(Mexiko-Stadt, 2. Juli 2018, taz/poonal).- Der konservativ-liberale Kommentator Enrique Krauze, Feindbild aller mexikanischen Linken, nannte ihn einmal den „tropischen Messias“, er selbst vergleicht sich gerne mit den historischen Helden seines Landes. Etwa mit Benito Juárez, jenem Reformer aus dem 19. Jahrhundert, der sich für einen laizistischen Staat einsetzte und den von Napoleon zum Kaiser Mexikos ernannten Habsburger Maximilian I hinrichten ließ.
Kleine Brötchen wollte Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO, nie backen. 1988 verließ er die ehemalige Staatspartei PRI und gründete mit anderen Abtrünnigen die linke PRD. Drei Jahre lang saß er der Partei vor, um sich ab 2000 als Bürgermeister von Mexiko-Stadt einen guten Namen zu machen: Er führte Lebensmittelgutscheine für bedürftige Alte ein, gründete eine neue Universität und lockte Investoren an. Unter seiner Regierung wurde das Zentrum der Hauptstadt mit Unterstützung von Mexikos reichstem Mann, Carlos Slim, gentrifiziert.
Schon damals bestand also kein Grund, eine sozialistische Revolution zu befürchten. Dennoch gab es offensichtlich starke Kräfte, die den Linken nicht im höchsten Staatsamt sehen wollten. Vieles spricht dafür, dass er als Präsidentschaftskandidat 2006 durch Wahlbetrug um seinen Sieg gebracht wurde. Hunderttausende seiner Anhänger*innen gingen damals auf die Straße und forderten, die Urnen erneut auszuzählen – allerdings ohne Erfolg. Auch 2012 konnte der Linke nicht punkten. Damals setzte sich der PRI-Politiker Enrique Peña Nieto durch.
Seltsame Koalitionen, autoritärer Führungsstil
Beim dritten Anlauf sollte es nun endlich klappen. Doch AMLO ist nicht mehr der risikofreudige Politiker, der seine Gegner*innen herausfordert, als wären Wahlen persönliche Wettbewerbe. Längst hat auch er, ganz die alte PRI-Schule, vor allem das Ziel, an die Macht zu kommen. Dafür koaliert er mit Fundamentalist*innen der evangelikalen Partei PES und alten PRI-Kadern, die der Partei einst wegen des neoliberalen Kurses den Rücken kehrten. Kritiker*innen, die mit ihm gearbeitet haben, bescheinigen ihm einem autoritären Führungsstil. Sein Vorteil: Im Gegensatz zu seinen Gegner*innen der PRI und der konservativen PAN hat er eine reine Weste. Er gilt als ehrlich. „Geld interessiert mich nicht, ich kämpfe für Prinzipien und Ideale“, sagt er. Viele nehmen ihm das ab.
Freilich sind zahlreiche seiner Parolen leere Wahlversprechen, darin unterscheidet er sich nicht von seinen Konkurrent*innen. Er selbst dürfte kaum ernst nehmen, dass er innerhalb von drei Jahren mit der Korruption Schluss macht – in einem Land, in dem korrupte Strukturen tief in die Gesellschaft eingeschrieben sind. Und auch er weiß genau, dass seine sozialen Versprechungen allein durch die Korruptionsbekämpfung und ohne Steuererhöhungen nicht zu finanzieren sind.
Fast alle Gemeinden Mexikos besucht
Ihn jedoch deshalb, wie Krauzes „tropischer Messias“ unterstellt, als autoritären Populisten im Stil des ehemaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez abzutun, wird AMLO und vor allem seinen Wähler*innen nicht gerecht. López Obrador war der Kandidat der Deklassierten. Im Laufe der letzten Jahre hat er fast alle der 2.464 Gemeinden Mexikos besucht und damit eine enge Bindung an die Ärmsten der Armen geschaffen. Seine Polemiken gegen die „Mafia an der Macht“ lassen die ewigen Verlierer*innen hoffen, dass mit ihm der alltägliche Betrug, die ständigen Demütigungen und die unendliche Gewalt zumindest eingedämmt werden.
Auch außerparlamentarische Linke, Menschenrechtsaktivist*innen und Feministinnen haben López Obrador gewählt, wohl wissend um die Widersprüchlichkeit seiner Politik. Natürlich gefallen ihr die Bündnisse mit den Evangelikalen und den PRI-Kader nicht, erklärt etwa Lucia Lagunes von der feministischen Presseagentur CIMAC. Doch Lopez Obrador verspreche soziale Verbesserungen, zudem erhielten einige Frauen aus feministischen Kreisen politische Führungsposten.
„Letztlich liegt es aber weiterhin an der Zivilgesellschaft, demokratische Strukturen durchzusetzen“, sagt sie. Das sei auch jetzt das Gebot der Stunde. Wie eine große Mehrheit der Mexikaner*innen verschiedenster gesellschaftlichen Schichten ist auch für sie unstrittig: So wie es ist, kann es nicht mehr weitergehen. Und López Obrador verspricht zumindest die Hoffnung auf einen Wandel.
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