(Caracas, 12. November 2019, telesur).- Chile erlebt eine „verfassungsgebende Bewegung“, nachdem die Bevölkerung eine direkte Beteiligung bei der Erstellung einer neuen Verfassung gefordert hat. Damit weist sie den Plan von Präsident Sebastián Piñera zurück, die Carta Magna im Kongress durch einen Prozess der Legislative zu verändern. Zwar zeigt sich Piñeras Regierung bereit, den Weg in Richtung einer neuen Verfassung durch einen Verfassungsgebenden Kongress und eine Volksbefragung zu dessen Bestätigung zu ebnen. Gesellschaftliche Organisationen fordern jedoch die unmittelbare Beteiligung der Bürger*innen im verfassungsgebenden Prozess.
Bürger*innen möchten Inhalt der Verfassung selbst mitbestimmen können
Der grundlegende Unterschied beider Vorgehensweisen liegt darin, dass die Bürger*innen nicht über einen Verfassungstext abstimmen möchten, der geschrieben wurde, ohne sie jemals mit einbezogen zu haben. Vielmehr möchten die Menschen selbst bestimmen und ausdrücken, welche Rechte die neue Verfassung beinhalten soll. So soll ihre Perspektive im Text ersichtlich sein, bevor darüber abgestimmt wird.
Der Verfassungsgebende Kongress hingegen würde sich lediglich aus Abgeordneten der politischen Parteien zusammensetzen und entspräche den Machtverhältnissen vor dem Beginn der starken Proteste in Chile. Schon allein deshalb wird eine Verfassungsgebende Versammlung gefordert, die aus der Bevölkerung hervorgeht.
Der Verfassungsexperte Javier Couso erklärt: „Der Verfassungsgebende Kongress sieht vor, dass der aktuelle Kongress aus seinen eigenen Mitgliedern eine Gruppe ernennt, die für zwölf Monate an der Erstellung einer neuen Verfassung arbeitet. So könnte die neue Verfassung Ende 2020 ratifiziert werden.“ Gegenüber dem Nachrichtenportal BioBio hielt der Anwalt fest, dass „es sehr unwahrscheinlich ist, dass der Kongress eine Verfassung ohne bürgerliche Mitbestimmung erstellen kann, die komplette Legitimität erhält. Der Kongress wurde gewählt, um Gesetze zu verabschieden.“ Seiner Ansicht nach ist eine Verfassungsgebende Versammlung als eine Gruppe von Menschen zu verstehen, die explizit dafür gewählt wurden, eine neue Verfassung zu entwerfen.
Verfassung noch aus der Zeit Pinochets
Im Allgemeinen ist man der Meinung, die Mitglieder des chilenischen Kongresses könnten keinen Teil der Verfassungsgebenden Versammlung stellen, außerdem muss der Verfassungstext in jedem Fall durch eine Volksbefragung ratifiziert werden.
Welchen Weg die Regierung in Richtung einer neuen Verfassung einschlägt, wird den weiteren Verlauf der Proteste in Chile entscheidend beeinflussen, so Miriam Henríquez Viñas, Professorin für Verfassungsrecht und Dekanin der juristischen Fakultät der Universität Alberto Hurtado in Santiago de Chile. „Die Bürgerschaft verlangt eine Veränderung durch eine Verfassungsgebende Versammlung, deren Text durch ein Plebiszit ratifiziert wird. Die Ankündigung der Regierung bezieht sich, soweit wir wissen, lediglich auf eine Reform der bestehenden Verfassung über den Weg im Kongress“, betonte Henríquez gegenüber BBC.
Den Text der aktuellen Verfassung zu ändern, die noch aus der Zeit des Diktators Augusto Pinochet stammt, entspreche nicht den Vorstellungen der Bürger*innen. Vielmehr wollten sie die Verfassung auf ein gänzlich neues Fundament bauen, die von Beginn an grundlegende Rechte der Bevölkerung und ihre Einhaltung berücksichtigt.
Warum sind viele Chilen*innen gegen den Verfassungsgebenden Kongress? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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