Der Titicacasee – Schmuggelparadies in den Anden

(6. Dezember 2022, desinformémonos) Der in den Höhen der Anden zwischen Peru und Bolivien liegende Titicacasee hat für die Menschen ganz unterschiedliche Bedeutungen. Für manche ist er das Zentrum des Universums, einer Legende nach ist er Geburtsort des Inkareichs und für manche einfach einer der größten Süßwasserseen der Erde. Heute ist er vor allem jedoch ein Knotenpunkt verschiedener krimineller Aktivitäten, bei denen alles mögliche gehandelt wird – von Drogen bis hin zu Fröschen. Die Regierungen beider Länder konnten den seit dem Ende der Corona-Pandemie stetig zunehmenden illegalen Geschäften bislang wenig entgegensetzen. Die Behörden tun sich schwer, weil die Schmuggelrouten über den See seit vielen Jahren etabliert sind. Das Überraschende dabei ist jedoch nicht die Menge an geschmuggelter Ware, sondern ihre Vielfalt. Von Treibstoff über Quecksilber, illegalem Wildfang und Lebensmitteln bis hin zu Personen – alles wird über den See und seine nur dürftig überwachten Ufer gebracht. Die US-amerikanische Journalismus-Plattform InSight Crime hat nun einen Bericht über die größten illegalen Operationen am Titicacasee und ihre Routen zwischen den beiden Ländern veröffentlicht.

Drogenhandel am Seeufer

Im peruanischen Grenzort Desaguadero kommen Ladungen von Kokain und Kokapaste an, von wo aus sie die Grenze nach Bolivien überqueren sollen. Der Ort befindet sich ganz im Süden des Sees und wird mittig vom Fluss durchquert, der dem Ort seinen Namen gegeben hat. Eine Recherche der bolivianischen Zeitung El Deber zeigte im September 2022, dass dutzende illegale Anlegerbrücken im See den Drogenhandel ermöglichen. Viele von ihnen, darunter auch der große Kai La Carroñera, werden von Schmuggler*innen Tag und Nacht angefahren. Oft liegen sie in der Nähe von Desaguadero, gut versteckt hinter den zum Teil über sechs Meter hohen Halmen des Totora-Schilfs. Im August haben bolivianische Behörden 27 Kilogramm Kokain in Desaguadero beschlagnahmt. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich im Juli, ein weiterer im Februar. Die konfiszierten Mengen sind zwar gering, wegen der zunehmenden Häufigkeit der Drogenfunde sind die Behörden aber alarmiert. An illegalen Landungsbrücken wie La Carroñera kommen zwar täglich alle möglichen Schmuggelwaren an. Seit der Corona-Pandemie haben aber vor allem die Kokain-Lieferungen zugenommen. Das bestätigt auch Iván Paredes Tamayo, Experte für illegalen Handel auf dem Titicacasee und in der umliegenden Region. Paredes erklärt gegenüber InSight Crime, dass Schmuggler*innen die Drogen in wasserdichten Päckchen von außen unter ihre kleinen Holzboote binden. So können sie die Pakete unentdeckt von den wenigen Patrouillen, die es hier gibt, über den See bringen.

Die Koka-Blätter, aus der das Kokain hergestellt wird, haben bereits einen langen Weg in Peru hinter sich, bevor sie in Bolivien ankommen. Ausgangsort ist oft der nördlich des Sees gelegene Ort Sandia in der Provinz Puno. Über den Wasserweg gelangen die Blätter nach Copacabana und Puerto Acosta am bolivianischen Ufer. Von dort aus bringen es junge Schmuggler*innen in größere Städte wie La Paz, schreibt die bolivianische Zeitung Público. Der Transport von West nach Ost hat sich seit Langem etabliert, denn die Blätter und auch das Endprodukt aus Peru lassen sich jenseits der Grenze teurer verkaufen. Paredes stellt fest, dass die Kokain-Routen seit der Corona-Pandemie auch deshalb sehr viel häufiger genutzt werden, weil beiden Ländern seither weniger Budget für Grenzkontrollen zur Verfügung steht. Sowohl Peru als auch Bolivien haben in der Vergangenheit zwar schon versucht, den Drogenhandel einzudämmen, jedoch ohne Erfolg. Die Schmugglerbanden sind mächtig genug, um den Handel jedes Mal wieder aufzunehmen, sobald die Behörden sich zurückziehen.

Geschäfte mit Lebensmitteln

Neben dem Handel mit Kokablättern und Kokain werden auch noch andere Waren von La Carroñera aus verfrachtet. So schrieb El Deber im September, Grenzbeamte hätten Agrarprodukte, etwa Kartoffeln oder Zwiebeln, als am häufigsten geschmuggelte Ware ausgemacht. Auch Paredes bestätigt, dass Kartoffeln zu einem wichtigen Standbein für Schmuggler*innen geworden sind. “Sie kommen um jede Tages- und Nachtzeit an. Man findet sie dann auf den Märkten in La Paz, Cochabamba, überall”, berichtet er und weist einmal mehr auf die Preisunterschiede hin, die Ursache für den illegalen Handel sind. Peruanische Kartoffeln sind deutlich günstiger als bolivianische. Das sorgt für einen stetigen Anstieg des Handelsvolumens. Gleichzeitig weiten sich die illegalen Aktivitäten auch auf andere Lebensmittel aus. Allerdings ist dies keine neue Entwicklung: Bolivien beschwert sich regelmäßig darüber, dass der Schmuggel mit Lebensmitteln die heimische Landwirtschaft bedrohe.

Im Jahr 2022 beschlagnahmte das Militär am Titicacasee eine große Bandbreite an Lebensmitteln, sowohl auf dem Wasser als auch auf den Straßen um den See herum. Darunter befanden sich Kartoffeln, Erdbeeren, Avocados und vieles mehr. Ein konfiszierter LKW beinhaltete mehr als 100 Kisten Lebensmittel mit einem Wert von über 10.000 US-Dollar, so eine Pressemitteilung des bolivianischen Militärs. Nach Angaben der Behörde für Lebensmittelsicherheit (Servicio Nacional de Sanidad Agropecuaria e Inocuidad Alimentaria, Senasag) wurden zwischen Januar und März 2022 etwa 387 Tonnen Lebensmittel beschlagnahmt. Von Peru werden sie meistens zu bolivianischen Märkten am äußersten Ostufer des Sees transportiert. Einige gelangen jedoch auf etablierte Schmugglermärkte, wie etwa den weiter westlich gelegenen Markt in Virupaya im Departamento Puerto Acosta. In dieser Gegend wurden auch schon Rind- und Ziegenfleisch in Beschlag genommen. Das sei ein Hinweis auf eine sehr große Bandbreite an Schmuggelware, so der Vizeminister des Kampfes gegen Schmuggel (Viceministro de lucha contra el contrabando), Daniel Vargas Carrasco, gegenüber der bolivianischen Zeitung La Razón.

Langjähriger Treibstoffhandel

Bei Kraftstoff verläuft der Warenfluss genau umgekehrt. Seit Jahren schon bringen Schmuggler*innen auf den oben beschriebenen Routen Diesel und Benzin von Bolivien nach Peru. Denn aufgrund staatlicher Subventionen ist der Treibstoff in Bolivien billiger. Im Oktober 2022 beschlagnahmte die bolivianische Marine 200 Liter Benzin, zwei Segelschiffe und 10 Rinder, schreibt die bolivianische Zeitung El Día Digital. Der Zugriff der Behörden zeigte, dass der Schmuggel hier unvermindert weitergeht, nachdem  La Razón bereits 2014 berichtet hatte, dass Treibstoff auf illegalen Wegen von La Paz bis auf die Schmugglermärkte in den Grenzorten Virupaya, Jankho Jankho und Patacaile gelangt. Diese finden mittwochs und samstags statt und bieten eine große Bandbreite an Produkten. Laut El Deber widmen sich ganze Familien nur dem Schmuggel von Treibstoff, allem voran Diesel und Flüssiggas. Der Experte Paredes sagte gegenüber InSight Crime, dass die fehlende Kontrolle des Gebietes dazu geführt habe, dass kleine Mafias entstanden sind, die seit Jahren völlig frei operieren können.

Der Handel floriert aber nicht nur wegen der fehlenden Kontrollen, sondern auch wegen eines einfachen wirtschaftlichen Prinzips. Gegenüber InSight Crime bestätigte Paredes, dass sich ein Benzinkanister aus Bolivien für das Dreifache in Peru verkaufen lässt – manchmal sogar noch mehr. In Desaguadero zum Beispiel “kann ein Kanister bis zu 14,42 US-Dollar kosten und in Bolivien kriegt man ihn schon für 3,17 US-Dollar”, erklärt Paredes. Zudem können Schmuggler*innen im Kraftstoffhandel die risikoreiche Geldwäsche umgehen. Paredes berichtet auch vom Tauschhandel von Drogen gegen Kraftstoff. Ein Geschäft, das nicht mit allen illegalen Produkten möglich ist. Kokain und Benzin seien aber von so hohem Wert, dass sich die Waren tauschen lassen und kein Geld mehr gewaschen werden muss.

Was Menschenhandel mit illegalem Bergbau zu tun hat

Die Handelsrouten aus Bolivien heraus sind jedoch keineswegs auf den Kraftstoffexport limitiert. Offenbar bringen lokale Banden von Puerto Acosta aus auch bolivianische Frauen und Mädchen zur peruanischen Grenze. Über die Juliaca-Moho-Straße im Nordwesten des Sees werden sie dann in Lastwagen in den peruanischen Ort Juliaca gebracht. Dies geschieht meist gegen ihren Willen oder unter falschen Vorwänden. In illegalen Goldminen wie Madre de Dios und Puno werden sie dann sexuell ausgebeutet. Die Grenze zu überwinden, ist für Menschenhändler*innen keine große Herausforderung. Bolivien führt kaum Grenzkontrollen durch. Einem Bericht von El Deber zufolge können Fahrzeuge einfach an den Zollposten vorbeifahren und binnen 15 Minuten die Grenze nach Peru überqueren. Auf der peruanischen Seite gebe es zwar mehr Kontrollen, aber auch diese seien spärlich. Die staatliche Ombudsstelle für Menschenrechte in Bolivien (Defensoría del Pueblo de Bolívia) hat Zahlen veröffentlicht, die zeigen, dass der Menschenhandel im Land bis zum September 2022 um 8,1 Prozent im Vergleich zu 2021 gestiegen ist. Die Mitteilung enthält auch eine Polizeistatistik, die besagt, dass 63 Prozent aller Betroffenen weiblich sind. Wiederum 43 Prozent von ihnen sind zwischen 11 und 20 Jahren alt.

Das peruanische Investigativmedium OjoPúblico hat kürzlich recherchiert, welche Ausmaße der illegale Handel mit Quecksilber hat. Das Metall wird von Bolivien aus zu illegalen Minen in Peru transportiert. Im Jahr 2021 schätzte das bolivianische Bergbauministerium, dass 26,9 Prozent (etwa 52 Tonnen) des gesamten nach Peru geschmuggelten Quecksilbers dazu dienten, illegal Gold zu schürfen. Wieder steht Desaguadero im Zentrum dieses Handels. Schmuggler*innen nutzen die nahe der Stadt gelegenen Landebrücken im See oder überqueren den Fluss Desaguadero in Richtung Peru. Peruanische Behörden sagten gegenüber OjoPúblico, dass sie bei den Schmuggler*innen schon Quecksilber in Rucksäcken und Koffern gefunden hätten.

Frösche und Fische in Gefahr

Der Titicacasee ist auch die Heimat des Titicaca-Riesenfroschs. Dieser gehört zu den bedrohten Arten und steht nach peruanischem Gesetz eigentlich unter Schutz. Doch wird er gefangen und geschmuggelt für die Herstellung von Brühen, Mixturen und Extrakten. „In ganz Peru werden ihm medizinische Eigenschaften nachgesagt, die nicht bewiesen sind,“ schreibt das auf Umweltthemen spezialisierte peruanische Medium Inforegión. Der Handel mit der Froschart findet nicht in solchen Mengen statt wie der mit Lebensmitteln oder Drogen. Doch ist er in Peru weit verbreitet. So wurden schon Frösche in Arequipa, Puno und Ate beschlagnahmt sowie auf Routen des internationalen Tierschmuggels, berichtet das Portal Extinción Animal. Im vergangenen Mai wurde ein LKW konfisziert, der 1.750 Frösche nach Lima transportieren sollte. Die Zollbeamt*innen übergaben die in Holzkisten eingepferchten Tiere der Nationalagentur für Forst und Wildleben (Servicio Nacional Forestal y de Fauna Silvestre, Serfor), damit sie wieder in ihrem natürlichen Lebensraum ausgesetzt werden konnten. Die Agentur schätzt, dass zwischen 2012 und 2019 rund 15.000 Frösche beschlagnahmt wurden. Das peruanische Umweltministerium bestätigt, dass der Riesenfrosch somit in diesem Zeitraum eines der am meisten geschmuggelten Tiere war.

Auch die Fischpopulationen im See sind durch übermäßigen Fang bedroht. Einige sind bereits ausgestorben, berichtet die spanische Zeitung El País. Fischer*innen ignorieren die bestehenden Schonzeiten. Sie versuchen verzweifelt, aus den ohnehin schon schwindenden Beständen noch Fische zu fangen und bewegen sich somit in einem Teufelskreis. Das Problem verschärft sich noch, indem auch Regelungen zu den Mindestmaßen der gefangenen Fische seit Jahren missachtet werden. Fehlen zu viele junge Fische in den Populationen, gefährdet dies die Reproduktionszyklen und der Bestand schwindet weiter.

Übersetzung: Patricia Hänsel

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