(Mexiko-Stadt, 18./19. November 2022, Pie de Página).- Bei dem globalen Treffen der Ultrakonservativen in Mexiko vernetzten sich Rechte international. Die mexikanische Rechte versucht, sich im Kampf gegen Präsident López Obrador zu vereinen.
CPAC: internationale Vernetzung konservativer Ideolog*innen
Mexiko-Stadt: Der Beifall im Auditorium reißt nicht ab. „Es lebe Christus der König!“ rufen euphorische Menschen, lächelnd oder mit geröteten Gesichtern, fast unisono. „Allmählich entsteht eine neue Generation von echten Führungspersönlichkeiten, die sich dem Kampf für eine freie Gesellschaft verschrieben haben“, tönt es vom Redner auf dem Podium. Das Publikum klatscht und erwidert: „Eduardo Präsident!“. Bis vor kurzem war Eduardo Verástegui auf der nationalen politischen Bühne kaum bekannt. Erst in den letzten Wochen, während der Mobilisierungen der Opposition gegen Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO), wurde sein Name in rechten Kreisen immer häufiger erwähnt. Nachdem Kritiker*innen der geplanten Reform der Nationalen Wahlbehörde (INE) und konservative Gegner*innen des Staatschefs Mitte November mit einer Großdemonstration gegen die Pläne von sich hören machten, ist auch der Schauspieler und ehemalige Sänger Verástegui verstärkt in Erscheinung getreten. Er ist das neue Gesicht des radikalen konservativen Flügels in Mexiko, obwohl er keine politische Karriere in diesem Land gemacht hat. Das Forum, vor dem Eduardo Verástegui spricht, ist nicht irgendein Ort, sondern die „Politische Konferenz der Konservativen Aktion“ (CPAC), eine internationale Veranstaltung, die seit den 1970er Jahren weltweit führende Politiker und Ideologen des Konservatismus und Antikommunismus zusammenbringt. Verástegui ist ihr Präsident in Mexiko. In den Reihen der CPAC finden sich Politiker wie die Ex-Präsidenten Donald Trump, Jair Bolsonaro und Lech Walesa sowie Intellektuelle und religiöse Persönlichkeiten aus der ganzen Welt, von denen viele dem Spektrum des radikalen Konservatismus zuzuordnen sind und von manchen als Faschisten bezeichnet werden. „Wir sind Konservative, keine Faschisten“, heißt es hingegen im Publikum. „Sie nennen uns gewalttätig, aber das sind nicht wir, sondern die Kommunisten“, sagen sie.
Demokratie: Gefahr durch Progress
In einem Interview mit Pie de Página erklärt Diana Fuentes, Philosophin und Professorin an der Universidad Autónoma Metropolitana (UAM), die CPAC sei ein Versuch offen konservativer Gruppen auf der ganzen Welt, politische und intellektuelle Führungspersönlichkeiten zusammenzubringen, die ihre Überzeugungen und Ideologien definieren. Diese wollten die Unzufriedenheit derjenigen aufgreifen, die sich von einer linken und nach sozialer Gerechtigkeit strebenden Politik angegriffen fühlen. „Sie versuchen, diese Unzufriedenheit mit einer gemeinsamen Agenda zu bündeln“, so Fuentes. Sie warnt jedoch davor, alle Teilnehmenden als homogenen Block zu betrachten. Das verhindere eine gründliche Analyse ihrer Bedeutung. Die Veranstalter*innen beschreiben den Kern ihrer politischen Haltung als „Verteidigung der Familie und des Lebens gegen den Kommunismus und für die Freiheit“. Tatsächlich treten sie für die Kriminalisierung der Abtreibung ein, sind gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und die Rechte von Trans*personen. Außerdem stellen sie sich gegen linke Politik, ob sie nun kommunistisch ist oder nicht. „Diese Menschen betrachten die Demokratie als ein progressiv ausgerichtetes Konzept und damit als Gefahr“, analysiert die Philosophin Diana Fuentes. „Wenn man sich anschaut, wer bei dieser Konferenz zusammenkommt, merkt man, was diese Leute eint: ihre antidemokratische Geisteshaltung. Sie sehen die Demokratie als eine Bedrohung für die traditionellen Werte des Konservatismus: die Verteidigung der Familie und den Kampf gegen Abtreibung, das heißt, gegen die freie Entscheidung von Frauen über ihre Mutterschaft und gegen die LGBT-Agenda.“ Bei manchen komme noch Skepsis gegenüber der Wissenschaft hinzu, denn die würde angeblich das religiös geprägte Weltbild ersetzten. „Das Entscheidende ist aber, dass diese Konservativen fanatisch vom Kapitalismus überzeugt sind. So viel sie auch von der traditionellen Familie oder der Zerstörung westlicher Werte sprechen, so sehr fördern sie doch gleichzeitig die kapitalistische Politik.“ Eduardo Verástegui erhält für seine Rede Lob und stehende Ovationen. Er wird als mutig bezeichnet, weil er es gewagt hat, die CPAC nach Mexiko zu bringen. „Zum ersten Mal wird die CPAC in einem spanischsprachigen Land abgehalten, sagt er stolz am Mikrofon und fügt hinzu: „Wir werden für die Freiheit kämpfen.“ Als Verástegui lächelnd von der Bühne steigt, geht das Licht an. Das Auditorium hat seine maximale Kapazität von über tausend Menschen erreicht. Woher kommen diese Männer und Frauen? Wer sind sie? Ist dies das wahre Gesicht der mexikanischen Rechten? Warum gehen sie jetzt an die Öffentlichkeit? Vielleicht finden sich in diesen Gängen Antworten.
„Wir haben keine Angst zu sagen, was wir denken“.
Frauen und Männer mit teuren Kleidern, noblen Uhren und edlem Schmuck kommen in Luxus-Vans zur Konferenz ins Westin Hotel in Santa Fe, eine der exklusivsten Gegenden in Mexiko-Stadt. Von einer Privatfirma angeheuerte Wachleute kontrollieren Rucksäcke, scannen Körper, bitten darum, Metallgegenstände abzugeben. Alle Anwesenden bekommen Ausweisschildchen für die Konferenz, Presseleute werden von Teilnehmenden getrennt. Im Inneren des Gebäudes haben Medien, religiöse Vereinigungen, Verlage und soziale Organisationen Stände auf den Gängen aufgebaut. Daneben finden sich Presseräume und improvisierte Fernsehübertragungsstudios. „Von welchem Medium sind Sie?“, frage ich einen jungen Mann mit einer Kamera. „Wir sind von Voz Media“, antwortet er. Ich hatte noch nie von diesem Medienunternehmen gehört. Nach etwas Recherche stelle ich fest, dass es sich um ein spanischsprachiges Onlinemedium in den USA handelt. Es richtet sich an konservative lateinamerikanische Migrant*innen. An den Ständen stehen überwiegend Konferenz-Teilnehmer*innen aus Venezuela, Brasilien, Mexiko und Kuba, aber auch aus Europa. Einige umarmen und begrüßen sich, als würden sie sich schon seit Jahren kennen. Eduardo Bolsonaro, der Sohn des brasilianischen Noch-Präsidenten Jair Bolsonaro, wird umringt von Menschen, die ihn wie einen Promi um Fotos bitten. Eduardo Verástegui ist kurz angebunden. Stunden später wird er alles sagen, was er zu sagen hat, denn er ist einer der Hauptredner auf der CPAC.
Eine Gruppe von Nonnen in Ordenskleidern, in Begleitung von Priestern, kommt eilig an. Daneben lächelt eine Gruppe junger Katholik*innen vor dem Auditorium, in dem die Konferenz stattfinden wird. Alle sind weißhäutig, manche haben blondes Haar und blaue Augen. Warum sie zur CPAC kommen? „Weil wir konservativ sind und die Familie und das Leben von der Empfängnis an verteidigen“, antwortet einer. Warum sie diese Ideen vertreten und was sie für ihn bedeuten, möchte ich wissen. „Weil wir das Leben und die Freiheit verteidigen müssen“, antwortet er. „Dafür werden wir zensiert. Unsere Ideen kommen in der Gesellschaft auch nicht gut an. Aber es ist Zeit, dass wir keine Angst mehr haben, das zu sagen, was wir denken.“ Diese Worte klingen tief in mir nach. Im Laufe des Tages wird dieser Slogan von fast allen Referierenden mit Inbrunst wiederholt. Kann man von Zensur sprechen, wenn Reden, die den Hass gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen fördern, zum Schweigen gebracht werden? Die Frage bleibt mir im Halse stecken. Stunden später versammeln sich vor dem Hotel einige Antifaschist*innen, um den Konservativen die Stirn zu bieten. „Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Leute in Mexiko Faschismus und Hassreden verbreiten. Es kann nicht sein, dass wir Eduardo Bolsonaro, einen Faschisten, willkommen heißen. Das dürfen wir als Gesellschaft nicht zulassen. Wir stellen uns den Faschisten entgegen und werden sie aufhalten“, sagte die brasilianische Antifaschistin Marcia Zarqui.
„Wölfe im Schafspelz“
Vor Beginn der Konferenz findet in einem Raum des Hotels, dem sogenannten Kirschbaumsaal, eine katholische Messe statt. Der Raum ist klein, es gibt nur wenige Stühle. Die Leute kommen an, einige setzen sich, andere bleiben hinten stehen. Vorne steht ein behelfsmäßiger Altar mit einer Bibel, einem Kelch und Oblaten. Ein Priester und ein Messdiener kommen. Während der Messe richtet der Geistliche einige Worte an die Anwesenden und segnet die Arbeit der CPAC. „Möge dieser Moment dazu dienen, Ideen zur Bewältigung der Krise zu entwickeln, die das Land gerade durchmacht“, sagt er. Alle nicken und geben sich zum Zeichen des Friedens die Hand. Sie empfangen die Kommunion und lächeln. Stunden später, im Auditorium, beschreibt Verástegui die Krise, der sie sich entgegenstellen wollen: Armut, Ungleichheit, Gewalt, Unsicherheit, Migration und Vertreibung, diese Begriffe tauchen in seiner Rede immer wieder auf. Für all diese Phänomene sei die regierende Linke verantwortlich, „die Kommunisten, der Sozialismus“, betont er. „Deshalb müssen wir sie bekämpfen.“ Das scheint verrückt oder zumindest eine waghalsige Aussage. Denn noch nie gab es in Mexiko vor 2018 eine Regierung, die sich als links definierte. Aber Mexiko war bis dahin sicherlich kein utopischer Raum ohne all diese Probleme. Dieses Land hatte schon immer mehr konservative Regierungen als solche aus einem politischen Zentrum. Dennoch gibt es keine kritische Reflektion über deren Verantwortung in der aktuellen Krise. „Wir sind die wahren Rechten“, sagt der Schauspieler Verástegui ins Mikrofon. „Und obwohl manche behaupten, sie seien es auch, sind sie in Wirklichkeit Wölfe im Schafspelz. Wir Konservative sind die wahre Rechte, und wir werden niemals mit denen verhandeln, die die Familie und das Leben vor der Empfängnis nicht verteidigen“. Diesen Satz widmet er Claudio X. González, einem renommierten Kritiker López Obradors, „und anderen, die ich nicht nennen werde, weil ich keinen Tratsch will“, klagt er.
Als geeinte Front die Feinde beseitigen
Für ihn und auch für andere CPAC-Teilnehmer bedeutet „rechts zu sein“, den Konservatismus anzunehmen. „Von unserer Position aus betrachtet sind alle anderen links“, fügt er hinzu. Aber so einfach ist es nicht. Ihr Feind, „die Kommunisten, die Woken, die Feministinnen und die Progressiven“ geben nicht auf. Bei der Konferenz stellen der polnische Politiker Lech Walesa, der frühere Trump-Berater Steve Bannon, Brasiliens Eduardo Bolsonaro und US-Rechtsaußen-Republikaner Ted Cruz vor, wie sie es geschafft haben, „den Kommunismus in ihren Ländern zu besiegen“. Der Peruaner Fernán Altuve – Febres – Lores erklärt bei einem der Foren: „Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass wir Rechten Einigkeit unter denjenigen brauchen, die gemeinsame politische Ziele verfolgen. Und dass wir einen gemeinsamen Feind haben: den Kommunismus, die Progressiven, die Linke. Wir müssen diese sektiererische Sichtweise aufgeben, unsere Geschichte als Konservative kennen und ein Bündnis und eine gemeinsame Front bilden, um unsere Feinde zu beseitigen“. Fernán schlägt die Ausarbeitung eines politischen Programms vor, das der Rechten helfen soll, der progressiven Hegemonie in der Region entgegenzutreten, die derzeit überwiegend von linksgerichteten Regierungen regiert wird. Es geht ihm um die Einheit zwischen Konservativen, Liberalen und dem gesamten Spektrum, das sich den Fortschrittlichen und der Linken entgegenstellen kann. Aber auch darum, dass die Konservativen, der radikale Flügel, die ideologische Führung dieses rechten Blocks übernehmen muss. Besonders die mexikanischen Anwesenden schließen sich Fernáns Meinung an.
„Die Partei, die Mexiko braucht“
In den übrigen Foren geht es daher auch um die Absicht des CPAC, eine konservative Partei in Mexiko aufzubauen. Die Veranstaltung fällt in die Zeit einer breit angelegten Offensive der mexikanischen Rechten. Der jüngste Ausdruck der Opposition gegen López Obrador, die Demonstration zur Verteidigung der Wahlbehörde INE, hat alte und neue Akteure ans Licht gebracht, die sich dem Kampf um die Präsidentschaft des Landes im Jahr 2024 stellen könnten. Die Philosophin Fuentes ist der Ansicht, dass die CPAC in Mexiko für den Teil dieser Anti-AMLO-Bewegung steht, der mit dem ultrakonservativen und antidemokratischen Diskurs sympathisiert. „In Mexiko sind die Auswirkungen der CPAC noch gering“, erklärt sie. Es gelte aber vorsichtig zu sein, fährt sie fort, denn „sie könnte für viele andere politische Sektoren Inhalte zu Schlüsselideen liefern, die es ihnen ermöglichen, die Opposition viel besser zu organisieren“.
Es werden schwierige Zeiten kommen
Womit wird die Linke in Mexiko zukünftig konfrontiert sein? Mit einer Rechten, die Frauenfeindlichkeit, Klassismus und Rassismus zu ihren Prinzipien macht und die beginnt, sich auf komplexere Weise zu vernetzen. Die Linken scheinen derweil mit internen Kämpfen beschäftigt zu sein, statt gegen diejenigen vorzugehen, die ihre Freiheit grundsätzlich bedrohen. Mit Blick auf die 2024 anstehenden Präsidentschaftswahlen bekommt die Auftaktszene der Konferenz, der euphorische Ausruf „Eduardo Präsident“, der Verástegui und seine Rede anspornte, besondere Bedeutung. Es werden schwierige Zeiten kommen, in denen der radikale Konservatismus in einem polarisierten und zutiefst frauenfeindlichen, rassistischen und klassistischen Land durchaus auch Kämpfe gewinnen kann.
Übersetzung und Bearbeitung (mit freundlicher Genehmigung des Autors): Ute Löhning und Wolf-Dieter Vogel
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