(Magallanes, 18. Februar 2022, desinformémonos).- Mit dem Tod von Christina Calderón hört das Yagán, die südlichste Sprache der Welt, auf zu existieren. Die letzte Muttersprachlerin aus der indigenen Gemeinschaft der Yagán ist am 16. Februar im Alter von 93 Jahren in Magallanes im Süden Chiles gestorben.
Die Sängerin, Ethnografin und Schriftstellerin Calderón widmete einen großen Teil ihres Lebens der Erhaltung der Kultur der Yagán und setzte sich für die Verbreitung ihrer Sprache, Geschichte und Legenden ein. Mit ihrem Tod stirbt die südlichste Sprache der Welt aus und hinterlässt als einziges Referenzwerk ein Wörterbuch vom Yagán ins Spanische, das Calderón vor ihrem Tod mit ihrer Enkelin verfasst hat.
Calderón war ein „lebender menschlicher Schatz“
Calderón, die sieben Kinder und 14 Enkelkinder hinterlässt, deren Muttersprache nicht das Yagán ist, erhielt zu Lebzeiten von der chilenischen Regierung den Titel „lebender menschlicher Schatz“. Die Auszeichnung wird in Chile an Bewahrer*innen des immateriellen Kulturerbes vergeben. Calderóns jüngste Tochter Lidia Gonzáles Calderón machte den Tod ihrer Mutter publik. Sie gehört zu den 155 Vertreter*innen, die im Verfassungskonvent derzeit eine neue chilenische Verfassung ausarbeiten. „Mutter, für die Yagán hinterlässt dein Tod eine unersetzbare kulturelle, menschliche und emotionale Lücke. Es liegt jetzt an uns, dein Andenken und damit auch das deines Volkes zu bewahren“, sagte sie.
Auch der zukünftige chilenische Präsident Gabriel Boric betrauert den Tod Calderóns, die 2010 im Rahmen der Zweihundertjahrfeier der chilenischen Republik geehrt wurde. Er sagte, dass ihre Lehren und ihr Kampf „für immer weiterleben werden.“
Spätfolgen der Kolonisierung
Die Yagán, das südlichste indigene Volk der Erde, leben im äußersten Süden Chiles. Ihm gehören der letzten Volkszählung zufolge etwa 1.600 Menschen an. In den vorangegangenen Jahrhunderten bewohnten die Yagán die Inselgruppen ganz im Süden des amerikanischen Kontinents, entlang der Südküste Feuerlands und zwischen dem Beagle-Kanal und Kap Hoorn. Ihre Sprache, das Yagán, besteht aus 32.400 Wörtern, was verglichen beispielsweise mit den 5.000 Wörtern, die eine spanischsprachige Person in ihrem Alltagsgebrauch verwendet, enorm viel ist.
Trotzdem galt das Yagán schon seit Jahrzehnten als vom Aussterben bedrohte Sprache, da Mischehen zwischen Kolonisator*innen und Indigenen, die Evangelisierung und der kulturelle Druck der Kolonisierung die Tradition der mündlichen Überlieferung unterbrochen haben. Außerdem gehörte das Yagán zu den „isolierten“ oder „nicht klassifizierten“ Sprachen, da es keiner bekannten Sprachfamilie angehörte und keine Verbindungen zu anderen lebenden Sprachen aufwies. Das erschwerte die Feststellung der Herkunft der Wörter, der Struktur und der Grammatik der Sprache. Das chilenische Museum für präkolumbische Kunst hatte lediglich feststellen können, dass ihr Vokabular mit der Natur des südlichen Chilees verbunden war.
Ein Vermächtnis der südlichsten Sprache der Welt
Als im Jahr 2003 Cristina Calderóns Schwester Úrsula verstarb, musste Cristina feststellen, dass sie nun als einzige übriggeblieben war und niemanden mehr hatte, mit dem sie sich in ihrer Muttersprache unterhalten könnte. Das bewog sie dazu, ein Vermächtnis zu hinterlassen: Gemeinsam mit ihrer Enkelin verfasste sie ein Wörterbuch vom Yagán ins Spanische und gab eine Sammlung von Märchen und Gedichten der Yagán heraus, das den Titel Hai Kur Mamašu Shis (Ich will dir eine Geschichte erzählen) trug. Ob dieses Material nun der Ausgangspunkt für eine weitere Systematisierung und Wiederbelebung des Yagán sein könnte, bleibt abzuwarten. Calderóns Tochter hält das jedenfalls nicht für ausgeschlossen.
Hier gibt es ein kurzes Video über Cristina Calderón auf Spanisch und Yagán.
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