Von Luis Hernández Navarro
(Mexiko-Stadt, 23. Mai 2017, la jornada).- Miguel Vázquez Torres wurde von einer Gruppe von Auftragsmördern in dem Ort Kuruxi Manuwe (Tuxpan de Bolaños), im nordmexikanischen Bundesstaat Jalisco umgebracht. Am 20. Mai, gegen sechs Uhr nachmittags, schossen sie mit großkalibrigen Waffen auf ihn. Die Mörder flohen auf einem Pickup der Marke Toyota Tacoma. Schwerverletzt wurde Miguel zu einem Gesundheitszentrum gebracht, aber er überlebte nicht. Dort töteten dieselben Angreifer auch seinen Bruder Agustín.
Miguel war 30 Jahre alt und Grundschullehrer in der Gemeinde Barranquillas. Von 2014 bis März 2017 stand er dem Kommissariat für Gemeindeland der Ethnie der Wixárika (auch Huicholes genannt, Anm. d. Ü.) in San Sebastián Teponahuaxtlán vor. Das ist ein abgelegenes indigenes Territorium, zu dem Tuxpan de Bolaños gehört und liegt etwa 350 Kilometer nordwestlich von Guadalajara,. In seiner Funktion stieß Miguel Vázquez Gesundheits-, Bildungs-, Entwicklungs- und Infrastrukturprogramme in der Zone an. Sein 40-jähriger Bruder Agustín engagierte sich in der Gemeinde und war ein Menschenrechtsverteidiger und Förderer der indigenen Rechte.
Die Wixárika von San Sebastián führen bereits einen langen Kampf, um ihr Land zu verteidigen bzw. zurückzugewinnen. Dieses wurde von Mestizen (Nachfahren von Weißen und Indigenen, Anm. d. Red.) aus Huajimic und Puente de Camotlán des Landkreises La Yesca im Nachbarbundesstaat Nayarit besetzt. In der Amtszeit von Miguel gelang es der Gemeinde, am 22. September 2016 die Landstücke Piedra Bola und Bola Negra an den Hängen des Pajaritos-Gebirges wieder in Besitz zu nehmen. Dies war Teil eines größeren Prozesses, um insgesamt 10.000 Hektar Gemeindeland, das von Viehzüchtern in beschlag genommen wurde, wieder unter indigene Kontrolle zu bekommen.
Mörder aus dem Umfeld des Drogenkartells und des früheren Staatsanwalts
Die Mörder der Brüder Vázquez Torres arbeiten für das Drogenkartell Jalisco Nueva Generación (CJNG), zu dem der frühere Generalstaatsanwalt von Nayarit, Édgar Veytia, alias El Diablo (“der Teufel“), gehört. Er ist erklärter Feind der Wixárika und Verbündeter der Viehzüchter von Huajimic. Mitten im Konflikt schlug der Staatsanwalt Édgar Veytia den mestizischen Viehzüchtern vor, die Landforderungen der Wixárika mittels fingierter Anklagen wie Viehdiebstahl und Mohnanbau niederzuschlagen. Er sagte ihnen: „Sät Schlafmohn und Marihuana aus, wir gehen dann hin und klagen die Indígenas an.“ Am 29. März 2017 wurde El Diablo in den USA verhaftet. Der Gerichtshof des US-Bundesstaates New York klagt ihn des Komplotts an, um in den USA Heroin, Kokain, Metamphetamine und Marihuana herzustellen, zu importieren und zu vertreiben.
San Sebastián hat mehr als ein Jahrhundert die Aggressionen der eindringenden mestizischen Viehzüchter erlitten. Ramón Vera, Chronist ihres Widerstandes, beschreibt in der „Kurzen Geschichte einer fortwährenden Invasion“: „Die Geschichte der Übergriffe der Invasoren wimmelt nur so von Morden, niedergebrannten Häusern, zertrampelten Ernten, sowie Menschen, die an Lassos hinter Pferden hergeschleift und an ihren eigenen Bäumen aufgehängt wurden. Jahrelang wurde das Gebiet durch die illegale Abholzung des Waldes und die Wasserverschwendung zerstört. Die Viehzucht sowie die intensiven und ausgedehnten Pflanzungen führten zur Erosion der Böden. In den am meisten zerstörten Zonen kommt es immer wieder zu Überschwemmungen, unter denen die Umwelt leidet. Politiker*innen, lokale und Landesregierungen haben dies immer wieder vertuscht und mitgetragen und so möglich gemacht.“ (https://goo.gl/vDmlDU).
Zäher Widerstand der Wixárika
Trotz allem war der indigene Widerstand gegen den Raub der Böden und des Territoriums beispielhaft. Noch bevor das 56. Agrargericht von Tepic die Landstücke Bola Negra und Piedra Bola wieder dem Gemeindebesitz zusprach, gelang es der Gemeinde, allein zwischen 1997 und 2004 mehr als 50.000 Hektar geraubten Landes zurückzuerlangen. Mehr als 2.700 Gemeindebäuer*innen und ihre Familien konnten davon profitieren.
Der Rassismus und die Verachtung der kleinen wie großen Grundbesitzer gegenüber den Wixárika (Huicholes) ist sprichwörtlich. „Sie sind eine Plage“, sagte Alejandro Quintanilla Barajas, einer der großen regionalen Grundbesitzer dem Reporter Agustín Castillo. Und gegenüber Alejandra Guillén erklärte der Viehzüchter: „Sie sind Faulenzer, immer nur Fiestas. Ein sehr fruchtbares Volk, darum wollen sie unser ganzes Land. Es müsste ihnen verboten werden, so viele Kinder zu haben, diese Leute sind total faul.“
Aber es geht nicht nur um das Land, um das in dieser Region gestritten wird. Die (metallischen und nicht metallischen) Bergbauvorkommen, die dort im Boden liegen, haben die Gier anderer Akteure erweckt. Im November 2002 verkündigte der damalige Innenstaatssekretär von Nayarit, Héctor Medina, im Bergland des Bundesstaates seien einige (Gewalt-)Ausbrüche vorgekommen, denn es gäbe Hinweise auf dortige Manganvorkommen. „Es gibt dort Leute, die ein Auge darauf geworfen haben und sagen, die Ausbeutung dieser Minen könnte 100 LKW-Ladungen pro Tag mit diesem Produkt erbringen.“ Die Gemeindebäuer*innen haben dem Bergbau jedoch eine Absage erteilt.
Übergriffe und Rassismus von einer Allianz der Mächtigen
Die jüngst zurückgewonnenen 184 Hektar befinden sich in einer unwirtlichen Zone. Die einzige Möglichkeit, an Wasser und Lebensmittel zu kommen, besteht in Huajimic. Den dort lebenden Wixárika wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt und der Lebensmittelverkauf verweigert. In offener Komplizenschaft mit den (mestizischen) Kleinbesitzer*innen lassen die Behörden von Nayarit zu, dass alle Arten von Übergriffen gegen die Indígenas verübt werden.
Angesichts des Klimas von Anfeindung und Gewalt sowie den Unterlassungen der Regierungsbehörden, die Bürger*innen sowie Völkern keine Sicherheit garantieren, kündigte die Versammlung der Gemeinde San Sebastián die Gründung einer Selbstverteidigungsgruppe der Wixárika an, um Land und körperliche Unversehrtheit der Gemeindebäuer*innen zu schützen. Die Morde an Miguel und Agustín Vázquez Torres sind Teil eines nicht erklärten Krieges, der im Land gegen die indigenen Völker stattfindet. Ein Krieg, mit dem die heilige Allianz aus Politiker*innen, Regierungsbehörden, Drogenhändler*innen, Kleinbesitzer*innen und Bergbau-Unternehmer*innen die autochthonen Völker ihrer Böden, Territorien und Naturressourcen berauben will.
Jalisco: Ein nicht erklärter Krieg gegen Indigene von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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