Nayib Bukele vor zweiter Amtszeit

Bukele
Mütter protestieren vor der Ombusstelle.
Foto: Alfredo Carías

(San Salvador, 26. Mai 2024, npla).- Am 1. Juni tritt Nayib Bukele in El Salvador seine zweite Amtszeit als Präsident an. Bei den Wahlen im Februar erzielte er 84 Prozent. Seine Popularität gründet sich vor allem auf der verbesserten Sicherheitslage. Zehntausende, vor allem junge Männer aus den Armenvierteln, sitzen unter Gangverdacht in Haft. In dem seit zwei Jahren andauernden Ausnahmezustand wurden aber auch Unschuldige und politische Gegner inhaftiert. Mittlerweile gehen immer mehr Familienangehörige dagegen auf die Straße.

„Es wird das erste Mal sein, dass es eine Einheitspartei in einem vollständig demokratischen System gibt. Die gesamte Opposition ist pulversiert.“ Was sich nach der mahnenden Stimme eines Demokratieexperten anhört, ist Nayib Bukele, der Anfang Februar gerade wiedergewählte Präsident El Salvadors. Mit charmant-bubenhaftem Lächeln unter der obligatorischen Basecap feiert er vor tausenden Anhängern seinen Sieg und die „Pulverisierung“ jeglicher Opposition.

Bukele punktet mit mehr Sicherheit auf den Straßen

Wenn es einen Grund für Bukeles enorme Popularität und sein Wiederwahlergebnis von schwindelerregenden 84 Prozent gibt, dann ist es die gefühlt stark verbesserte Sicherheitslage im Land. Über zwei Jahrzehnte lang fürchteten sich die Menschen vor der ausufernden Bandenkriminalität, eine Zeit lang war das kleine, mittelamerikanische Land das mit der weltweit höchsten Mordrate. Im März 2022 forderte Bukele von den Banden, mit dem Morden aufzuhören, sonst würde er sie alle in den Bau stecken. Seither haben El Salvadors Behörden unter den Befugnissen eines immer wieder verlängerten Ausnahmezustands rund 80.000 Menschen inhaftiert. Diesen Ausnahmezustand verteidigte Bukeles Vizepräsident Félix Ulloa vor den Februarwahlen nicht nur, er war das vielleicht wichtigste Pfund der Regierung im Wahlkampf. Es gebe hier keinen Polizeistaat, man garantiere die Sicherheit der Menschen, die Bürgerinnen und Bürger fühlten sich nicht bedroht durch die Militär- und Polizeipräsenz, sondern beschützt. Und: Es gebe immer noch kriminelle Strukturen, die man bekämpfen müsse, und solange werde der Ausnahmezustand verlängert. Im letzten Jahr eröffnete Bukele sein Megagefängnis, gebaut für 40.000 Gefangene. Über 166 Hektar dehnt es sich aus, das sind umgerechnet etwa 230 Fußballfelder. 600 Soldaten und 250 Polizisten sollen Sicherheit garantieren. Drinnen spiegeln die Verhältnisse wider, was Bukele von Verbrechern hält: Journalisten erhalten nur Zugang, wenn die Regierung zeigen will, dass sie mit den Bandenmitgliedern keine Gnade kennt. In Fernsehaufnahmen ist zu sehen, dass die Gefangenen nicht mehr tragen als eine weiße Einheitsunterhose, sie werden mit gebeugtem Kopf und dahinter verschränkten Händen durch die Gänge getrieben, in den Zellen gibt es oft keine Matratzen, dafür sind sie auch zu voll. Zu Essen gibt es, wie von Bukele versprochen, nichts, das müssen die Angehörigen organisieren. Diese extremen Maßnahmen, zusammen mit Bukeles martialischem Ton, kommen bei vielen Menschen in El Salvador an. Zum Beispiel bei Eduardo, 51 Jahre alt und aus San Martín, einer bevölkerungsreichen Vorstadt im Osten der Hauptstadt San Salvador: Für ihn sei Bukele ein Segen. Er habe in seinem Stadtteil regelmäßig Schießereien, Morde, Raubüberfälle und Erpressungen erlebt. „Wenn ich heute zum Markt in San Martín gehe“, sagt er, „ist alles ruhig, das macht einen riesigen Unterschied.“

Protest gegen Verhaftungswelle

In der Tat kann man inzwischen auch spätabends in innenstadtnahen Vierteln San Salvadors zu Fuß nach Hause gehen. Doch seit Beginn des Ausnahmezustands mehren sich auch kritische Stimmen. Celia Medrano setzt sich seit Jahrzehnten für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein. Nach dem Ende des Bürgerkriegs zwischen Militärdiktatur und FMLN-Guerrilla Ende der 1990er Jahre hat sie am Aufbau der jungen salvadoranischen Demokratie mitgearbeitet. In die habe Bukele in den ersten vier Amtsjahren die Axt angelegt – vor allem auch mit dem mittlerweile permanenten Ausnahmezustand, so Medrano. Man habe den Vizepräsidenten deutlich sagen hören, dass die demokratischen Institutionen und die Menschenrechtsbestimmungen außer Acht gelassen werden müssten, wenn man die Menschen vor Verbrechen schützen wolle. Menschenrechte gegen öffentliche Sicherheit auszuspielen sei aber eine Farce, auf die viele Regierungen auf der ganzen Welt seit Jahren zurückreifen. „Freiheit, Freiheit“ skandierten am 1. Mai erneut Hunderte Familienangehörige. Gegen die Verhaftungswellen regt sich in El Salvador zunehmend Protest. Am Anfang waren diese Demonstrationen klein, die Angehörigen wirkten verschüchtert. Mittlerweile regieren Wut und der Mut der Verzweiflung. Im vergangenen Jahr war die Kundgebung am Unabhängigkeitstag am 15. September mit mindestens 30.000 Menschen der größte Protestmarsch seit vielen Jahren.

„Alle behaupten, ihre Kinder seien unschuldig“

Bukele
„Herr Präsident, wir fordern Freiheit für alle Unschuldigen und Arbeiter. 16. August 2023
Foto: Alfredo Carías

Auch Juana Martínez de Pérez kämpft um ihren Sohn Elías Otoñel. Die 51-jährige lebt in Los Lllanitos, einem Armenviertel in den Außenbezirken von San Salvador. Die meisten Häuser hier sind aus Wellblech und Holzlatten gebaut. Hühner laufen über Grundstücke und Straßen, viele Familien bauen Papaya, Mais und Bohnen an. Juana sitzt mit ihrer Schwiegertochter Angélica auf einem alten Sofa unter dem Vordach mit Blick auf den Innenhof, ihrer vierjährigen Enkelin Scarlet Nayarit bindet sie gerade zwei Zöpfe in die schwarzen, langen Haare. Wer fehlt, ist Elías Otoñel, Angélicas Mann und Scarlets Vater. Ihn haben sie im Januar dieses Jahres mitgenommen: „Als sie kamen, um ihn zu holen, hatte mein Sohn gerade einen freien Tag. Sie haben ihm Handschellen angelegt und ihn einfach mitgenommen.“ Elías sei ein arbeitsamer, verantwortungsbewusster Mann, der seine Tochter und seine Frau liebe. Für die Familie sei das sehr schwer, vor allem für Tochter Scarlet: „Meine Enkelin sagt jedem, der sie fragt, wo denn ihr Papa ist: ‚Den haben sie abgeholt‘. Nachts weint sie und fragt: Wann kommt denn Papa wieder?“ Elías Otoñel habe nie etwas verbrochen, er habe einen Job am Fließband in einer Schraubenfabrik, bringe das Geld nach Hause, um die Pacht für das Haus zu zahlen und die Familie zu ernähren. Seit seiner Verhaftung weiß die Familie nichts von ihm, nur dass er im Gefängnis Izalco ist, über zwei Stunden vom Haus der Familie entfernt. Eine Anhörung soll es frühestens im nächsten Jahr geben. Das hat die Familie auch in größte wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht: „Wir überweisen Geld an das Gefängnis, damit Elias im Gefängnisladen Lebensmittel kaufen kann. Dazu senden wir ihm Pakete mit Hygieneartikeln und Kleidung. Aber oft reicht das Geld nicht. Er war es doch, der das Geld verdiente. Meine Schwiegertochter und ich müssen jetzt den ganzen Tag arbeiten und sehen, wer sich um die kleine Scarlet kümmert.“ Juana und ihre Schwiegertochter nehmen regelmäßig an den Demonstrationen gegen die Willkür des Staates teil. Gegen Verhaftungen ohne jegliche Beweise für angebliche Verbrechen und ohne dass Angehörige Auskünfte über den Verbleib und den Gesundheitszustand ihrer Kinder erhalten. Nayib Bukele, der am 1. Juni seine zweite Amtszeit antritt, kontert die Proteste von Angehörigen wie Juana wie üblich polemisch: „Da gibt es Gerüchte, wir würden uns an redlichen Menschen rächen. Natürlich wird es immer eine Mutter geben, die behauptet, ihr Kind sei unschuldig. Aber vielleicht hat dieser Sohn zehn Menschen getötet. Aber sie glaubt oder will einfach glauben, ihr Sohn sei unschuldig.“ Dass Menschenrechtsorganisationen von 30 bis 50 Prozent Unschuldigen in den Gefängnissen sprechen, hält das Propagandagenie Bukele für genau das: die Propaganda derjenigen, die vor seiner Präsidentschaft gut von Korruption und Verbrechen gelebt haben – und meint damit Anhänger*innen der „pulverisierten“ Opposition. Bukele twittert, es seien doch wohl eher zehn Prozent. Das wären aber immer noch fast Zehntausend junge Menschen, die als Unschuldige teils seit Monaten in überfüllten Gefängnissen hocken. Sie sind es, die den Preis für das wohlige Sicherheitsgefühl der salvadorianischen Bevölkerung zahlen – und über deren Schicksal Bukele zu seinem erneuten Wahlsieg marschiert ist.

Bukeles Tricks

Wie Elías Otoñel sind es vor allem Salvadorianer aus einkommensschwachen Schichten, aus den Armenvierteln des Landes, die oft selbst unter der Bandenkriminalität gelitten haben und nun unschuldig im Gefängnis landen. Menschenrechtsexpertin Celia Medrano sieht hier eine perfide Strategie Bukeles. Die Bevölkerung fühle sich heute sicherer, da die Präsenz der Banden nicht mehr so sichtbar sei wie in früheren Jahren. Aber in Wahrheit sei diese gegenwärtige Sicherheit durch Pakte mit kriminellen Strukturen erlangt worden; die Banden sind längst in staatlichen Strukturen präsent und regieren praktisch mit. Der permanente Ausnahmezustand mit seinem Aussetzen von Menschenrechtsgarantien kriminalisiere in Wahrheit die Armut und Regimegegner. Anfang Mai reichte Ariela González, Anwältin von Silverio Morales, eine Beschwerde bei der salvadorianischen Ombudsstelle für Menschenrechte ein. Morales, indigene Führungspersönlichkeit aus Nahuizalco, setzt sich seit Jahren für den Wasserschutz und die Rechte indigener Völker ein. Sein Sohn Levi wurde letzten November auf der Familienfinca verhaftet; über Monate hat die Familie nichts von ihm gehört. Silverio glaubt, dass Levi nicht willkürlich, sondern gezielt wegen seiner Aktivistentätigkeit verhaftet wurde. Auch seine Schwester, zwei Cousins und sein Schwiegersohn sind in Haft.

Auch der Menschenrechtsanwalt Ovidio Mauricio ist sich sicher, dass Bukele den permanenten Ausnahmezustand und die Massenverhaftungen auch dafür nutze, um seine verbliebenen Gegner mundtot zu machen. Der Ausnahmezustand sei auf Bergbaugegner angewandt worden, auf Protestierende, auf Straßenverkäufer, um sie aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben, selbst auf entlassene, nicht linientreue Behördenmitarbeiter. Der Staat wende den permanenten Ausnahmezustand völlig willkürlich an. Bukele installiere in El Salvador seit Jahren eine Diktatur. Laut Verfassung hätte er sich eigentlich für keine zweite Amtszeit bewerben dürfen. Bukeles Trick: Sechs Monate vor den Wahlen trat er kurz zurück. Und jetzt kann er im Prinzip durchregieren. Durch die Besetzung von hohen Gerichten und der Oberstaatsanwaltschaft habe er sich schon vor Jahren die Justiz gefügig gemacht, sagt Menschenrechtsanwalt Ovidio Mauricio. Durch den Ausnahmezustand könne er jeden Prostest ersticken. Bukeles Propagenda verfängt trotzdem bei der Mehrheit der Menschen, auch bei Eduardo: In seinem Viertel kenne er viele, die Bukele und den Ausnahmezustand ablehnten. Das seien eben die, die mit krummen Geschäften ihr Geld verdient hätten. Und natürlich seien die gegen Bukele. Bislang gibt es wenige Anzeichen dafür, dass Bukeles Rückhalt bröckelt. Was könnte ihm also noch gefährlich werden, in seiner zweiten, und geht es nach ihm, wohl nicht letzten Amtszeit? Mittlerweile sind auch Kinder von Mittelschichtsfamilien inhaftiert worden. Sollte sich die Mittelschicht abwenden, eine der wichtigsten Stützen des Millenial-Präsidenten, könnte das für Bukele zum Problem werden. Vor allem aber: Die Lebenshaltungskosten sind in den letzten zwei Jahren explodiert, die Staatskassen sind dem Vernehmen nach leer, auch wenn die Regierung grundsätzlich keine Informationen zur Lage der Staatsfinanzen und zur Verwendung von Geldern herausgibt. Aber seit seinem erdrückendem Wahlsieg Anfang Februar sitzt Bukele fester im Sattel denn je. Umfragen zeigen, dass sich sieben von zehn Salvadorianer*innen fürchten, ihre Meinung zum Ausnahmezustand öffentlich zu äußern, darunter müssen also auch viele seiner Anhänger*innen sein.

Für diejenigen, die sich als Opfer von Bukeles Politik sehen, sind positive Nachrichten rar. Immerhin: Am 15. Mai konnte Anwältin Ariela González endlich die Freilassung von Levi, dem Sohn des indigenen Führers Silverio Morales erreichen.

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