Gipfeltreffen des Political Network for Values im UN-Hauptquartier

Rechtsextreme globale Rechte
Der chilenische Politiker José Antonio Kast spricht beim Treffen des PNfV in New York am 17./18. November, 2023 | Stillframe des UN Web-TV-Streams

(Berlin, 10. Dezember, openDemocracy).- Mitglieder des Political Network for Values (PNfV) versammelten sich bei der UNO und sprachen über die Bekämpfung von Abtreibung und LGBTIQ-Rechten. Mit der freundlichen Genehmigung von openDemocracy übernehmen wir diesen Artikel und haben ihn ins Deutsche übersetzt.

Rechtes Netzwerktreffen im New Yorker Hauptquartier

Politiker*innen der extremen Rechten und hassverbreitender Gruppen, die Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe und umfassende Sexualerziehung ablehnen, haben sich am 16. und 17. November im New Yorker Hauptquartier der Vereinten Nationen (UNO) getroffen, um an das 75-jährige Bestehen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu erinnern. Das Politische Netzwerk für Werte, eine ultrakonservative Plattform, in der extrem rechte Politiker*innen und Aktivist*innen aus Europa, Lateinamerika, den USA und Afrika zusammenkommen, traf sich zu seinem fünften Transatlantik-Gipfel, der alle zwei Jahre stattfindet. Trotz mehrfacher Anfragen von openDemocracy äußerte sich die UNO nicht zu den Gründen für die Ausrichtung  dieses Treffens.

„Falsche Rechte aktiv bekämpfen“

Den Vorsitz des PNfV hält derzeit José Antonio Kast, der Gründer und Vorsitzende der rechtsextremen Republikanischen Partei Chiles. In der Eröffnungsrede des Treffens sagte er, die aktuelle politische Situation sei mit der Zeit der Verfolgung und Intoleranz während der beiden Weltkriege vergleichbar, die der 1948 beschlossenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vorausgingen. „Heute geschieht etwas Ähnliches“, sagte Kast, der selbst ein glühender Anhänger der Pinochet-Diktatur und Mitglied einer reichen und mächtigen chilenischen Familie ist und dessen Vater ein NSDAP-Mitglied und Anhänger Hitlers war. „Diejenigen, die es wagen zu verkünden, dass das Leben vor der Freiheit kommt, werden verfolgt, lächerlich gemacht und ausgelöscht“, beklagte Kast. Andere Redner*innen betonten, das erklärte Ziel des Gipfels sei, die „ursprüngliche Bedeutung“ der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu „retten“, und dafür sei es nötig, „falsche“ oder „nicht-universelle Rechte“ aktiv zu bekämpfen. Dazu gehören ihrer Meinung nach die reproduktiven Rechte von Frauen – insbesondere die Abtreibung, die nach Ansicht der Redner*innen weltweit verboten werden sollte – sowie das Recht auf Gesundheitsversorgung, Bildung, Ehe, Familie und Adoption für LGBTIQ- und besonders für Trans-Personen. Laut einer Analyse von Ipas, einer internationalen Organisation für sexuelle und reproduktive Rechte, wird ein Drittel der zwölf Organisationen, die das Treffen gesponsort haben, vom US-amerikanischen Southern Poverty Law Center als LGBTIQ-hassende Gruppen  eingestuft. Zu den Hassgruppen gehören Family Watch International, Alliance Defending Freedom (ADF), The Center for Family and Human Rights und die International Organisation for the Family, die den World Congress of Families [Weltkongress der Familien] organisiert. Sharon Slater, die Direktorin von Family Watch International und PNfV-Vorstandsmitglied, war eine der Rednerinnen auf dem New Yorker Treffen, das auch vom UN Web TV übertragen wurde. Anfang dieses Jahres hatte openDemocracy Slaters tiefe Verstrickung in die Organisation des berüchtigten ugandischen Gesetzes zur Kriminalisierung von LGBTIQ-Personen aufgedeckt. Weitere Sponsoren des Gipfeltreffens waren die Heritage Foundation, ein der Republikanischen Partei nahestehender US-Thinktank, der islamfeindliche, einwanderungs- und flüchtlingsfeindliche Rhetorik und Politik verbreitet, sowie das Zentrum für Grundrechte, das eng mit der extrem rechten ungarischen Regierung verbunden ist. Unter den Redner*innen war auch eine Angehörige von Moms for Liberty, einer Organisation, die das Southern Poverty Law Center wegen des Schürens von „moral panic“ [Anm. Red: Phänomen, bei dem eine Gruppe von Menschen als Gefahr für die moralische Ordnung der Gesellschaft dargestellt wird] als extremistisch einstuft.

Hochrangige Kontakte

Das PNfV wurde 2014 bei einem ebenfalls bei der UNO organisierten Gipfel von spanischen und mexikanischen Ultrakonservativen gegründet. Mehrere ihrer Führungspersonen und Mitglieder wurden als Angehörige der geheimen antikommunistischen paramilitärischen Gruppe El Yunque (Der Amboss) identifiziert, die in den 1950er Jahren in Mexiko gegründet wurde. Dazu gehören die Geschäftsführerin Lola Velarde und der Generalsekretär und Vizepräsident Rodrigo Iván Cortés. Das PNfV ist in den USA als gemeinnützige Organisation eingetragen, aber nicht von der Steuer befreit und daher nicht verpflichtet, Informationen zum Finanzstatus offenzulegen. Außerdem ist das PNfV auch in Spanien tätig, so der Bericht von Ipas, das Verbindungen und Finanzen des Netzwerks untersucht hat. Der Großteil der Finanzierung des Netzwerks und von dessen Aktivitäten stammt von US-amerikanischen, mexikanischen und spanischen Organisationen. Darunter finden sich die ADF, die in Madrid ansässige Gruppe CitizenGo und die aus Mexiko stammende Red de Acción Ética Política (Aktionsnetzwerk für politische Ethik), die sich für Gesetze gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und gegen Abtreibungen einsetzt. Mindestens eine Spende kam im Jahr 2019 auch von der ungarischen Regierung. Das PNfV unterhält enge Verbindungen zur ungarischen Politik. Die frühere ungarische Ministerin und Parlamentsabgeordnete Katalin Novák war bis 2022 Vorsitzende des PNfV, gab ihre Position bei der Organisation jedoch auf, als sie Präsidentin von Ungarn wurde.

Sorge um multilaterale Menschenrechtssysteme

WikiLeaks veröffentlichte im August 2021 Tausende von Dokumenten der Gruppe HazteOir/CitizenGo unter dem Titel „Intolerance Network“ und enthüllte damit, dass das PNfV im 2014 im ersten Jahr seiner Tätigkeit über ein Budget von 68.000 Dollar verfügte, wovon der größte Teil für den ersten Gipfel in New York ausgegeben wurde. Das nächste Gipfeltreffen, das 2017 im Europäischen Parlament in Brüssel stattfand, verfügte über ein Budget von 110.550 Euro, zu dem laut Ipas-Bericht auch europäische Parteien und Co-Sponsoren beitrugen. Der diesjährige Gipfel stand unter der Schirmherrschaft der konservativen Regierung Guatemalas, die bei den diesjährigen Wahlen abgewählt wurde und im Januar aus dem Amt scheiden wird. Mehr als 200 Teilnehmende aus 40 Ländern kamen bei dem Treffen zusammen, darunter viele amtierende und einflussreiche Politiker*innen mit Entscheidungsbefugnissen und Zugang zu öffentlichen Haushalten. „Das PNfV gibt Menschenrechtsaktivist*innen Grund zur Sorge, weil seine Arbeit darauf abzielt, die multilateralen Menschenrechtssysteme zu schwächen“, erklärt Gillian Kane, politische Beraterin und Referentin für Grundsatzfragen bei Ipas, gegenüber openDemocracy. „Es handelt sich um eine nicht sehr bekannte Organisation, und angesichts ihrer hochrangigen Kontakte sowohl bei den Vereinten Nationen als auch auf nationaler Ebene ist es wichtig zu beleuchten, wie dieses Netzwerk entstanden ist, wer es beeinflusst und welche Auswirkungen es auf die Aushöhlung der Menschenrechte weltweit hat“, fügt Kane hinzu, eine der Mitautoren*innen des Berichts „The Political Network for Values: Global Far Right at the United Nations“.

„Traditionelle Werte fördern“

Eines der Ziele des PNfV ist die Stärkung des traditionellen Familienmodells in UN-Dokumenten, einschließlich der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Social Development Goals/SDGs). Im Ipas-Bericht heißt es: „Im Gegensatz zu den Vereinten Nationen, die ein weit gefasstes Verständnis von Familie haben, vertreten das PNfV und seine Mitgliedsorganisationen eine enge, heterozentrische Definition, die sich an konservativen religiösen Normen orientiert und nicht damit übereinstimmt, wie Familien heute strukturiert sind und wie diese ihr Leben leben.“ Dieses Ziel wurde auf dem Gipfeltreffen deutlich. Mit einem Aufruf wurde die internationale Gemeinschaft aufgefordert, „ein Umfeld zu schaffen, das der Familiengründung und -stabilität förderlich ist, damit Männer und Frauen ihr grundlegendes Menschenrecht, zu heiraten und eine Familie zu gründen, in vollem Umfang verwirklichen können“. In diesem Dokument wird auch gefordert, „Kinder sowohl vor als auch nach der Geburt zu schützen [und] die Freiheit der Eltern und Erziehungsberechtigten zu respektieren, die religiöse und moralische Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen“.

Die „natürliche Familie“ und das „Leben von der Empfängnis bis zum Tod“

„Das Konzept der ’natürlichen Familie‘ wird angegriffen“, sagte der ghanaische Parlamentsabgeordnete Samuel George, der auf einem Podium bei der Veranstaltung sprach. „Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen Geschlecht und Gender oder Geschlechtsidentität […] Geschlecht ist ein biologisches Konstrukt, das unabhängig von ‚Rasse‘, Ethnie, Religion und Rechtsprechung gilt. Geschlecht ist binär. Man ist entweder männlich oder weiblich.“ Brett Schaefer von der Heritage Foundation stimmte dem zu: „Neue, zunehmend esoterischere Rechtsansprüche zu erheben und dabei die Tatsache zu ignorieren, dass ein Großteil der Weltbevölkerung noch nicht in den Genuss der in der Allgemeinen Erklärung [der Menschenrechte] festgelegten Rechte gekommen ist, erweist den Milliarden von Menschen, die zu viel Angst haben, ihre Meinung zu äußern, gegen ihre Regierung zu protestieren oder ihre Religion auszuüben, einen Bärendienst.“ Bis zur Erschöpfung wiederholt wurde die Forderung, das Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod zu schützen – Euthanasie ist zu einem wichtigen Thema für die extreme Rechte geworden. Außerdem sollen die Kinder von Cis-Männern und -Frauen [Anm. Red: Personen, die sich mit ihrem biologischen bzw. bei der Geburt zugewiesen Geschlecht identifizieren] vor vermeintlich marxistischer Indoktrination in den Schulen geschützt werden, indem Sexualkundeunterricht, in dem über „Gender“ diskutiert wird, verboten wird.

Argumentation mit hanebüchenen Vergleichen

Darüber hinaus soll das Recht auf Abtreibung aufgehoben oder blockiert und eine inklusive Sprache bekämpft werden. Eine Rednerin, die US-amerikanische Aktivistin Lila Rosa, verglich die Zahl der jährlich durchgeführten Abtreibungen mit der Zahl der Toten im Zweiten Weltkrieg. Sie lobte Gesetzesentwürfe, die in mehreren Ländern bereits eingebracht wurden, die Föten Rechte und die Staatsbürgerschaft zugestehen würden, sowie Gesetzesentwürfe, die eine geschlechtsspezifische Sprache verbieten sollen. „Eine Person geschlechtsneutral ‚they‘ zu nennen oder die Bezeichnungen ‚Elternteil 1‘ und ‚Elternteil 2‘ zu verwenden, um die persönliche Identität zu schützen, ist für uns Ungarn genauso unbarmherzig wie es der Zwang im kommunistischen System war, andere ‚Genossen‘ zu nennen“, sagte Ádám Kavecsánszki, Vorsitzender der Stiftung für ein bürgerliches Ungarn. Die Organisation wurde 2003 von der extrem rechten Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán gegründet, um „christliche Werte“ zu fördern. Kavecsánszki fügte hinzu: „Die Mutter soll eine Frau sein, der Vater soll ein Mann sein. Wir hätten nie gedacht, dass wir über diese universelle und einfache Wahrheit diskutieren müssen“. „Beim diesjährigen Gipfel war es sehr auffällig, wie alle Redner*innen die gleichen Selbstzuschreibungen als Opfer wiederholten und sich selbst als die wahren und korrekten Interpreten und Verteidiger des UN-Menschenrechtssystems darstellten, die von progressiven Kräften angegriffen werden, die neue Rechte durchsetzen wollen“, sagte Kane.

Schwerpunkt Nachwuchsförderung

Die Ausbildung junger Menschen ist ein weiterer Pfeiler der PNfV-Vernetzung. Der brasilianische Abgeordnete Nikolas Ferreira, der der Familie des ehemaligen rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro nahe steht, sprach im Namen junger Menschen, von denen einige an einem sechsmonatigen, vom PNfV moderierten Online-Kurs mit dem Titel „Politische Führung in Zeiten des Wandels“ teilgenommen hatten. Dieser Kurs, der im April begann, vermittelte Studierenden, Multiplikator*innen und rechtsgerichteten religiösen Aktivist*innen aus der ganzen Welt Werkzeuge, Ressourcen und Verbindungen für die „Verteidigung von Leben, Familie und Freiheit“. Ferreira wurde kürzlich zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er die Abgeordnete und Transfrau Duda Salabert belästigt und beleidigt hatte. Salabert hatte als meist gewählte Frau in ihrem Bundesstaat einen Sitz im Kongress gewonnen. Ferreira droht ein weiteres Gerichtsverfahren wegen Transphobie, weil er einen transsexuellen Teenager in einer Toilette gefilmt haben soll, was er jedoch bestreitet, und Anfang dieses Jahres ordnete der Oberste Gerichtshof an, dass soziale Plattformen seine Konten sperren, „um die Verbreitung krimineller Äußerungen zu unterbinden.“

Kane von Ipas sagte: „Das PNfV ist bestrebt, eine rückschrittliche und falsche Auslegung der Menschenrechte zu befördern und durchzusetzen, die tatsächlich diskriminierend ist und gegen eben jene Universalität der Menschenrechte verstößt, die in der Allgemeinen Erklärung verankert ist.“

Dieser Artikel von Andrea Dip wurde zuerst veröffentlicht bei openDemocracy. Ute Löhning hat ihn mit deren freundlicher Genehmigung ins Deutsche übersetzt.

CC BY-SA 4.0 Gipfeltreffen des Political Network for Values im UN-Hauptquartier von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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