Ein Gesetz für menschenleere Landschaften: Naturschutzgebiete in indigenen Territorien

von Ana de Ita, Mexiko-Stadt

(Berlin, 15. Januar 2011, la jornada/npl).- Während weltweit die Anstrengungen steigen, Regionen mit hoher biologischer Vielfalt zu erhalten, wächst bei indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften der Widerstand gegen die Einrichtung von Naturschutzgebieten in ihren Territorien. Eine Politik, die versucht die noch am besten erhaltenen Regionen des Planeten zu erhalten, steht häufig den Rechten der indigenen Völker entgegen. In vielen dieser Regionen ist die biologische Vielfalt heute nur deshalb noch so groß, weil indigene Völker sie wiederherstellten, schützten und aufrechterhielten.

Die Hälfte des mexikanischen Territoriums befindet sich im Besitz von Ejidos (ein etwa der Allmende vergleichbarer kollektiver Landbesitz der Gemeinden, von dem Mitglieder Parzellen pachten können, Anm. d. Red.) und Agrargemeinden. Dieses Land ist Heimat von Kleinbauern, Kleinbäuerinnen und indigenen Völkern.

Per Naturschutzdekret enteignet

Und obwohl der Naturschutzdiskurs durchaus Übereinstimmungen mit indigenen Konzepten aufweist, haben sich Naturschutzgebiete ANP (áreas naturales protegidas) zu einer Bedrohung für ihre Territorien entwickelt, zu einer Bedrohung ihrer Autonomie bzw. ihrer freien Selbstbestimmung – den wichtigsten Forderungen der indigenen Völker.

Naturschutzgebiete werden auf der Grundlage von Dekreten eingerichtet, die unterschiedlichste Verwaltungsebenen der Regierung erlassen können. Da Schutzgebiete von öffentlichem Interesse sind, kann ihre Einrichtung auch zu Enteignungen führen. Die Rechte der Besitzer*innen sind juristisch den Bestimmungen der Dekrete untergeordnet und unterliegen dem Programm-Management des Naturschutzes sowie der ökologischen Flächenordnung.

Zudem genießen die Besitzer*innen keinen Vorzug gegenüber anderen Akteur*innen oder beteiligten sozialen Gruppen, weil sie lediglich als eine der so genannten Interessengruppen (Stakeholders) angesehen werden. Die Besitzer haben auch kein Vetorecht und es wird ihnen auch nicht die freie vorherige informierte Zustimmung für Angelegenheiten garantiert, die ihre Territorien betreffen, selbst wenn es sich um indigene Völker handelt.

Erdölförderung und Bergbau trotzdem erlaubt

Mit der Einrichtung von Naturschutzgebieten ist auch keinesfalls garantiert, dass Naturschutzziele Vorrang vor anderen, wirtschaftlichen Interessen haben, die die Umwelt stark kontaminieren. So sind Aktivitäten wie die Erdölförderung oder der Abbau von Mineralien ebenso wenig untersagt wie die Ausbeutung von Wasservorkommen oder jedweden anderen Ressourcen durch irgendeinen wirtschaftlichen Akteur. Eingefordert wird lediglich, dass deren Tun keine Beeinträchtigung des ökologischen Gleichgewichts mit sich bringt.

Staatliche Stellen, internationale Naturschutzorganisationen und auch Privatunternehmen, die in die Verwaltung von Naturschutzgebieten involviert sind, entziehen den Vollversammlungen der Ejidos und den Mitgliedern von Agrargemeinden die Kontrolle über Entscheidungen, die das Territorium und die Nutzung der Ressourcen dieser Gebiete betreffen. Aus diesem Grund werden die Schwierigkeiten bei der Einrichtung von Schutzgebieten immer größer.

Kompromiss: Freiwillige Schutzgebiete

Bis zum Jahr 2010 verwaltete die Nationale Kommission der Naturschutzgebiete CONANP (Comisión Nacional de Áreas Naturales Protegidas) 174 Naturschutzgebiete mit einer Fläche von 25,4 Millionen Hektar. Laut einer Studie der Weltbank liegen 95 Prozent der Naturschutzgebiete auf gemeinschaftlich – durch Ejidos oder Agrargemeinden – genutzten Territorien.

Damit sind Naturschutzgebiete de facto zum „Besitzer“ von 23 Prozent der Fläche geworden, die bislang Gemeinschaftseigentum gewesen war. Mindestens 71 Naturschutzgebiete befinden sich auf Territorien von 36 indigenen Völkern. Mindestens 60 der insgesamt 152 für den Naturschutz als vorrangig erachteten Regionen, die sich auf eine Fläche von 51,6 Millionen Hektar belaufen, überschneiden sich mit indigenen Territorien.

Ende der Achtziger Jahre sahen sich die Bestrebungen der Regierung, Naturschutzgebiete einzurichten mit dem Widerstand von Ejidos und Agrargemeinden konfrontiert, weshalb diesen die Einrichtung von freiwilligen Schutzzonen vorgeschlagen wurde. In 15 Bundesstaaten bestehen derzeit 177 freiwillige Schutzgebiete auf einer Fläche von insgesamt 208.000 Hektar. Mindestens neun indigene Völker sind an diesen Schutzgebieten beteiligt.

Der Trick mit dem geänderten Bundesgesetz

Die Mehrzahl dieser freiwilligen Schutzgebiete – insgesamt 79 – befindet sich im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Doch im Jahr 2008 änderte man das Allgemeine Gesetz zum Ökologischen Gleichgewicht und Schutz der Umwelt LGEEPA (Ley General del Equilibrio Ecológico y Protección al Ambiente).

Das Bundesgesetz wies nun die freiwilligen Schutzgebiete als eine zusätzliche Kategorie von Naturschutzgebieten aus und erklärte sie zu Gebieten von öffentlichem Interesse, die in die Zuständigkeit von Bundesbehörden fallen und dehnte deren Regularien auf freiwillige Schutzzonen aus. Damit wurden Zuständigkeiten und Regelungen für diese Gebiete festgeschrieben, die betroffene Gemeinden bislang zu verhindern suchten.

Dies führte zu heftigen Konflikten zwischen den Gemeinden und der CONANP, denn nun standen sich in den Regionen zwei Naturschutzmodelle und zwei Regierungsstrukturen gegenüber: Naturschutz, der von den Gemeinden selbst kommt und dessen Regularien auf Beschlüssen der Gemeindevollversammlung beruhen sowie Naturschutz, der von außen übergestülpt wird und mit dem versucht wird, Entscheidungen über das Territorium zu treffen.

Kommando zurück?

Wenn die Gemeinden daraufhin versuchten, die von ihnen getroffenen Vereinbarungen im Rahmen der freiwilligen Zertifizierung von Naturschutzgebiete zu beenden, stellten sie fest, dass diese Regelungen vertraglich bindend sind und die Gemeinden entweder warten müssen bis der vereinbarte Zeitrahmen abgelaufen ist oder aber eine technische Studie zu finanzieren hätten, mit der ihre Ablehnung der Vereinbarung gerechtfertigt würde.

Vertreter*innen verschiedener indigener Völker: der Kuna, Kichwa, Kayampi, Q’eqchi aus Livingstone, Bene Gulash und der Nu Savi versandten 2010 im Vorfeld der 10. Gipfelkonferenz der UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt (COP 10) im japanischen Nagoya und der 16. UN-Klimakonferenz (COP 16) im mexikanischen Cancún die sogenannte „Erklärung von Heredia“. Darin fordern sie, dass Naturschutzgebiete nicht mehr in indigenen Territorien eingerichtet und bisher existierende Schutzgebiete aufgehoben werden. Entsprechenden Ländereien und Territorien, sollen den vertriebenen Gemeinden und Völkern zurückgegeben werden.

Die Einrichtung von Naturschutzgebieten scheint grundsätzlich auf der Annahme zu basieren, dass die indigenen und bäuerlichen Territorien brachliegende und menschenleere Ländereien sind.
 

[Der Originalartikel erschien am 15. Januar 2011 unter dem Titel “Ley de baldíos: áreas naturales protegidas en territorio indígena” in der mexikanischen Tageszeitung “La Jornada”.]

Tipp zum Weiterlesen:

Bauern stören nur – Naturschutz auf mexikanisch.
Unter dem Deckmantel des Umweltschutzes wird die bäuerliche Bevölkerung schikaniert | von Gerold Schmidt | ila 344

Raub im Namen des Umweltschutzes.
Wie die Erichtung von Naturschutzgebieten indigene Rechte verletzt | von Gerold Schmidt
| ila 344

 

 

CC BY-SA 4.0 Ein Gesetz für menschenleere Landschaften: Naturschutzgebiete in indigenen Territorien von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert