktionär des Unternehmens Compañía de Tierras del Sud Argentino.

Seit ihrer Ankunft vor zwei Jahren ist die Mapuche-Siedlung, die sich selbst Pu-Lof en Resistencia Vuelta del Río (zu Deutsch etwa: Pu-Lof im Widerstand) nennt, im Konflikt mit der Provinzregierung, die nicht möchte, dass sich dort Indigene ansiedeln. Aus Sicht der Gemeinde Pu-Lof handelt es sich dabei weder um ein „Eindringen“ noch um eine „Besetzung“, sondern um eine  „Rückkehr nach Hause“. Stattdessen geht es den indigenen Familien um eine Anerkennung ihres Status als Mapuche, als Grundlage zur Rückerlangung ihres Territoriums.

Die Anwältin Sonia Ivanoff, die die Mapuche vertritt, beschreibt die Situation wie folgt: „Den Ursprung dieses ganzen Konflikts muss man gegen Ende des 19. Jahrhunderts suchen, als oligarchische Großgrundbesitzer entschieden, Territorien, die seit Urzeiten von indigenen Familien bewohnt worden waren, in den entstehenden argentinischen Staat einzuverleiben. Chubut wurde im Austausch gegen Staatsanleihen in englischen Pfund an englische Firmen übergeben. Wie wir zu sagen pflegen, wurden Gebiete mitsamt Indigenen übergeben, und das ist es, worauf sich die Lofs beziehen [lof ist der Name der sozialen Organisationseinheit der Mapuche]. Sie beanspruchen das Land nicht nur aufgrund der Rechte, die heute indigenen Völkern zugesprochen werden, sondern auch, weil Mapuche und Tehuelche heute unter besorgniserregenden Bedingungen leben. Das ist auch der Grund, weshalb mehrere Mapuche-Familien im März 2015 entschieden haben, Teile dieses Territoriums zurückzufordern, aus dem sie ursprünglich vertrieben worden waren und das dann englischen Unternehmen überlassen und schließlich von den Benetton-Brüdern gekauft worden war.“

Trotz mehrmaliger, häufiger gewaltsamer Versuche, die indigene Gruppe zu vertreiben, ist sie dort geblieben und hat Plakate aufgestellt, auf denen „Mapuche-Territorium“ und „Benetton raus!“ geschrieben steht.

Repression – ‚Schießt, schießt, wir müssen einen töten‘

„Bei dem Einsatz setzte die Gendarmería einen Laster, ein Löschflugzeug, eine Drohne und mehr als 200 Beamte ein“, teilte der Anwalt Carlos María González Quintana von der Permanenten Versammlung für Menschenrechte APDH gegenüber Noticias Aliadas mit. González Quintana war während dem Polizeieinsatz im Januar zugegen. Die Begründung für ein derartiges Polizeiaufgebot lautete, dass die als „La Trochita“ bekannte alte Eisenbahnstrecke von den Mapuche blockiert worden war. Diese Eisenbahn wird heute als Bahn für Tourist*innen betrieben.

Laut Gonzalez Quintana „gibt es in Pu-Loof nur 18 Personen, darunter vier Frauen und neun Kinder“.

Der Verband der Bürgerversammlungen UAC (Unión de Asambleas Ciudadanas), dem soziale Organisationen des ganzen Landes angehören, beklagte in einem Kommuniqué, dass in den zehn Stunden, in denen die Einsatzkräfte vor Ort waren, die Indigenen „ komplett isoliert [waren] und es aufgrund der gewaltsamen Situation, in der sie sich befanden, ihre Menschenrechte in keinster Weise beachtet wurden“. Außerdem seien die Familien „hochgradig rassistischen und entwürdigenden Behandlungen“ ausgesetzt gewesen.

Am nächsten Tag wurde die Situation noch bedrohlicher, als gegen 20 Uhr ein Kleinbus mit Beamt*innen der Gendarmería an Bord auf dem Gelände erschien, so die Aussage von Zeug*innen.

„Man hörte die Stimme des Befehlshabers rufen: ‚Schießt, schießt, wir müssen einen töten‘“, heißt es in der Mitteilung der UAC. Außerdem zerstörten die Beamt*innen der Gendarmería die Ruca [die gemeinschaftliche Wohnstätte der Mapuche], in der sich zu diesem Zeitpunkt Frauen, Alte und Kinder befanden. Schließlich gaben sie auch Schüsse ab und verletzten zwei Mapuche schwer. Sieben Dorfbewohner*innen wurden festgenommen und in Isolationshaft gehalten.

Die Organisationen ließen mit einer Antwort nicht auf sich warten. Die Nationale Vereinigung zur Seelsorge der Indigenen ENDEPA (Equipo Nacional de la Pastoral Aborigen), eine katholische Kirchengruppe, beklagte, dass die Repression „das Interesse von Ausländern über das Interesse von indigenen Gruppen, die schon vor der Gründung Argentiniens existiert hatten“, gestellt habe und bedauerte „das Leid, das so vielen Mapuche zugefügt wurde, mit denen wir uns solidarisieren. Respekt für die Rechte der indigenen Gemeinden kann nicht durch die Kriminalisierung ihrer Forderungen erreicht werden“.

Unverhältnismäßiges Vorgehen

Auch Amnesty International, die Permanente Versammlung für Menschenrechte APDH und verschiedene Abgeordnete und Senator*innen, die von der Unverhältnismäßigkeit der Repression erschüttert waren, äußerten sich kritisch.

„Einer Frau wurde ein Finger gebrochen, mehrere Kinder wurden geschlagen und die Einheiten stahlen die Tiere der Gemeinde: neben den Pferden auch eine Kuh und ihre zwei Kälber (die Kuh und ein Kalb starben beim Abtransport). Dies war ein klarer Versuch, sie zu isolieren, um der Repression freien Lauf lassen zu können, da es in der Region weder Telefon noch Radio gibt und die Mapuche ihre Pferde nutzen, um sich zu bewegen“, so Gonzalez Quintana. Außerdem zerstörten die Einsatzkräfte den Gemeinschaftsacker und die Anpflanzungen und ließen die Mapuche ohne die Ernte, die sie zum Überleben brauchen.

Mit Blut und Feuer

Die lokalen Behörden waren bestrebt, die Bewohner*innen der Gemeinde Pu-Lof als „Terroristen“ zu brandmarken. Und das, obgleich ein Gericht höchst selbst im Juli vergangenen Jahres festgestellt hatte, dass sie genau dies eben nicht seien. In den argentinischen Tageszeitungen wurde nicht über die von den Mapuche erlittene Repression durch die Sicherheitskräfte informiert. Vielmehr wurde ein Hauptaugenmerk auf den Mapuche-Aktivisten Facundo Jones Huala gelegt, einen jungen Mann von 31 Jahren, der in Argentinien geboren wurde und in Chile wegen Brandstiftung und anderen kleineren Delikten vorbestraft ist.

„Facundo Jones Huala, ein gewalttätiger Mapuche, der Argentinen und Chile den Krieg erklärt hat“ titelte die Tageszeitung El Clarín. Jones Huala selbst tritt als Mitglied einer indigenen Gruppe auf, die sich Resistencia Ancestral Mapuche (RAM) nennt, und das Territorium beansprucht, aus dem sie vor mehr als einem Jahrhundert vertrieben worden sind. Die RAM fordert außerdem die Wiederaneignung kultureller Traditionen und die Einheit der „Mapuche-Nation“. Nicht wenige Nachkommen der indigenen Völker, die bis vor kurzem in den Vororten der Städte Patagoniens überlebten, haben diese Forderung für sich übernommen.

Das liegt vielleicht darin begründet, dass es – wie es die ENDEPA treffenderweise ausdrückte – nicht möglich sei, „mit Blut und Feuer eine Ordnung durchzusetzen, die auf Unrecht, Plünderung und die Verweigerung der Rechte indigener Gruppen basiert. Die Gewalt und die staatliche Repression können nur mehr Unrecht und weniger sozialen Frieden hervorbringen“.

Der argentinische Staat wurde vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte CIDH wegen dieser neuerlichen, brutalen Tat angeklagt. Drei Monate nach diesen Vorfällen ist in Pu-Lof en Resistencia Vuelta del Río wieder Ruhe eingekehrt, aber für wie lange, ist ungewiss.

CC BY-SA 4.0 Andauernder Konflikt zwischen den Mapuche und Benetton von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert