von Instituto Humanitas Unisinos (IHU)
(Fortaleza, 21. Oktober 2012, adital-poonal).- Interview mit Lara Montenegro, Koordinatorin des Netzwerks Rede Cerrado, das sich für Naturschutz und nachhaltige Entwicklung einsetzt.
Wie ist die momentane Situation im Cerrado, in der artenreichsten Savanne der Welt?
Der Cerrado nimmt fast ein Viertel der Fläche Brasiliens ein, etwa zwei Millionen Quadratkilometer. Mehr als die Hälfte davon ist bereits zerstört. Und auch in viele jener Gebiete, die noch über eine Vegetationsdecke verfügen, greift der Mensch ein. Sie stehen unter großem Druck aufgrund der Nachfrage der großen Agrarunternehmen nach Land.
Die extensive Viehzucht stellt eine weitere große Bedrohung für den Cerrado dar. Zehn Prozent der hierfür genutzten Fläche von 42.000 Quadratkilometern sind bereits ruiniert. Die Produktivität ist hierbei allerdings sehr niedrig: Statistisch kommt auf einen Hektar nur ein Nutztier.
Was den Erhalt des Cerrado betrifft, so gibt es verschiedene Strategien. Das Netzwerk Rede Cerrado hält es für entscheidend, traditionelle Lebensweisen zu fördern, welche auf eine nachhaltige Nutzung der Biodiversität zielen. Land und Zugang zu Ressourcen müssen für bäuerliche Familienbetriebe und indigene Gemeinschaften sichergestellt werden. In diesem Zusammenhang spielt die Demarkierung von indigenem Land eine wichtige Rolle.
In den vergangenen Jahren ist der Anbau von Eukalyptus im Cerrado deutlich angestiegen. Lässt sich die Anbaufläche schätzen?
2010 belief sich die Fläche, auf der in Brasilien Eukalyptus und Kiefern angepflanzt wurden, auf mehr als 65.000 Quadratkilometer. Das ist mehr als die Fläche der beiden Staaten Rio de Janeiro und Sergipe zusammen genommen. Im Cerrado nehmen diese Monokulturen immer mehr Raum ein, vor allem im Norden von Minas Gerais und im Süden von Bahia. Während nur wenige Arbeitsplätze entstehen, verursachen die Monokulturen viele ökologische und soziale Probleme. Die Bäume wachsen sehr schnell und werden sehr dicht gepflanzt, so dass sie viel Wasser brauchen. Oft führt dies zur Erschöpfung von Quellen.
Außerdem verschlechtert sich die Bodenqualität und die Biodiversität nimmt ab. Häufig verursachen die Eukalyptus-Plantagen eine Isolierung der Gemeinden und verhindern somit den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen. Regierungspläne sehen vor, die Anbaufläche bis zum Jahr 2020 um 30.000 Quadratkilometer zu erweitern. Beim Anbau von Zuckerrohr kommt hinzu, dass Sklavenarbeit oder sklavenähnliche Arbeit praktiziert wird.
Dieses Thema darf in der Diskussion über die Strategie der brasilianischen Regierung, Biokraftstoffe im großen Maßstab zu fördern, nicht aus den Augen verloren werden. Wie haben die Bewohner*innen des Cerrado das Land traditionell genutzt?
Viele Gemeinden haben die reichen Ressourcen des Cerrado, wie Früchte oder Palmen, nicht nur als Nahrungsmittel, sondern auch für Naturkosmetik oder Kunsthandwerk genutzt. Zugleich betreiben sie Naturschutz. Es handelt sich um Kenntnisse, die von Generation zu Generation weitergereicht werden. Die Verbindung aus Familienlandwirtschaft und Nachhaltigkeit hat gute Ergebnisse erbracht. Die Umwelt wird erhalten und zugleich Einkommen und Lebensqualität für die Menschen auf dem Land geschaffen. Agrarökologische Praktiken sind auf dem Vormarsch. Grundsätzlich stellt sich heraus – übrigens nicht nur in Brasilien – , dass von Indigenen bewirtschaftete Wälder im Allgemeinen besser erhalten sind. Dies lässt sich mit Satellitenbildern leicht beweisen. Übrigens stehen nur 2,8 Prozent des Fläche des Cerrado unter vollständigem Naturschutz. Seit über sieben Jahren sind keine neuen Gebiete dazugekommen.
Werden im Cerrado, wie andernorts in Brasilien, Indigene und Quilombola (Nachfahren afrikanischer Sklaven) vertrieben?
Das auf dem Land vorherrschende Produktionsmodell hat zahllose Konflikte verursacht und für die Isolierung und den Verlust von Land der indigenen Völker in ganz Brasilien gesorgt. Diese werden ebenso wie Bauernfamilien von ihrem Land vertrieben, sie leiden unter ständiger Bedrohung. Es kam zu zahllosen Morden an indigenen AnführerInnen, die von den zuständigen staatlichen Stellen nicht in angemessener Weise untersucht wurden.
Die Fälle in Mato Grosso und Mato Grosso do Sul zum Beispiel sind einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Es zeigt sich, dass die wirtschaftliche Macht und die Interessen der Agrarindustrie mit lauterer Stimme sprechen als jene, die ihr Recht auf Anerkennung ihres Landanspruchs einfordern. Um den Kampf ihrer Gegner*innen zu schwächen, zünden Latifundienbesitzer*innen umstrittenes Land an und holzen es ab.
Sie haben mit dem Rede Cerrado an einem Treffen mit Brasiliens Umweltministerin Izabella Teixeira teilgenommen. Wie sieht deren Haltung zum Cerrado aus?
Die Ministerin betonte die Bedeutung des Cerrado und der Caatinga, die nicht in gleicher Weise sichtbar sind wie das Amazonasgebiet und die Mata Atlântica (atlantischer Regenwald). Das Umweltministerium macht sich Sorgen bezüglich der Kontrolle der Brände im Cerrado. Was das in der brasilianischen Regierung insgesamt vorherrschende Verständnis betrifft, so wird eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts angestrebt.
Innerhalb dieser Wachstumsstrategie stellt der Cerrado die wichtigste Front für die Expansion der Agrarindustrie dar. Anschaulich wird dies daran, dass die Kreditlinien des Landwirtschaftsministeriums für die Großproduzent*innen jene deutlich in den Schatten stellen, welche das Ministerium für Agrarentwicklung an landwirtschaftliche Familienbetriebe vergibt. Dabei sind es die Familienbetriebe, die 70 Prozent der Lebensmittel herstellen, die auf die Tische der Brasilianer*innen kommen.
Was das Umweltministerium für den Cerrado tut, kommt nur langsam voran. Dies gilt zum Beispiel für das 2005 ins Leben gerufene Nachhaltigkeitsprogramm (Programa Cerrado Sustentável), für dessen Umsetzung es an Budgetgeldern fehlt. Wie ich bereits erwähnte, wurde seit sieben Jahren im Cerrado kein neues Naturschutzgebiet geschaffen. Daran lässt sich erkennen, dass der Erhalt des Cerrado für die brasilianische Regierung alles andere als Priorität besitzt.
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